Westliche Beobachter wissen: die arabische Revolution ist so gut wie gescheitert. Der Islamist ist nämlich ihr Profiteur - er landete trotz freier Wahlen im Parlament, erzielt dort gar Mehrheiten. Die annäherndfreiheitlich-demokratieähnliche Grundordnung, die nach der Beseitigung der Despoten ersehnt und im Westen als Patentrezept hochgehalten wurde, scheitert am politischen Islamismus, geben sich nun westliche Experten konsterniert.
Die eurozentristische Arroganz
Selbst Emmanuel Todd, eigentlich unverdächtig dafür, den Mediensprech undurchdacht zu wiederkäuen, läßt sich dazu hinreißen, die Werte des Westens für universell zu erklären. Die arabische Welt ist viel moderner als wir glauben, meint er. Das macht er daran fest: die muslimische Welt will schon seit Jahren die Werte des Westens für sich in Anspruch nehmen - und der arabische Frühling sei als der Befreiungsschlag zu sehen, der diesen Anspruch erfüllen soll. Richtig ist sicherlich schon, dass westliche Werte in die muslimische Welt hineinstrahlen, mit welchem Absolutheitsanspruch man allerdings diesen Umstand mit Modernität in Verbindung bringen kann, bleibt Todd hier als Erklärung schuldig. Wenn selbst Todd so überzeugt ist von der Überlegenheit westlicher Werte, wie kann man dann von Herrn Omnes, vom normalen Bürger, erwarten, dass er dieses Überlegenheitsgefühl zunächst überdenkt?
Das Gefühl der Überlegenheit ist es, mit dem wir auf die arabische Welt nach der Revolution blicken. Für uns sieht es nun so aus, als würde die muslimische Welt nach der Despotie wiederum ein Stück von der angeblich modernen Welt abrücken, weil sie die Islamisten in die politische Verantwortung manövriert. Die lehnen angeblich Individualismus, die Gleichheit der Geschlechter und politische Transparenz ab. Man folgt Leuten, für die Politik religiös und Religion politisch ist. Der Westen ist sicher daher sicher: Rückschritt! Enttäuschung! Mit Mubarak und Ben Ali lehnte man sich wenigstens am Westen an.
Die Denkweise dahinter
Mubarak und Konsorten waren das arabische Aushängeschild des Westens. Fragte man nach westlichen Werten, würde den Menschen dieser Weltregion einiges einfallen: Korruption, Klüngelei, Folter, Geheimpolizei, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Ausbeutung der Ressourcen. Das was der Westen als große Errungenschaften in die Waagschale wirft, ist für die Menschen dort überhaupt nicht fassbar. Sie kennen eine westliche Politik, die Menschenrechte predigt und Lynch-, Rache- und Geopolitik parlamentarisch verabschiedet. Die Muslime erlebten und erleben den Westen als eine Idee - der Westen ist ja tatsächlich Idee, nicht Weltregion oder Kultur im klassischen Sinne -, in der es entweder gar keine oder nur brutale, weil materielle Wertvorstellungen gibt. Als eine paradoxe Idee, die so sagt, aber anders macht. Und sie lernten die westlichen Paradedisziplinen kennen: Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. Überspitzt könnte man sagen: der arabische Frühling war nicht die Manifestation einer modern nach Westen blickenden muslimischen Welt - es war das Bekenntnis, von Despoten, die im Namen des Westens den Westen hofierten und ins Land holten, endgültig die Schnauze voll zu haben.
Wir haben so wenig von diesem Kulturkreis, der an unserer Peripherie existiert, begriffen, dass wir die Unruhen im arabischen Raum falsch interpretiert haben. Wir meinten, die Moslems wollten westlich oder europäisch werden, sich Ideen bei uns abholen - in Wahrheit ist es das glatte Gegenteil. Es war eine Abkehr von einer Machtelite, die man als durch und durch (pro-)westlich, als im Bunde mit den wutentbrannten Barbaren des Westens, die weder Anstand noch Moral kennen, am eigenen Leib empfand. Die Islamisten - was sind Islamisten denn überhaupt?; was soll der Begriff aussagen? - sind nicht hintertückischen Nutznießer der Revolution, sie sind in gewisser Weise durchaus logisches Resultat. Der Westen hat nun genug Marionetten gespielt...
Der Rückschritt des Westens aus Sicht des Islam
Natürlich fällt es aus westlicher Sicht schwer, Politik und Religion als eine Einheit zu akzeptieren. Wir tun das lediglich, wenn der Dalai Lama spricht - wir revoltieren auch nicht, wenn ein texanischer US-Präsident seine Außenpolitik evangelikal verbrämt. Da haben wir ein dickes Fell. Der Islam jedoch darf sich seine historische Verwebung von religiös untermauerter Politik nicht leisten. Die Säkularisierung sei das Mindeste, was man von der muslimischen Welt fordern könne, ist man sich fast unisono einig. Keine Rede davon, ob das die Menschen dort überhaupt wollen - selbst für den Westen aufgeklärte Muslime, nehmen wir mal Schirin Ebadi, die dem religiösen Fanatismus ihres Heimatlandes entflohen ist, spricht sich nicht für eine Entislamisierung der Politik aus, nur für mehr religiöse Toleranz. Die Säkularisierung des Westens hatte historische Gründe - die müssen für die muslimische Welt nicht zwangsläufig auch auftreten; die Säkularisierung ist keine geschichtliche Notwendigkeit, nur weil sie in den westlichen Industrienationen halbwegs stattfand.
Die politische Gestalt des Islam wird im Westen als rückschrittlich empfunden, weil Religion für westliche Gemüter bedeutet, dass Eiferer am Werk sind. Religion heißt jedoch auch - auch im Falle des Islam! -, ethische Imperative dem pragmatischen Sachzwängen der Politik aufzuzwingen. Das sich der Westen kein ethisches Absolutum bewahrt hat, ganz schlagwortartig hier mal Gottlosigkeit genannt, empfindet die muslimische Welt als rückschrittlich, als archaisches Schauspiel, in dem die menschliche Gesellschaft von allerlei gottlosen, weil unethischen Handlungsweisen, belastet war. Erst die Schaffung eines religiösen Systems hat mehr oder weniger annähernde Ordnung erzeugt. Der Westen hat dieses Ordnungssystem aufgegeben, allerdings ersatzweise keine laizistische Ordnung entworfen. Zwar würde der Westen da widersprechen und auf Verfassungen und verbürgte Rechte zeigen, aber das würde man als Menschenwerk, also nicht für die Ewigkeit bestimmt abtun. Und das was die muslimische Welt vom Westen gezeigt bekam in Sachen Ewigkeitsanspruch und Verbindlichkeit humanitären Denkens, gibt dieser Einschränkung durchaus recht.
Die eurozentristische Arroganz
Selbst Emmanuel Todd, eigentlich unverdächtig dafür, den Mediensprech undurchdacht zu wiederkäuen, läßt sich dazu hinreißen, die Werte des Westens für universell zu erklären. Die arabische Welt ist viel moderner als wir glauben, meint er. Das macht er daran fest: die muslimische Welt will schon seit Jahren die Werte des Westens für sich in Anspruch nehmen - und der arabische Frühling sei als der Befreiungsschlag zu sehen, der diesen Anspruch erfüllen soll. Richtig ist sicherlich schon, dass westliche Werte in die muslimische Welt hineinstrahlen, mit welchem Absolutheitsanspruch man allerdings diesen Umstand mit Modernität in Verbindung bringen kann, bleibt Todd hier als Erklärung schuldig. Wenn selbst Todd so überzeugt ist von der Überlegenheit westlicher Werte, wie kann man dann von Herrn Omnes, vom normalen Bürger, erwarten, dass er dieses Überlegenheitsgefühl zunächst überdenkt?
Das Gefühl der Überlegenheit ist es, mit dem wir auf die arabische Welt nach der Revolution blicken. Für uns sieht es nun so aus, als würde die muslimische Welt nach der Despotie wiederum ein Stück von der angeblich modernen Welt abrücken, weil sie die Islamisten in die politische Verantwortung manövriert. Die lehnen angeblich Individualismus, die Gleichheit der Geschlechter und politische Transparenz ab. Man folgt Leuten, für die Politik religiös und Religion politisch ist. Der Westen ist sicher daher sicher: Rückschritt! Enttäuschung! Mit Mubarak und Ben Ali lehnte man sich wenigstens am Westen an.
Die Denkweise dahinter
Mubarak und Konsorten waren das arabische Aushängeschild des Westens. Fragte man nach westlichen Werten, würde den Menschen dieser Weltregion einiges einfallen: Korruption, Klüngelei, Folter, Geheimpolizei, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Ausbeutung der Ressourcen. Das was der Westen als große Errungenschaften in die Waagschale wirft, ist für die Menschen dort überhaupt nicht fassbar. Sie kennen eine westliche Politik, die Menschenrechte predigt und Lynch-, Rache- und Geopolitik parlamentarisch verabschiedet. Die Muslime erlebten und erleben den Westen als eine Idee - der Westen ist ja tatsächlich Idee, nicht Weltregion oder Kultur im klassischen Sinne -, in der es entweder gar keine oder nur brutale, weil materielle Wertvorstellungen gibt. Als eine paradoxe Idee, die so sagt, aber anders macht. Und sie lernten die westlichen Paradedisziplinen kennen: Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. Überspitzt könnte man sagen: der arabische Frühling war nicht die Manifestation einer modern nach Westen blickenden muslimischen Welt - es war das Bekenntnis, von Despoten, die im Namen des Westens den Westen hofierten und ins Land holten, endgültig die Schnauze voll zu haben.
Wir haben so wenig von diesem Kulturkreis, der an unserer Peripherie existiert, begriffen, dass wir die Unruhen im arabischen Raum falsch interpretiert haben. Wir meinten, die Moslems wollten westlich oder europäisch werden, sich Ideen bei uns abholen - in Wahrheit ist es das glatte Gegenteil. Es war eine Abkehr von einer Machtelite, die man als durch und durch (pro-)westlich, als im Bunde mit den wutentbrannten Barbaren des Westens, die weder Anstand noch Moral kennen, am eigenen Leib empfand. Die Islamisten - was sind Islamisten denn überhaupt?; was soll der Begriff aussagen? - sind nicht hintertückischen Nutznießer der Revolution, sie sind in gewisser Weise durchaus logisches Resultat. Der Westen hat nun genug Marionetten gespielt...
Der Rückschritt des Westens aus Sicht des Islam
Natürlich fällt es aus westlicher Sicht schwer, Politik und Religion als eine Einheit zu akzeptieren. Wir tun das lediglich, wenn der Dalai Lama spricht - wir revoltieren auch nicht, wenn ein texanischer US-Präsident seine Außenpolitik evangelikal verbrämt. Da haben wir ein dickes Fell. Der Islam jedoch darf sich seine historische Verwebung von religiös untermauerter Politik nicht leisten. Die Säkularisierung sei das Mindeste, was man von der muslimischen Welt fordern könne, ist man sich fast unisono einig. Keine Rede davon, ob das die Menschen dort überhaupt wollen - selbst für den Westen aufgeklärte Muslime, nehmen wir mal Schirin Ebadi, die dem religiösen Fanatismus ihres Heimatlandes entflohen ist, spricht sich nicht für eine Entislamisierung der Politik aus, nur für mehr religiöse Toleranz. Die Säkularisierung des Westens hatte historische Gründe - die müssen für die muslimische Welt nicht zwangsläufig auch auftreten; die Säkularisierung ist keine geschichtliche Notwendigkeit, nur weil sie in den westlichen Industrienationen halbwegs stattfand.
Die politische Gestalt des Islam wird im Westen als rückschrittlich empfunden, weil Religion für westliche Gemüter bedeutet, dass Eiferer am Werk sind. Religion heißt jedoch auch - auch im Falle des Islam! -, ethische Imperative dem pragmatischen Sachzwängen der Politik aufzuzwingen. Das sich der Westen kein ethisches Absolutum bewahrt hat, ganz schlagwortartig hier mal Gottlosigkeit genannt, empfindet die muslimische Welt als rückschrittlich, als archaisches Schauspiel, in dem die menschliche Gesellschaft von allerlei gottlosen, weil unethischen Handlungsweisen, belastet war. Erst die Schaffung eines religiösen Systems hat mehr oder weniger annähernde Ordnung erzeugt. Der Westen hat dieses Ordnungssystem aufgegeben, allerdings ersatzweise keine laizistische Ordnung entworfen. Zwar würde der Westen da widersprechen und auf Verfassungen und verbürgte Rechte zeigen, aber das würde man als Menschenwerk, also nicht für die Ewigkeit bestimmt abtun. Und das was die muslimische Welt vom Westen gezeigt bekam in Sachen Ewigkeitsanspruch und Verbindlichkeit humanitären Denkens, gibt dieser Einschränkung durchaus recht.