Der Arktische Ozean.
Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht das selbe. Diese alte Einsicht bewahrheitet sich regelmäßig, wenn es um die Berichterstattung deutscher Medien über Rußland geht. Wohl kein deutscher Journalist käme auf die Idee, die Präsenz der U.S. Coast Guard in Alaska anzuzweifeln oder den Einsatz der Royal Canadian Mounted Police in den Nordwest-Territorien und Nunavut zu kritisieren. Neben konkreten technischen Aufgaben erfüllen diese Behörden in den dünnbesiedelten Nordgebieten der USA und Kanadas die allgemeinen Funktiones des Grenzschutzes und der Souveränitätskontrolle. Damit wird - im deutschen Fernsehen unwidersprochen - demonstriert, daß die besagten Territorien zum jeweiligen Staat gehören.
Doch mit Bezug auf die Rußländische Föderation ist alles anders - zumindest wenn man dem preisgekrönten Journalisten Dietmar Schumann glaubt, dessen aus dem Jahr 2005 stammende Reportage "Franz-Josef-Land - Auf verlorenem Posten" kürzlich vom ZDF wieder ausgestrahlt wurde. In diesem Film hat Schumann vorzüglich die Mängel der deutschen Rußlandreportagen dargestellt.
Das ZDF-Team hatte eine Reise auf einem Frachter gebucht, der einige Außenposten auf dem arktischen Franz-Josef-Land versorgt. Darunter waren auch zwei Grenzposten. Irgendeine Laus muß während der Reise über Schumanns Leber gelaufen sein, denn die Grenzschützer kommen im Film gar nicht gut weg. Sie seien das finstere Reich des Geheimdienstes usw. usf. Zuvor hatten sie ihm die Besichtigung eines Grenzpostens verwehrt, offenbar, weil er sich nicht angemeldet hatte. Darauf reagierte der brüskierte Journalist dann mit harschen Worten. Im Interview fragte er den Chef des Grenzpostens, ob seine Arbeit überhaupt sinnvoll sei und gegen welchen Feind die Grenzer Rußland im hohen Norden verteidigen würden. Dieselbe freche Frage hätte Schumann keinem Kanadier oder Amerikaner gestellt. Entsprechend genervt reagierte denn auch der rußländische Grenzoffizier, was Schumanns Wut noch weiter steigerte.
Dem deutschen Zuschauer wird damit ein furchteinflößendes Bild des rußländischen Grenzschutzes vermittelt. Doch dem ist nicht so. Russische Journalisten berichten regelmäßig von diesen Außenposten, allerdings haben sie sich vorher angemeldet und mit der zuständigen Presseabteilung abgestimmt. Wer die Spielregeln nicht einhält, darf sich über unfreundliche Reaktionen seiner Partner nicht wundern. Und in welcher deutschen Polizeidienststelle dürfte ein plötzlich auftauchendes Fernsehteam einfach so filmen? Wohl in keiner.
Der nördliche Seeweg von Europa nach Fernost.
Ein weiterer wichtiger Punkt in jeder deutschen Rußlandreportage sind Menschen, die in die Kamera sagen, wie schlimm die Regierung in Moskau doch sei. Diesen Part spielt in Schumanns Film die Besatzung einer Polarstation. Man habe die Finanzierung heruntergefahren und deshalb gehe im hohen Norden alles den Bach runter. Das ist teilweise zutreffend, jedoch bleibt im Film der Kontext, in dem die besagte Station steht, völlig unbeleuchtet. Das soll an dieser Stelle nachgeholt werden.
Beginnen wir mit einem Blick in die Geschichte. Die Erforschung der Arktis wurde in Rußland seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorangetrieben. Zar und Sowjetregierung rüsteten Expeditionen aus, um das weithin unbekannte Gebiet zu erforschen und zu kartographieren. In den 1920er Jahren entstanden die ersten Polarstationen, welche ganzjährig besetzt waren und vor allem Wetterdaten sammelten. In den 1920er Jahren entstand der Wunsch, diese Region ökonomisch und verkehrstechnisch besser und systematischer zu erschließen. Damit Begann der Ausbau des Nördlichen Seeweges, der in Deutschland Nordostpassage genannt wird. Zahlreiche neue Stationen wurden an der Küste und auf Inseln errichtet, Eisbrecher und Häfen gebaut, Expeditionen wie etwa die mit der "Tscheljuskin" anno 1933/34 durchgeführt usw.
Zur Koordination diente die Hauptverwaltung Nördlicher Seeweg, deren erster Chef der bekannte Polarforscher Otto Schmidt war. Die Hauptverwaltung hatte umfassende wissenschaftliche, wirtschaftliche und verkehrstechnische Aufgaben in der sowjetischen Arktis wahrzunehmen. Neben der Forschung und der Wetter- und Eisbeobachtung waren dies die Erkundung von Rohstofflagerstätten, das Betreiben von Schiffahrtswegen, Koordination von Jagd und Fischerei etc. Dazu verfügte die Behörde nicht nur über die immer zahlreicheren Polarstationen, sondern auch über viele Schiffe, darunter fast alle sowjetischen Eisbrecher, und - mit Stand 1939 - über 150 Flugzeuge. Letztere wurden in einer eigenen Fluggesellschaft namens Awiaarktika zusammengefaßt, die später Teil von Aeroflot war. Ab 1953 wurde die Hauptverwaltung allerdings erheblich reduziert, viele Bereiche gingen an andere Behörden. Seit 1964 ist sie Teil der allgemeinen Schiffahrtsverwaltung. (Die Schiffahrt auf dem nördlichen Seeweg beschreibt dieser Dokumentarfilm aus dem Jahre 1984.)
Im Zuge der Umstrukturierung gingen die Polarstationen gingen an den Hydrometeorologischen Dienst. Zeitgleich wurde dem Wetterdienst auch das Arktis-Antarktis-Forschungsinstitut unterstellt. Obwohl beide Strukturen nunmehr zum Wetterdienst gehörten (und bis heute gehören), haben sie doch unterschiedliche Aufgaben. Die vom Forschungsinstitut verantworteten Polarstationen und -expeditionen dienen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in der Arktis. Insoweit ist besonders an die bisher 39 Driftstationen über dem Nordpol zu denken. Die erste unter dem Namen Nordpol-1 fand 1937 statt und ist weltberühmt geworden (2009 wurde sie in der Dokumentation "Rote Arktis" behandelt). Seit dem 30.09.2011 ist die Station Nordpol-39 mit 16 Mann Besatzung auf einer Eisscholle auf dem Arktischen Ozean unterwegs. Die von dort alle sechs Stunden übermittelten Daten können hier eingesehen werden.
Feste Forschungsstationen im sowjetischen bzw. rußländischen Polargebiet.
Die übrigen, "normalen" Stationen im gesamten sowjetischen Polargebiet hatten vornehmlich Aufgaben der Wetter- und Eisbeobachtung zu erfüllen. Damit halfen sie dabei, die Schiffahrt auf dem nördlichen Seeweg abzusichern. In Hochzeiten unterhielt der Wetterdienst der UdSSR sage und schreibe 105 Beobachtungsstationen in dieser Region (siehe Karte 3). Nach 1991 kam dann der Niedergang. Der nördliche Seeweg wurde immer weniger in Anspruch genommen, weil der Transportbedarf zurückging. Es gab Jahre, in denen befuhr ihn kein einziges Schiff auf voller Länge. Zugleich steckte die RF der Jelzin-Ära in einer Dauerkrise. Angestellte in der Arktis waren zu Sowjetzeiten mit überdurchschnittlich hohen Gehältern angelockt worden, doch nun bezahlte der Staat sie nur noch mit großer Verzögerung oder manchmal auch gar nicht. Mithin suchten sich viele Mitarbeiter andere Arbeitsstellen und verließen die Arktis. Das dichte Stationsnetz wurde ausgedünnt und ist auf etwa ein Drittel seiner früheren Größe geschrumpft. Sie gehören heute zu den nördlichen, jakutischen und tschuchotkischen Abteilungen des Hydrometeorologischen Dienstes.
Doch seit etwa 2005 zeichnet sich Besserung ab, was vor allem auf die wirtschaftliche Gesundung Rußlands zurückzuführen ist. Nach dreizehnjähriger Pause wurden wieder Driftexpeditionen ausgesandt und auch die übrigen Polarstationen werden wieder hochgefahren. Mehrere Schiffskonvois (auch deutscher Reedereien) absolvierten den Nördlichen Seeweg in voller Länge und konnten so die Reisezeit zwischen Ostasien und Europa reduzieren. Durch das teilweise Schmlezen des Polareises wird auch die Förderung von Rohstoffen in der rußländischen Polarregion vereinfacht. Mithin ist eine Zunahme der ökonomischen Nutzung der Arktis im allgemeinen und des Verkehrs auf dem Nördlichen Seeweg im besonderen zu erwarten. Ob man im Zeitalter der Wetter- und Eisbeobachtung durch Flugzeuge und Satelliten allerdings noch ein (teures) Netz von über hundert Polarstationen wie vor 40 Jahren braucht, ist zweifelhaft.
Áuf diese Entwicklung hat die RF im Jahr 2008 durch die Verabschiedung einer Arktisstrategie reagiert. (Analoge Aktivitäten werden übrigens auch in Kanada entfaltet.) Leider findet dies in den deutschen Medien kaum eine zutreffende Darstellung. Anstatt völkerrechtliche und andere Hintergünde aufzuzeigen, begnügt man sich oft mit ironisch-ängstlichen Kommentaren über den "russischen Griff nach der Arktis". Eine erfreuliche Ausnahme ist das Buch "Die Arktis - Ressourcen, Interessen und Probleme", 2010 von der Hanns-Seidel-Stiftung herausgegeben.
In jedem Fall wird man in den nächsten Jahren noch einiges über die Polaraktivitäten Rußlands hören. Wie schon im 20. Jahrhundert, so wird man dort auch im 21. in der Polarschiffahrt (Eisbrecher, eisgängige Frachter und Tanker) und Polarfliegerei führend sein. Dasselbe trifft auf die wissenschaftliche Erforschung zu. Und an den Küsten des Nordpolarmeers werden auch weiterhin Grenzposten exisitieren, so wie die RCMP den Norden Kanadas und die norwegische Polizei Spitzbergen bewacht, auch wenn ein schlecht informierter deutscher Journalist dies für überflüssig hält.
Die "Wolga", ein Patrouillen-Eisbrecher der Küstenwache
des Grenzschutzes, vor Kamtschatka.
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Grafiken: Wikipedia, vivovoco.rsl.ru/VV/JOURNAL/NATURE.
Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht das selbe. Diese alte Einsicht bewahrheitet sich regelmäßig, wenn es um die Berichterstattung deutscher Medien über Rußland geht. Wohl kein deutscher Journalist käme auf die Idee, die Präsenz der U.S. Coast Guard in Alaska anzuzweifeln oder den Einsatz der Royal Canadian Mounted Police in den Nordwest-Territorien und Nunavut zu kritisieren. Neben konkreten technischen Aufgaben erfüllen diese Behörden in den dünnbesiedelten Nordgebieten der USA und Kanadas die allgemeinen Funktiones des Grenzschutzes und der Souveränitätskontrolle. Damit wird - im deutschen Fernsehen unwidersprochen - demonstriert, daß die besagten Territorien zum jeweiligen Staat gehören.
Doch mit Bezug auf die Rußländische Föderation ist alles anders - zumindest wenn man dem preisgekrönten Journalisten Dietmar Schumann glaubt, dessen aus dem Jahr 2005 stammende Reportage "Franz-Josef-Land - Auf verlorenem Posten" kürzlich vom ZDF wieder ausgestrahlt wurde. In diesem Film hat Schumann vorzüglich die Mängel der deutschen Rußlandreportagen dargestellt.
Das ZDF-Team hatte eine Reise auf einem Frachter gebucht, der einige Außenposten auf dem arktischen Franz-Josef-Land versorgt. Darunter waren auch zwei Grenzposten. Irgendeine Laus muß während der Reise über Schumanns Leber gelaufen sein, denn die Grenzschützer kommen im Film gar nicht gut weg. Sie seien das finstere Reich des Geheimdienstes usw. usf. Zuvor hatten sie ihm die Besichtigung eines Grenzpostens verwehrt, offenbar, weil er sich nicht angemeldet hatte. Darauf reagierte der brüskierte Journalist dann mit harschen Worten. Im Interview fragte er den Chef des Grenzpostens, ob seine Arbeit überhaupt sinnvoll sei und gegen welchen Feind die Grenzer Rußland im hohen Norden verteidigen würden. Dieselbe freche Frage hätte Schumann keinem Kanadier oder Amerikaner gestellt. Entsprechend genervt reagierte denn auch der rußländische Grenzoffizier, was Schumanns Wut noch weiter steigerte.
Dem deutschen Zuschauer wird damit ein furchteinflößendes Bild des rußländischen Grenzschutzes vermittelt. Doch dem ist nicht so. Russische Journalisten berichten regelmäßig von diesen Außenposten, allerdings haben sie sich vorher angemeldet und mit der zuständigen Presseabteilung abgestimmt. Wer die Spielregeln nicht einhält, darf sich über unfreundliche Reaktionen seiner Partner nicht wundern. Und in welcher deutschen Polizeidienststelle dürfte ein plötzlich auftauchendes Fernsehteam einfach so filmen? Wohl in keiner.
Der nördliche Seeweg von Europa nach Fernost.
Ein weiterer wichtiger Punkt in jeder deutschen Rußlandreportage sind Menschen, die in die Kamera sagen, wie schlimm die Regierung in Moskau doch sei. Diesen Part spielt in Schumanns Film die Besatzung einer Polarstation. Man habe die Finanzierung heruntergefahren und deshalb gehe im hohen Norden alles den Bach runter. Das ist teilweise zutreffend, jedoch bleibt im Film der Kontext, in dem die besagte Station steht, völlig unbeleuchtet. Das soll an dieser Stelle nachgeholt werden.
Beginnen wir mit einem Blick in die Geschichte. Die Erforschung der Arktis wurde in Rußland seit Beginn des 20. Jahrhunderts vorangetrieben. Zar und Sowjetregierung rüsteten Expeditionen aus, um das weithin unbekannte Gebiet zu erforschen und zu kartographieren. In den 1920er Jahren entstanden die ersten Polarstationen, welche ganzjährig besetzt waren und vor allem Wetterdaten sammelten. In den 1920er Jahren entstand der Wunsch, diese Region ökonomisch und verkehrstechnisch besser und systematischer zu erschließen. Damit Begann der Ausbau des Nördlichen Seeweges, der in Deutschland Nordostpassage genannt wird. Zahlreiche neue Stationen wurden an der Küste und auf Inseln errichtet, Eisbrecher und Häfen gebaut, Expeditionen wie etwa die mit der "Tscheljuskin" anno 1933/34 durchgeführt usw.
Zur Koordination diente die Hauptverwaltung Nördlicher Seeweg, deren erster Chef der bekannte Polarforscher Otto Schmidt war. Die Hauptverwaltung hatte umfassende wissenschaftliche, wirtschaftliche und verkehrstechnische Aufgaben in der sowjetischen Arktis wahrzunehmen. Neben der Forschung und der Wetter- und Eisbeobachtung waren dies die Erkundung von Rohstofflagerstätten, das Betreiben von Schiffahrtswegen, Koordination von Jagd und Fischerei etc. Dazu verfügte die Behörde nicht nur über die immer zahlreicheren Polarstationen, sondern auch über viele Schiffe, darunter fast alle sowjetischen Eisbrecher, und - mit Stand 1939 - über 150 Flugzeuge. Letztere wurden in einer eigenen Fluggesellschaft namens Awiaarktika zusammengefaßt, die später Teil von Aeroflot war. Ab 1953 wurde die Hauptverwaltung allerdings erheblich reduziert, viele Bereiche gingen an andere Behörden. Seit 1964 ist sie Teil der allgemeinen Schiffahrtsverwaltung. (Die Schiffahrt auf dem nördlichen Seeweg beschreibt dieser Dokumentarfilm aus dem Jahre 1984.)
Im Zuge der Umstrukturierung gingen die Polarstationen gingen an den Hydrometeorologischen Dienst. Zeitgleich wurde dem Wetterdienst auch das Arktis-Antarktis-Forschungsinstitut unterstellt. Obwohl beide Strukturen nunmehr zum Wetterdienst gehörten (und bis heute gehören), haben sie doch unterschiedliche Aufgaben. Die vom Forschungsinstitut verantworteten Polarstationen und -expeditionen dienen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in der Arktis. Insoweit ist besonders an die bisher 39 Driftstationen über dem Nordpol zu denken. Die erste unter dem Namen Nordpol-1 fand 1937 statt und ist weltberühmt geworden (2009 wurde sie in der Dokumentation "Rote Arktis" behandelt). Seit dem 30.09.2011 ist die Station Nordpol-39 mit 16 Mann Besatzung auf einer Eisscholle auf dem Arktischen Ozean unterwegs. Die von dort alle sechs Stunden übermittelten Daten können hier eingesehen werden.
Feste Forschungsstationen im sowjetischen bzw. rußländischen Polargebiet.
Die übrigen, "normalen" Stationen im gesamten sowjetischen Polargebiet hatten vornehmlich Aufgaben der Wetter- und Eisbeobachtung zu erfüllen. Damit halfen sie dabei, die Schiffahrt auf dem nördlichen Seeweg abzusichern. In Hochzeiten unterhielt der Wetterdienst der UdSSR sage und schreibe 105 Beobachtungsstationen in dieser Region (siehe Karte 3). Nach 1991 kam dann der Niedergang. Der nördliche Seeweg wurde immer weniger in Anspruch genommen, weil der Transportbedarf zurückging. Es gab Jahre, in denen befuhr ihn kein einziges Schiff auf voller Länge. Zugleich steckte die RF der Jelzin-Ära in einer Dauerkrise. Angestellte in der Arktis waren zu Sowjetzeiten mit überdurchschnittlich hohen Gehältern angelockt worden, doch nun bezahlte der Staat sie nur noch mit großer Verzögerung oder manchmal auch gar nicht. Mithin suchten sich viele Mitarbeiter andere Arbeitsstellen und verließen die Arktis. Das dichte Stationsnetz wurde ausgedünnt und ist auf etwa ein Drittel seiner früheren Größe geschrumpft. Sie gehören heute zu den nördlichen, jakutischen und tschuchotkischen Abteilungen des Hydrometeorologischen Dienstes.
Doch seit etwa 2005 zeichnet sich Besserung ab, was vor allem auf die wirtschaftliche Gesundung Rußlands zurückzuführen ist. Nach dreizehnjähriger Pause wurden wieder Driftexpeditionen ausgesandt und auch die übrigen Polarstationen werden wieder hochgefahren. Mehrere Schiffskonvois (auch deutscher Reedereien) absolvierten den Nördlichen Seeweg in voller Länge und konnten so die Reisezeit zwischen Ostasien und Europa reduzieren. Durch das teilweise Schmlezen des Polareises wird auch die Förderung von Rohstoffen in der rußländischen Polarregion vereinfacht. Mithin ist eine Zunahme der ökonomischen Nutzung der Arktis im allgemeinen und des Verkehrs auf dem Nördlichen Seeweg im besonderen zu erwarten. Ob man im Zeitalter der Wetter- und Eisbeobachtung durch Flugzeuge und Satelliten allerdings noch ein (teures) Netz von über hundert Polarstationen wie vor 40 Jahren braucht, ist zweifelhaft.
Áuf diese Entwicklung hat die RF im Jahr 2008 durch die Verabschiedung einer Arktisstrategie reagiert. (Analoge Aktivitäten werden übrigens auch in Kanada entfaltet.) Leider findet dies in den deutschen Medien kaum eine zutreffende Darstellung. Anstatt völkerrechtliche und andere Hintergünde aufzuzeigen, begnügt man sich oft mit ironisch-ängstlichen Kommentaren über den "russischen Griff nach der Arktis". Eine erfreuliche Ausnahme ist das Buch "Die Arktis - Ressourcen, Interessen und Probleme", 2010 von der Hanns-Seidel-Stiftung herausgegeben.
In jedem Fall wird man in den nächsten Jahren noch einiges über die Polaraktivitäten Rußlands hören. Wie schon im 20. Jahrhundert, so wird man dort auch im 21. in der Polarschiffahrt (Eisbrecher, eisgängige Frachter und Tanker) und Polarfliegerei führend sein. Dasselbe trifft auf die wissenschaftliche Erforschung zu. Und an den Küsten des Nordpolarmeers werden auch weiterhin Grenzposten exisitieren, so wie die RCMP den Norden Kanadas und die norwegische Polizei Spitzbergen bewacht, auch wenn ein schlecht informierter deutscher Journalist dies für überflüssig hält.
Die "Wolga", ein Patrouillen-Eisbrecher der Küstenwache
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