Wäre ich nicht in der DDR und immer umgeben von den Worten der Klassiker aufgewachsen… ich hätte sicherlich noch mehr Schwierigkeiten gehabt, das Buch von Rudolf Bahro zu begreifen. Bahro ist (zumindest zu der Zeit, in der er das Buch schrieb) ein Kritiker des Marxismus wie er (insbesondere) in der DDR “durchgeführt” wurde. Er verzweifelt schier an der Enge und der Starrheit der Gesellschaft wie sie sich in den 80-iger Jahren darstellt. Und wie auch Solschenizyn stellt er nicht nur fest, was und weshalb in dieser – sich selbst sozialistisch nennenden – Gesellschaft im Argen liegt sondern er versucht, Alternativen dazu aufzuzeigen.
Und das sind (natürlich) ganz andere als Solschenizyn aufzeigt.
Bei der Fritz J. Raddatz Marx-Biographie habe ich bereits angemerkt, dass der Eindruck (der tatsächliche Eindruck) entstehen konnte, dass die Staats- und Parteiführung der Deutschen Demokratischen Republik genau das vergessen haben, was die Grundlage der Staatsdoktrin war: der marxsche Weg zum Kommunismus – mit dem Sozialismus als “Zwischenstation” auf dem Wege der gesellschaftlichen Entwicklung dorthin.
Und wie Raddatz bemerkt auch Bahro kritisch, dass das System genau an diesem Punkt festgefahren (und also auch nur an diesem Punkt wieder in Bewegung zu bringen) ist.
Nun möchte ich wahrlich nicht als arrogant gelten: aber ich habe bereits zu der Zeit, da dieser hier kritisierte Staat existierte immer die Meinung vertreten, dass Marx, Engels (und meinetwegen auch Lenin) zwar die geistigen Grundlagen für die Gesellschaft geschaffen haben; dies aber zu einer Zeit geschah, in der die technische als auch gesellschaftliche Entwicklung eine noch sehr andere war. Zudem ist Marx immer von einer Weltrevolution ausgegangen die den Kommunismus über die gesamte Erde und Menschheit bringt. Dies wurde notwendigerweise von Lenin reformiert. (siehe dazu auch Jörg Baberowski – Der rote Terror)
An dieser Stelle setzt Bahro auch an. Und fordert zum einen echte Demokratie insofern, als dass staatliche Leiter sowohl wählbar als auch rechenschaftspflichtig gegenüber den Wählern sein sollen (ach, was für ein Wunschtraum, selbst heute). Zum Anderen fordert er Bildung für Jeden um Jeden zu befähigen, sich selbst wählen zu lassen. (Das erinnert mich ein wenig an Kant’s kategorischen Imperativ.) Und Bahro spricht ein Thema an, das in der DDR erstaunlicherweise nie eines war: die Gleichheit der Bezahlung für jedwede Tätigkeit. In seiner letzten Konsequenz fordert Bahro damit das “uneingeschränkte Grundeinkommen”.
Dieser Gedanke und der des nachhaltigen Umganges mit den natürlichen Ressourcen machen das Buch selbst heut noch sehr aktuell.
Allerdings hat Bahro Jahre später genau diese Gedanken an anderer Stelle auch geäußert, so dass man “Die Alternative” deshalb nicht lesen muss.
Abschließend will ich sagen: ich denke, man muss dieses wirklich schwierige Buch nicht gelesen haben wenn man sich nicht mit der Geschichte der DDR und der der sog. Ostblockländer auseinandersetzen will. Es ist – gerade im Hinblick darauf, dass das Gesellschaftsmodell in dieser Art offenbar gescheitert ist – vielleicht eher als historisches “Besserwissen” oder “Wissen, wie man es hätte besser machen können” zu lesen. Vielleicht werden unsere Enkel oder Urenkel noch einmal dazu greifen um daraus zu lernen, welche Fehler man beim Aufbau einer aus einer Utopie geborenen Gesellschaft unterlassen sollte.
Nic
PS: Es gibt keine Zitate da das Buch aus der Bibliothek ausgeliehen war und bereits zurückgegeben wurde.
Eine gute Kritik des Buches von Frieder Otto Wolf findet sich hier.
Nachdem ich den Artikel bereits beendet hatte ist mir noch etwas eingefallen zu diesem Buch, das ich unbedingt nachtragen muss:
Bahro definiert die Situation im “real existierenden Sozialismus” als eine dem Kapitalismus (fast) gleiche Gesellschaft; sind doch die Bedingungen gleich. Und dazu gerade die, die doch den Unterschied ausmachen (sollten).
So gibt es in beiden Gesellschaftsformationen die Abhängigkeit von der Lohnarbeit. Und gesellschaftliche Arbeit im Sinne Marx’ ist auch im Sozialismus, wie er real existent war (und in einigen wenigen Ländern noch ist) nicht gewachsen. Bahro begründet das u.a. auch mit der Vernetzung im Weltmarkt, von der sich auch der “Osten” nicht fernhalten konnte.