Junge Welt, 23.07.2013
Bundesregierung mit ihrem »Sparkurs« auf G-20-Treffen in Moskau abgeblitzt. Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht und zur Stützung der Schwellenländer diskutiert
In der Euro-Zone hatte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble allen Krisenländern erfolgreich seinen »Sparkurs« aufgenötigt – mit denn bekannten Folgen. Jenseits dieses deutschen Hinterhofs gerät Berlin mit seinen Forderungen nach strikten Defizit- und Sparzielen allerdings immer mehr in die Defensive. Schon vor dem Treffen der Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) am Freitag und Sonnabend in Moskau, konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), daß die Bundesregierung sich mit ihren Forderungen »nach klaren Nachfolgeregeln für die 2010 in Toronto vereinbarten Ziele zum Defizit- und Schuldenabbau« nicht durchsetzen werden könne. Absicht war, daß jedes G-20-Land zu »landesspezifischen« Sparzielen verpflichten werde, wie das Wall Street Journal (WSJ) berichtete.
Auf dem Moskauer Treffen widersprach Schäuble seiner eigenen politischen Linie und verkündete das Gegenteil: Laut Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte der selbsternannte Sparkommissar, die wichtigste Aufgabe, die vor den G-20-Staaten liege, bestehe in der »Stärkung des Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen«. Grund: Das »globale Wachstum« sei »moderat und die Erholung (der Konjunktur, jW) fragil«, so Schäuble.
Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann räumte bei dem Treffen ein, daß sich die Lage der Weltwirtschaft »bewölkt« habe. Dennoch sah Weidmann in der Euro-Zone, die aufgrund ihrer langanhaltenden Rezession stark zur Verunsicherung der Weltwirtschaft beiträgt, Anzeichen einer »Stabilisierung«.
Die Kehrtwende des deutschen Finanzministers war dem massiven Druck der meisten G-20-Länder geschuldet. Berlin kam »unter Beschuß« durch viele Mitgliedsstaaten, insbesondere »die USA und Südkorea«, berichtete Bloomberg. Diese hätten die Bundesregierung gedrängt, in der Euro-Zone endlich »Wachstum gegenüber Schuldenabbau zu priorisieren«. Es sei nur eine »kleine Minderheit im Kreis der großen Industrie- und Schwellenländer« gewesen, die die deutsche Haltung teilte, umschrieb die FAZ die Isolierung Berlins in dieser Frage. Der Widerstand sei vor allem von den »Vereinigten Staaten« ausgegangen, die aufgrund ihrer besseren konjunkturellen Entwicklung zum G-20-Gipfel »mal wieder als Lehrmeister« aufträten, so die FAZ. Das Blatt zitierte die stellvertretende US-Finanzministerin Lael Brainard, die im Gipfelvorfeld eine massive Stärkung der Binnennachfrage in der BRD gefordert hatte: »Mitten in Europa gibt es immer noch eine Wirtschaft, die einen Leistungsbilanzüberschuß von sechs Prozent und mehr hat.«
Die Ergebnisse von Moskau stellten einen »Sieg für die Vereinigten Staaten« dar, konstatierte das WSJ. Neben Washington hätten laut Neuer Zürcher Zeitung (NZZ) auch die Schwellenländer für eine »Balance« zwischen Wirtschaftswachstum und Haushaltskonsolidierung plädiert, was für gewöhnlich »als Euphemismus für eine Ablehnung strikter Sanierungspläne zu lesen« sei. Beim Finanzministertreffen seien zwar keine konkreten Maßnahmen vereinbart worden, doch dienten die Ergebnisse als Grundlage für einen »Aktionsplan«, der im September auf dem »Gipfel der Staats- und Regierungschefs in St. Petersburg« beschlossen werden solle, erläuterte die NZZ. Die Debatte zwischen den Befürwortern von »Wachstum und Austerität ist vorbei«, brachte ein US-Regierungsvertreter den sich abzeichnenden Schwenk zur aktiven Konjunkturpolitik innerhalb der G 20 gegenüber der New York Times auf den Punkt.
Daneben war das Treffen durch Forderungen der Schwellenländer nach einer Eindämmung der destruktiven Nebeneffekte US-amerikanischer Geldpolitik geprägt. Deren Finanzminister pochten vor allem auf Maßnahmen, um drohende Marktturbulenzen abzumildern, die im Fall eines Rückzugs der US-Notenbank aus ihrem Anleiheaufkaufprogramm (Quantitative Easing) einsetzen dürften. In diesem Fall drohen den Schwellenländern massive Kapitalabflüsse, Währungsabwertungen und ein regelrechter Zinsschock, wie die jüngsten Verwerfungen auf den Weltfinanzmärkten illustrierten (siehe jW vom 10. Juli). Die G-20 müßten Wege finden, die »Verringerung der monetären Stimulanzprogramme zu koordinieren«, forderte der südkoreanische Finanzminister Hyun Oh Seok. Die Reduzierung der Gelddruckerei durch die US-Notenbank Fed stelle einen »Risikofaktor« dar, der das »Wachstum in anderen Ländern« bedrohe. Hyun plädierte konkret für den Aufbau finanzpolitischer »regionaler Sicherheitsnetze«, die in einem solchen Fall greifen sollten. Konkretes kam jedoch dabei nicht heraus: Künftige Änderungen der Geldpolitik würden »umsichtig kalibriert und klar kommuniziert«, hieß es nichtssagend in der Abschlußerklärung.
Schließlich haben sich die G 20 medienwirksam auf einen Aktionsplan gegen Steuerflucht geeinigt, der vor allem auf eine höhere Besteuerung transnationaler Konzerne wie Apple oder Google abzielt. Die international agierenden Multis sollten einen »fairen Anteil« am Steueraufkommen leisten, kommentierte Angel Gurria von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das Maßnahmenpaket. Dabei gehe es aber gerade nicht um die internationale »Vereinheitlichung von Steuersätzen«, so Gurria. Statt dessen sollen nur die Möglichkeiten der Multis beschränkt werden, Gewinne innerhalb des Konzerns solange zwischen nationalen Tochtergesellschaften zu transferieren, bis die Steuerlast minimiert ist. Rund 160 Milliarden Euro entgingen Schätzungen zufolge den Finanzämtern durch dieses grenzüberschreitende »Armrechnen« der transnationalen Konzerne jährlich.
Zu den G 20 zählen in der Reihenfolge nach Wirtschaftsleistung: USA, China, Japan, BRD, Frankreich, Brasilien, Großbritannien, Italien, Rußland, Kanada, Indien, Australien, Mexiko, Südkorea, Indonesien, Türkei, Saudi-Arabien, Argentinien, Südafrika. Hinzu kommt die EU für ihre restlichen 23 Mitgliedstaaten