Es ist ein hartnäckiges Gerücht, dass sich bei Uninformierten hält: RTL ist mitnichten der konzipierte Sender für Hartz IV-Empfänger, Ungebildete oder andere prekarisierte Gesellschaftsschichten! Eigentlich ist es nicht nur die Bewahrung eines Gerüchtes, wenn man das behauptet - es ist Rufmord an denen, die man arroganterweise als Unterschicht bezeichnen könnte. Die schaut natürlich auch RTL - und möglicherweise sogar überproportional häufiger als der Mittelstandsbauch. Aber das ist ein nebenher zufällig erzeugter, vielleicht nicht mal bewusst gewollter Effekt. RTL bedient nicht das Prekariat, es serviert der Mittelschicht, überdies sogar der besser situierten Mittelschicht, ein bunt gewürfeltes Programm der Eintönigkeit.
Beratung für den Mittelstand
Nachrichten und Neuigkeiten flimmern dort als eine schlecht getarnte Form von konsumistischer Lebensberatung über die Mattscheibe. Man bekommt erklärt, welches Produkt wie günstig und wie gut ist - Lohnt sich der Kauf? - Wohin in den Urlaub? Empfehlung für das Wochenende: Gehen Sie in einen Freizeitpark! Der Freizeitpark Soundso hat zufälligerweise diese Woche eine Sonderaktion! - Sinnvoll für die Zukunft: Privat rentenversichern! Mehr Infos finden Sie online! - Wie Sie sich bei der Hitze im Büro abkühlen können! - Darf ich im Büro EM gucken? Beratung und Verkaufsanreize, Konsum und Verlockung...
All das ist nicht für jene Klientel gedacht und gemacht, die man als Hartz IV-Empfängerschaft bezeichnet - es richtet sich an die, die finanzielle Substanz aufbringen, die sich ernsthaft Gedanken um Urlaub und tägliche Kaufräusche machen können, die in einem Büro anschaffen dürfen; es richtet sich an jenen Teil der Mittelschicht, bei dem die Prekarisierung des Arbeitslebens noch nicht eingetroffen, bei dem der Rahm abschöpfbar ist. Es ist der Wohlstandsbauch, der hier gekitzelt und gebauchbinselt wird. An dessen Speck richtet sich die lebensberatende und hedonistische Botschaft des Senders - nicht an die vermeintlich vor dem Fernseher geparkten Wampen von Arbeitslosen, Niedriglöhnern oder Bildungsfernen.
Klischeebestätigung für den Mittelstand
Nachmittags unterhält sich das Publikum mit gescripteter Reality. Die dient nicht etwa dafür, den Erwerbslosen künstliche Hartz IV-Empfänger nach Drehbuch vor die Nase zu setzen. Nichts was die Gestelltheit dieser Konzepte abwirft, kommt wirklichen Bezieherun des Arbeitslosengeldes II bekannt vor - nichts stimmt auch nur ansatzweise mit deren Wirklichkeit überein. Speckige Haushalte sind nicht per se nur Hartz IV-Haushalte; ein Leben in Saus und Braus, etwa Kurzurlaube oder Wellness-Erlebnisse, kommen unter Transferbeziehern wohl sehr selten vor. Und aus dem Hut gezauberte Bewerbungsgespräche auf Mallorca wohl eher auch. Es sind billige Klischees, die so überspitzt geschauspielert werden, dass sie den wirklichen Arbeitslosen total entfremdet sind. Das dient nicht den prekarisierten Schichten, sondern dem mittelschichtigen Zuseher vor der Glotze, der einen ganz besonderen Blick auf die Unterschichten wirft. RTL ist der Dienstleister; er serviert elitäre Luftschlösser, in denen Erwerbslose als dreckig, faul und dennoch vermögend gezeichnet werden. Der "Asoziale", wie ihn das Klischee kennt, ist nicht das Fabrikat aus Brennpunkten - er ist Kopfgeburt stümperhafter Drehbuchautoren, die dem mittelschichtigen und gutsituierten Publikum Klischees bestätigen wollen.
Mitten im Leben ist nicht die Unterhaltung für Menschen, die arbeitslos sind - es ist kein Konzept, das die Problematiken von Arbeitslosen auch nur streift, sondern von ihnen ablenkt, um sie in den spießbürgerlichen Kanon der Mittelschicht zu packen, in dem man nachlesen kann, dass alle Arbeitslosen verblödet, faul, ungepflegt oder kriminell sind. Der betuchte Mittelstand, der die Zeit aufwendet, nachmittags vor dem TV-Gerät zu hocken, wird unterhalten, bestätigt und je und je auf Stereotype abgerichtet.
Schau göttlicher Auserwähltheit
Auch das vermeintlich abgesicherte Leben der Mittelschicht will aufschauen. Sie tut das am Vorabend, wo man regelmäßig über den Superreichtum "informiert" wird. Millionen sind nicht der Rede wert, Milliarden machen Themasetzung bei RTL. Das bedient nicht Leute, die schon froh wären, wenn sie tagsdrauf ohne zu viele Blicke in den klammen Geldbeutel einkaufen könnten. Das ist der Traum einer Gesellschaftsschicht, die relativ satt und abgesichert ist. Superreichtum wäre für manchen Hartz IV-Empfänger wahrscheinlich schon, sich zum Abendessen ein dickes Rindersteak zu leisten.
Von Reichtum zu berichten, der so maßlos ist, dass man ihn sich kaum vorstellen kann, ist nicht der Feuchttraum der Armut - ihr reichte Absicherung durch Anstellung und ein kleines Gehalt. Der potente Mittelstand, der selbst so hat, dass er leben, dass er urlauben und freizeiten kann, wird bedient. Er soll träumen, noch mehr urlauben und freizeiten zu können. Leute wie Gates und Jobs, die bei RTL Dauerbrenner sind, sind die Helden einer konsumistischen und hedonistischen Schicht und ihrer Medienanstalten - für einen Boulevard der Calvin verinnerlicht hat, wonach prädestiniert ist, wer Geld hortet. Wenn RTL dem Mittelstand den Superreichtum aufzeigt, über dessen Villen, Schiffe und Golfanlagen berichtet, dann ist das eine Schau in die himmlische oder gar göttliche Auserwähltheit eines konsumistischen Lebensgefühls - dann ist das der Ringelpiez hedonistischer Heiligengestalten. Dort huldigt man der Ikonen des Mittelstandes. Zwar mag sich auch der Hartz IV-Empfänger daran ergötzen, aber der braucht zur Ergötzung weitaus weniger.
Gesindelfreier Abend
Im Nachmittagsprogramm spult man den Hartz IV-Stereotyp ab. Was Leben am Regelsatz bedeutet, ist dort jedoch nicht Thema - auch die soziale Exklusion wird nicht beachtet. Dafür fickt, säuft, betrügt sich ein Pack durch die Sendung, das zufälligerweise keine Arbeit hat - conclusio daraus: ohne Arbeit lebt man so! Am Abend, nachdem sich die mittelschichtige Sendergemeinde über das Gesindel empört und belustigt hat, wird der RTL-Garten verriegelt - Zutritt für Arbeitslose verboten! Für echte Arbeitslose natürlich - ab und an darf ein Medien-Arbeitsloser doch auftreten. Stern TV berichtet dann von einem Mann, der seit Jahrzehnten nicht mehr arbeitete und das auch vehement als Lebensmodell vertritt. Der gilt dann pars pro toto. Der wirkliche Arbeitslose ist allerdings unterrepräsentiert.
Bei Wer wird Millionär? findet sich meist Mittelstand oder jedenfalls der zukünftige, Studenten also, die bei der sozialen Balance des deutschen Bildungswesens mit großer Wahrscheinlichkeit aus besserem Hause stammen. Arbeitslose sind rare Gestalten bei WWM. Und das, obwohl nach offiziellen Angaben rund sieben Prozent der hier lebenden Menschen arbeitslos sind. Weitaus mehr als Ärzte oder Anwälte, weitaus mehr als IT-Experten oder Sekretärinnen. Die kommen in der Sendung allerdings weitaus häufiger vor. Das mag an den Auswahlkriterien liegen, könnte man nun einwenden - dass man aber keinerlei Anstalten macht, die Kriterien durchlässiger zu machen, wenn es denn so wäre, liegt auf der Hand. Wo es etwas zu gewinnen gibt, da gibt es das Wort Arbeitslosigkeit nicht. Kein Unterschichtler geht bei RTL aufgrund Gewinns aus seiner Armut - wohl aber mancher Angehöriger der Mittelschicht in eine noch besser abgesicherte Zukunft. Almosen kann er haben, wenn er nachmittags ein Klischee nachspielt, das er in seinem realen Leben so gar nicht kennt, das er dem RTL-Konsumenten nun aber verkaufen soll.
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