Wenn in den Medien über Menschen beim Eintritt ins Rentenalter und über die älter werdende Gesellschaft geschrieben wird, geschieht das immer wieder in zwei Extremen:
- entweder wird euphorisch vom „Lohn der Lebensleistung“ berichtet. Es werden braungebrannte Menschen gezeigt, die „Silver Surfer“ oder „Best Ager“, die sich endlich im Leben verwirklichen können.
- oder es wird vom demographischen Wandel in den düstersten Farben berichtet. Da ist dann schnell von Pflegebedürftigkeit und demenziellem Abbau die Rede, und es werden die Kosten für die „Solidargemeinschaft“ hochgerechnet.
In der Die ZEIT vom 30.7.15 erschien jetzt ein sehr differenzierter Beitrag zum: „Der Fluch der frühen Rente„. In diesem Artikel wird beschrieben, wie schwer sich viele Menschen mit dem Ruhestand tun.
So wird die Soziologie-Professorin, Frau Ursula Staudinger zitiert, die Arbeitnehmer bei Mercedes in Bremerhaven nach ihrer Einstellung zum Renteneintritt gefragt hat. Sie stellte fest, dass die Erwartungen an den Ruhestand zuvor viel positiver waren, als die Einschätzung ein Jahr nach dem Renteneintritt.
Ihr Ergebnis auch von weiteren, internationalen Studien ist: Frühe Rente schadet der Gesundheit und reduziert die Lebensfreude. Die Vorstellung, dass mit dem Abschied aus der Arbeitswelt ein schönes, selbstbestimmtes Leben beginne, sei in vielen Fällen falsch.
Schon in den 60er Jahren ergab eine Studie der amerikanischen Psychologen Holmes und Rahe, dass der Eintritt in die Rente zu den „Top-Ten-Stressoren“, also zu den am stärksten belastenden Einschnitten im Leben, gehört. Das wird von vielen Untersuchungen bestätigt.
Dabei sind die Menschen um den Renteneintritt herum heute körperlich gesunder als je zuvor. Sie sind fit und leistungsfähig.
Doch es fallen viele berufliche Faktoren weg, die zuvor vor psychischen Problemen und Erkrankungen geschützt haben: ein strukturierter Tagesablauf, soziale Kontakte und oft genug fehlen jetzt Erfolgserlebnisse und Sinnstiftung.
Zusätzlich haben Menschen mit weiteren Problemen zu kämpfen: oft steht die jahrelange Beziehung oder Ehe vor einer neuen Belastungsprobe. Manche leiden jetzt viel mehr unter Einsamkeit nach Verlust oder Trennung. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus und kommen bestenfalls alle paar Wochen zum Wochenende.
Viele kämpfen gegen die Kränkung an, beruflich und privat nicht mehr gebraucht zu werden.
So wundert es nicht, dass die Häufigkeit von psychischen Problemen und Depressionen in dieser Altersgruppe steigen.
Am häufigsten leiden nach den bekannten Untersuchungen aber Menschen, die vorher schon nicht ganz gesund waren, die Geldprobleme haben, allein leben und nicht freiwillig aus dem Berufsleben ausgeschieden sind.
Aber auch viele Menschen, die ihr Leben lang gut zurecht gekommen sind, geraten in Krisen.
Und so brauchen viele Menschen in dieser Phase professionelle Hilfe, um diesen neuen Lebensabschnitt, den sie durch den medizinischen und gesellschaftlichen Fortschritt erworben haben, geniessen zu können. Oft sind dann Behandlungen z.B. in entsprechenden Abteilungen für Psychosomatische Medizin notwendig.