Ruhe im Kartong oder: WG-Leben kann so grausam sein

Ruhe im Kartong oder: WG-Leben kann so grausam seinSend to Kindle

Ralf_Boscher_Krimi_Mordsroman_Abschied
Ja, ich muss zugegeben, dass ich mir zu dieser Zeit ein wenig Sorgen um mein sonniges Wesen machte. Die Tabletten, welche ich gegen meine Rückschmerzen schluckte, machten es wahrscheinlich auch nicht besser. Zu allem Überfluss erhielt ich zwei meiner Manuskripte von Verlagen dankend zurück, womit ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte, war ich doch davon ausgegangen, dass ich mir den Verlag würde aussuchen können. Und Udo, ja Udo trieb es in diesen Tagen, da ich bei den Frauen kein Glück hatte, wie ein Wahnsinniger bei uns in der WG. Ausgerechnet Udo, um den doch die Frauen sonst immer einen solchen Bogen machen, wie er mit seiner Matte um den Friseur. Und wenn ich in der WG schreibe, dann meine ich auch in der WG.

Es musste doch wirklich nicht der Kühlschrank sein, und gerade zu der Zeit, da ich zumeist – wie Udo es doch mittlerweile wissen müsste – von der Arbeit nach Hause komme und gerne noch ein letztes Bier in der Küche trinke. Also, das Letzte, was ich in einer solchen Nacht noch sehen möchte, ist Udos Arsch, eingerahmt von zwei Beinen, die in der Luft hängen, untermalt von einem geradezu obszönen, so lauten Klatschen, dass ich dies eigentlich schon – wenn ich nicht so müde gewesen wäre – im Flur hätte hören müssen. Mal ganz abgesehen von Udos angestrengtem Keuchen, dem Geklirre und Geschepper im Kühlschrank und der hörbaren Freude von Udos Bekanntschaft an dieser ganzen Aktion. Als hätte dies noch nicht gereicht, schäumte mein Bier zudem über, das ich mir dann – als die Küche wieder frei war – genehmigen wollte.

Als ich Udo am nächsten Tag darauf ansprach, zuckte er nur mit den Achseln. War ihm wohl zu Kopf gestiegen, auch mal was mit einer Frau zu haben. Zugegeben, diese Frau nahm ihn ganz schön ran, der Küchenszene folgte schon bald heftigstes Treiben in der Dusche, aber muss man sich denn gleich seinen ganzen Anstand aus dem Hirn ficken? Schließlich hatte ich mein Zimmer direkt neben dem Bad, und dieses Gekicher, lauthalse Lachen, dieses ganze Geplätscher, und schließlich dieses beständige Rumsen gegen die Wand, mal schneller, mal langsamer, in solch einem unberechenbaren Rhythmus, dass es einfach nicht zu ignorieren war, zumal diese Frau irgendwann begann, Udo lautstark anzufeuern: Ja ja, pack mich, tiefer, schneller, höher, weiter, weiter, meine Muschi, mein Arsch, meine Titten! Fehlte nur noch, dass Udo auch noch anfing: Mein Schwanz, mein Arsch, meine Eier. Ich kann Ihnen sagen, Udos Ausdauer ging mir ganz schön an die Nieren, man will ja auch mal schlafen. Aber das interessierte ihn, wie gesagt, nicht die Bohne, er zuckte nur mit den Achseln, meinte, man muss die Feste feiern, wie sie fallen, griff sich zwei Tassen Kaffee, und wie ich dann am steigenden Geräuschpegel aus seinem Zimmer hören konnte, ließ es sich seine Bekannte schon wieder gefallen, feste gefeiert zu werden. Tja, so sah es aus, und dergestalt ging das Tage weiter. Zwischenzeitlich tauchte Gerd wieder auf, der einige Zeit unterwegs gewesen war, und selbst ihm, der gerne beobachtend an den Vergnügungen anderer Menschen teilnimmt, reichte es bald. »Als ich gestern nach Hause kam, ließ sich die Wohnungstür einfach nicht öffnen«, meinte er eines Morgens, sichtbar genervt und übermüdet zu mir, »nur einen Spalt bekam ich sie auf, und dann hörte ich sie auch schon wieder, ich hörte es schmatzen und leise stöhnen, sie standen direkt an der Tür, ich spürte es, als ich gegen sie drückte, und meinst du, sie hätten aufgehört, ‘Moment noch!’ meinte Udo nur. Ich dachte, ich spinn’. Der hat überhaupt keine Hemmungen mehr, ‘Schneller!’ sagte er dann noch zu ihr. Eine geschlagene Zigarettenlänge stand ich da wie ein Depp vor der Tür, bis Udo mich mit so einem blöden Grinsen reinließ.«

Wahrlich die Stimmung bei uns in der WG kochte hoch. Um das Fass vollzumachen, hatte Gerd, als er unterwegs gewesen war, auch eine Frau kennengelernt, und da sie mehrere Hundert Kilometer entfernt in Konstanz am Bodensee lebte, blockierte er ständig das Telefon. Außerdem bewies er das Fingerspitzengefühl eines Bulldozers: »Wie geht’s denn so mit dir und Carmen?«, fragte er mich, »Siehst du sie hier irgendwo?«, gab ich kurz angebunden zurück und dachte, damit hätte ich Ruhe. Er aber sah sich wirklich um, zuckte dann mit den Schultern: »Nein! Und was ist mit deinem Roman?« Ich ließ ihn stehen, mit ihm darüber zu reden, das von den Manuskripten, die ich kurz nach der Vollendung meines Werkes an Verlage gesandt hatte, nahezu jeden Tag eines zu mir zurückkehrte, hatte ich nun wirklich nicht das geringste Bedürfnis.

Kurz gesagt also: Es war wirklich Zeit, sich mal wieder zusammenzusetzen und ein bisschen etwas für ein besseres Klima bei uns in der WG zu tun: am besten Skatspielen (für eine Runde Doppelkopf waren wir, seit Diana nicht mehr unter uns weilte, zu wenig Spieler), denn das hatte bislang bei Unstimmigkeiten immer geholfen. Und so zockten wir dann ein paar Tage später, als ich einen freien Abend hatte, Gerd nicht dringend telefonieren musste und Udo, da seine Freundin mal etwas anderes unternahm, seinen Schwanz in der Hose lassen konnte, eine Partie Skat.

Zunächst ging alles gut. Wir spielten Runde um Runde, arbeiteten uns an dem Kasten Bier, den ich besorgt hatte, ordentlich ab und qualmten die Bude voll. Abgesehen davon, dass keiner von uns das heikle Thema Frauen ansprach, ein ganz normaler Abend unter Männern. Doch dann schwankte Gerd auf die Toilette, und Udo hatte plötzlich diese Anwandlung, unbedingt doch einmal in diesen Topf hineinschauen zu müssen, der schon des längeren unberührt auf unserem Herd gestanden hatte.

Mir hätte ja sein Gesicht, als er den Deckel hob, vollends gereicht, hätte mir den Inhalt gar nicht zeigen brauchen. Was immer es mal gewesen sein mag, es stank nicht nur, es bewegte sich auch. Vielleicht sogar schneller als Gerd. Denn als Udo ihm – kaum dass er von der Toilette kam – den Topf wortlos unter die Nase hielt (es war einfach klar, dass diese Sauerei von Gerd stammte), da schien es zwar so, als würden Gerds Hände den Topf umfassen, ja, zumindest fassten sie, als Udo ihn losließ, zum Topf, aber eben nicht schnell genug. Vielleicht hatte er sich auf Toilette ja auch einfach nur nicht gründlich genug die nassen Hände abgetrocknet, so dass er noch Seife an den Fingern hatte, jedenfalls sauste ihm der Topf durch die Finger und schlug geradezu spektakulär auf dem Boden auf. Erst schepperte es, dann spratzte es auch mächtig. Was immer es mal gewesen sein mag, jetzt bedeckte es großflächig unseren Küchenboden oder versuchte in den Ritzen der Fliesen zu verduften. Und dann ging alles sehr schnell.

Udo musste lachen, und ich konnte endlich mal wieder lachen, hatte ja schon fast geglaubt, ich wäre der Einzige unter Gottes weitem Himmel, dem Missgeschicke geschehen würden. Gerd lachte nicht. Dafür ging er hoch wie eine Rakete, von langsamen Bewegungen plötzlich keine Spur mehr: »Ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich das wegmache!« schrie er. Blitzschnell hatte er kombiniert, denn natürlich glaubten wir dies. Statt einer, oder wie er es wohl aufnahm, als Antwort mussten wir noch mehr lachen, woraufhin er äußerst behende einen Stuhl nahm und vor die Wand warf, was uns dazu brachte, wenigstens zu versuchen, unseren Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken, weil es jetzt offensichtlich Ernst wurde. Ich schaffte es sogar ganz gut – der ganze Frust der letzten Zeit war ein ordentliches Gegengewicht gegen Heiterkeit –, stand auf und sagte recht ruhig zu Gerd: »Natürlich machst du das weg, es ist dein Scheiß!« Dann aber musste ich doch kichern, was meine Autorität beträchtlich untergrub, und noch mehr untergrub diese mein auf Gerds Worte: »Ich hab den Scheiß aber nicht hingeworfen!« folgendes Lachen, was jenen dazu brachte, sich den Besen zu greifen und mit diesem drohend auf mich loszugehen: »Hör auf zu lachen, du Arsch!«, schrie Gerd, »Ich mach mich doch hier nicht vor euch zum Affen!« schrie er und hob den Besen über seinen Kopf.

Das hätte er wohl besser nicht getan, immerhin hatte Gerd einen Mann vor sich, dem in der letzten Zeit einiges aus dem Ruder gelaufen war. Aber um des lieben Friedens willen verzog ich mich – immer noch lachend – Richtung Tür. Hatte mir wirklich vorgenommen, jedem Streit aus dem Weg zu gehen, schließlich ging es um die gute Stimmung in der WG. Aber irgendwas in der Art wie Na, dann mach mal schön! habe ich mir dann doch wohl, den Türgriff schon in der Hand, nicht verkneifen können.

Ich hätte die Tür garantiert nicht mehr auf- und vor allem hinter mir zubekommen, so schnell stürzte Gerd brüllend wie ein kompletter Wikingerhaufen beim Angriff auf mich zu. Er hob den Besen, »AaaaaaHHHH!« schrie er, machte einen letzten, langen Schritt: »Aaahhh!« und rutschte auf all dem Scheiß, der den Boden bedeckte, aus. Der Besen flog, seine Arme flogen, seine Beine, und s p r a t z landete Gerd auf dem Rücken mitten im Was immer es gewesen sein mag. So nahmen die Dinge, die nun wahrlich nicht mehr in ihrem rechten Verhältnis zueinanderstanden, ihren Lauf.

Udo konnte sich vor Lachen kaum mehr auf dem Stuhl halten, war richtiggehend am Headbangen vor Schadenfreude. Gerd rappelte sich mit vor wilder Wut verzerrtem Gesicht wieder auf. Ich verließ derweil getreu meiner einmal gefassten Maxime Kein Streit! die Küche. Kaum dass ich im Flur war, hörte ich schon den nächsten Stuhl poltern, Gerd schrie: »Hör bloß auf zu lachen!«, aber Udo lachte weiter, lachte gar noch lauter, dann erneutes Poltern, Gläser splitterten, das war dann wohl der Tisch gewesen, und dann Udos Stimme – nun ohne Lachen: »Wag’ es nicht!« In diesem Augenblick schwang die Wohnungstür auf und zu allem Überfluss betrat Udos Freundin den Flur, und nun konnte auch ich nicht mehr an mich halten, hatte Udo ihr doch offenbar einen Schlüssel gegeben, ohne es abzusprechen: »Heut’ wird nicht gefickt!« warf ich ihr also, meinen guten Vorsatz über Bord werfend, an den hübschen Kopf (Geschmack hatte er ja, der Udo). Doch da krachte plötzlich Udo mitsamt der Küchentür, die aus den Angeln gerissen wurde, in den Flur hinein. »Oh Gottogott!«, stöhnte nun seine Freundin (das kannte ich schon aus einem in anderen Zusammenhang), doch Gerd, der augenscheinlich in seiner Wut Wahnsinnskräfte entwickelt hatte, schrie sie aus der Küche heraus nieder: »Du gehst mir nicht mehr auf den Sack!« Währenddessen versuchte Udo, unterstützt von seiner Freundin und vielen »Ohgottogott!«, sich aufzurappeln, doch da kam auch schon Gerd wie eine der sieben Plagen über sie: »Ah, das trifft sich gut!« meinte er nur und hieb mit dem Besen auf sie beide ein. Schließlich aber bekam Udo eines von Gerds Beinen zu fassen und riss ihn um, was dann damit endete, dass Udo, seine Freundin und Gerd unter einigem Gebrüll und vielen »Ohgottogott!« in wildem Herumgeringe aufeinander einprügelten, bis ich von all dem Theater genug hatte, den lieben Frieden endgültig lieben Frieden sein ließ, mich – nachdem ich kurz noch einen Blick in die demolierte Küche geworfen hatte – einmischte und die Streithälse trennte. Und nun endlich war – wie man am Niederrhein so sagt – Ruhe im Kartong.

Dachte ich. Denn am Morgen nach dem einschneidenden Skatabend kehrte Carmen mit Macht zurück. [...]

Ende

Dies war eine Leseprobe (eine Szene des sechsten Kapitels “Das Ende vom Lied”) aus: Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman von Ralf Boscher. Erhältlich als Taschenbuch und eBook (das eBook noch für kurze Zeit für 2,99 Euro).

Liebe, Lust und Leichen im Keller. Leben und Sterben zwischen Nietzsche, dem Niederrhein und der Müllverbrennungsanlage in Wuppertal, in einer Nebenrolle: die Imperia in Konstanz außer Rand und Band.

„Abschied ist ein scharfes Schwert“ ist ein ungewöhnlich erzählter, an Ironie reicher Mordsroman über einen Schriftsteller und einen Fan, über Gewalt und Gier, Tod und Wiederauferstehung. Ein Buch, das in vielen Genres wildert.


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