Routine killt die Rampensau

Schon lange wollte ich mal ganz privat und ganz entspannt über ein persönliches Phänomen schreiben, das vielleicht nichts besonderes ist, mich selbst aber ziemlich erstaunt. Das Phänomen nämlich, dass ich bei meiner Arbeit im Radio zwar immer noch das Lampenfieber kenne, aber praktisch kein Geltungsbedürfnis mehr habe. Wenn ich ehrlich bin, passt das eigentlich nicht zu mir.

Irgendwie war ich immer eine Rampensau. Schon als ich klein war, musste ich entweder mit dem Spielen auf dem Keyboard oder mit Witzen und sonstigen humoristischen Einlagen meine Familie oder Freunde beeindrucken. Vielleicht ist das als Kind ganz normal, und vor allem, wenn man bestärkt wird, möchte man auch künftig gesehen und beachtet werden. Dabei konnte ich wirklich nicht gut Keyboard spielen, und ich kann es bis heute nicht. Auch als ich mit 10 Jahren anfing, meine ersten politischen Kommentare zu schreiben, oder Zusammenfassungen aktueller Ereignisse wie der iranischen oder der nikaraguanischen Revolution zu verfassen, ohne freilich von den eigentlichen Problemen der Länder irgend etwas zu verstehen, erntete ich Beifall im Familien- und Freundeskreis. Die Reihe ließe sich über die Karnevals- und Musikveranstaltungen der Schule, bis hin zu der jährlichen Talentenjagd in meiner zweiten niederländischen Heimat Heelderpeel fortsetzen. Ich genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und bei den Menschen eine Reaktion hervorzurufen, das gab mir ein Selbstwertgefühl, das ich im Alltagsleben der Schule oft nicht besaß, nicht wegen meiner schulischen Leistungen, sondern wegen der sozialen Stellung.

1994 machte ich ein einwöchiges Praktikum beim heimatlichen Lokalsender Radio RSG in Solingen. Natürlich war es mein Ziel, am Mikrofon zu sprechen und eigene Texte zu lesen, aber dazu kam es nicht. Trotzdem durfte ich vorgefertigte Texte einsprechen, und ich nahm die Sendungen auf dem heimischen Kassettenrekorder auf, um sie zu archivieren.

Ab 1998 war ich Pressesprecher eines lokalen Behindertenvereins in Marburg, und das ermöglichte mir, im Radio gehört zu werden, in die Zeitung zu kommen und einmal sogar im Fernsehen aufzutauchen. Für mich, obschon damals bereits erwachsen, waren dies Großereignisse, und ich hoffte immer auf Reaktionen. Es war der Wunsch, wahrgenommen zu werden, etwas bewegen zu können und Anerkennung zu erhalten, die ich sonst oft schmerzlich vermisste.

Als ich dann 2002 ganz plötzlich zum marburger Lokalsender “Radio unerhört Marburg” kam, wurde das noch intensiver. Mit einem Freund zusammen gestaltete ich eine Sendung für blinde und sehbehinderte Menschen in Marburg, und ich konnte Behindertenpolitik und Radio verbinden. Ich war in meinem Element. Ich weiß noch, wie ich die ersten Sendungen aufzeichnete und jedem vorspielte, der sie hören wollte, und manchmal vielleicht auch Menschen, die sie gar nicht hören wollten. Ich musste unbedingt zeigen, dass ich etwas geleistet hatte. Ich wollte unbedingt hören, dass ich professionell klang. Das Interview mit dem Bundesbehindertenbeauftragten, aber auch mit einem Aktivisten der Behindertenbewegung waren für mich fast historische Highlights. Als mein Freund dann den Schauspieler Bodo Primus für uns ans Telefon bekam, war ich neidisch darüber, dass es mir nicht gelungen war, mit einer so bekannten Persönlichkeit zu sprechen bzw. das Interview zu arrangieren.

Ab 2003 hatte ich bei Radio Unerhört meine eigene Musiksendung, in der ich versuchte, Menschen zu abendlicher Stunde friedlich zu unterhalten. In der linken Redaktion des Senders hielt man erniedrigende Kritik für positiv und einen Segen. Als meine Sendung von einem dieser Möchtegernprofis als “käsiges Hollandmagazin mit seichter Musik und einem Moderator, der sich für einfühlsam hält” charakterisiert wurde, war ich schwer persönlich getroffen, und ich habe das während meiner gesamten Zeit bei dem Sender nicht so recht verwunden. Zu meinem Geltungsdrang kam dann auch noch ein extrem dünnes Fell.

Und dann entstand der Ohrfunk. Er wurde zu meinem größten Radioabenteuer. Schnell stellte ich fest, dass ich mit gleich mehreren Rampensäuen an dem Projekt arbeitete. Jedes Interview, das ich führte, jede Sendung, die ich produzierte, sollte etwas Besonderes sein. Wenn unsere Oberen öffentlich über den Sender sprachen, wollte ich erwähnt werden, wollte ein Stützpfeiler des Senders sein, wollte besonders wertvolle Beiträge liefern, mich beweisen und etwas leisten. Ich wollte, dass man meine Fähigkeiten bemerkte. Aber gleichzeitig war mir der Teamgeist und Bescheidenheit wichtig. Ich selbst sprach, wenn ich über den Sender redete, fast nie von meinen eigenen Aktivitäten, ich lobte die Kollegen. Aber mein Bestreben war es schon, überall vorne dabei zu sein. Mein Freund, mit dem ich die Sendung im marburger Lokalradio gemacht hatte, erzählte einmal, dass er besonders faszinierend fand, dass man bei der Produktion einer Radiosendung in ein Mikrofon sprach, und hunderte oder tausende von Menschen konnten es hören. Diese Faszination hat ihn und auch mich nie verlassen. Man sagt etwas, und irgendwo draußen im Lande wird man gehört. Vielleicht unterhalten sich Menschen über das, was sie hören, vielleicht decken sie den Frühstückstisch, während die Musik im Hintergrund läuft, vielleicht sitzen sie beim Kaffee, und man selbst spricht zu ihnen, regt ihren Geist an, unterhält sie. Ein wirklich toller und schöner Gedanke.

Während meiner Arbeit für den Ohrfunk kam noch der starke Wunsch hinzu, Menschen zu informieren. Ich wollte, dass meine Interviews gehört wurden, ich wollte, dass meine Kollegen merkten, dass ich mir große Mühe gab, dass ich ein wertvolles Mitglied des Teams war. Und immer wieder ärgerte es mich, wenn ich bei Hörbeispielen, die wir für andere Sender machten, übergangen wurde.

Ich kann mich noch an eine Live-Party des ganzen Ohrfunkteams im Mai 2006 in Hamburg erinnern. Wir hatten an diesem Tag unsere Jahreshauptversammlung abgehalten und grillten abends zusammen und sozusagen mit den Hörerinnen und Hörern. Es war ein Abend, an dem ich immer wieder versuchte, vor das Mikrofon zu kommen, besonders witzig oder interessant zu sein. Wieder hatte mich die Faszination gepackt, auf einer Terrasse in Hamburg zu sprechen und theoretisch überall auf der Welt gehört werden zu können. Wenn ich heute die Aufnahmen von jenem Abend höre, merke ich zwar kaum etwas von meinen Bemühungen, auch damals hatte ich meinen Geltungsdrang schon unter Kontrolle, aber ich weiß, dass es damals so war.

Dieselbe Situation ergab sich 4 Jahre später in Marburg. Wieder gab es eine Party mit Grillen bei unserer Jahreshauptversammlung. Eine Kollegin, die bei mehreren Sendern arbeitet und für ihre Unterhaltungssendungen und Künstlerportraits sehr hoch gelobt wird, rannte bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Mikrofon, es fiel sehr stark auf. Und was das Entscheidende war, es fiel mir unangenehm auf. Ich selbst antwortete, wenn man mich fragte, nicht mehr, nicht weniger.

Als ich bei Ohrfunk anfing, wollte ich viel moderieren, der Frontmann der Sendungen sein. Heute schreibe ich hauptsächlich Beiträge, viele davon lasse ich von Anderen lesen, und ich betreue die Sendungen meiner Liebsten technisch. Eine Musiksendung mache ich derzeit noch selbst, und einmal in der Woche lese ich meinen eigenen Kommentar auf. Das war es in der Regel. Nein, ein Infomagazin am Freitag präsentiere ich auch, aber gegen meinen Willen, und weil kein anderer Moderator zur Verfügung steht.

Was hat sich geändert?

Es war, glaube ich, die Fülle an Aufgaben und die Tatsache, dass die Existenz des Senders zunehmend von jedem Einzelnen von uns abhing. Eitelkeiten waren mit der Zeit fehl am Platz, und wenn man wöchentlich drei oder vier Interviews führte, drei oder vier Sendungen produzierte, Veranstaltungen besuchte, Sendungen schnitt, Servicetipps zusammen suchte, aufbereitete und einsprach, dann legte sich mit der Zeit der Wunsch, immer im Rampenlicht zu stehen und machte dem Wunsch platz, rechtzeitig fertig zu werden und die Sendungen mit Inhalt zu füllen, dafür zu sorgen, dass die Kollegen, die die Sendung moderierten, nicht mit leeren Händen vor dem Mikrofon saßen. Für das Gelingen eines guten Programms war es nicht so sehr notwendig, dass ich am Mikrofon saß und in der Welt zu hören war. Viel wichtiger war der Gesamteindruck des Senders und des Teams. Die Programmautomation musste klappen, die Übergänge funktionieren, Moderatoren mussten mit genügend redaktionellen Informationen zu den Beiträgen versorgt werden, und dies alles musste regelmäßig und zuverlässig geschehen. Ich lernte den Respekt vor den Menschen, die im Hintergrund arbeiten und selten dafür gelobt werden.

In den letzten jahren habe ich mein öffentliches Geltungsbedürfnis gründlich und praktisch vollständig eingebüßt. Mir geht es vielmehr darum, Informationen zu vermitteln und vor allem Zusammenhänge darzustellen. Ich habe mal ein Feature darüber gemacht, wie unsere Infosendung entsteht. Dabei war vor allem die Teamarbeit und die Arbeitsweise entscheidend. Der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen, ist verschwunden. Zufriedenheit über rechtzeitig fertiggestellte Beiträge, über solide geleistete Arbeit, ist an seine Stelle getreten. Das ist beiweitem nicht so aufregend, und die Routine ist ein mühsames Brot. Man sieht keine schnellen Erfolge, man tut nichts spektakuläres. Die meiste zeit verbringt man hinter den Kulissen. Irgendwie bewerte ich auch die Qualität meiner Arbeit neu. Gute journalistische Arbeit sind nützliche Infos, Infos, bei denen Leuten ein Licht aufgeht, Infos, die zur Diskussion anregen. Natürlich ist es immer noch schön, wenn sie mit meinem Namen verknüpft sind, aber es ist nicht mehr zwingend. Und ich glaube, ich habe das Vordrängeln völlig verlernt, und das Wegschupsen Anderer war mir schon immer ein Dorn im Auge.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass Menschen, die nicht zur Selbstinszenierung neigen, auch in ihrer Arbeit oft übersehen werden. Sie erhalten selten Feedback und wissen oft nicht, wie das, was sie tun, bei ihrer Zielgruppe ankommt, ob sie etwas anders oder besser machen könnten. So geht es mir oft auch. Früher habe ich zwar zur Selbstdarstellung geneigt, habe sie aber nie beherrscht. Es gab auch beim Ohrfunk immer Kolleginnen und Kollegen, die das wesentlich besser konnten, und die für manchmal schöne, aber seichte Unterhaltung immer schon mehr Anerkennung bekamen, als meine Infokollegen und ich für möglichst tiefgehende Information. Vielleicht eignet sich Selbstdarstellung auch nicht für einen Inforedakteur.

Im Großen und Ganzen finde ich es entspannter, wie es jetzt ist. Ich mache meine Arbeit, ich mache sie im wesentlichen gern, und ich freue mich, wenn der Sender nach außen professionell wirkt und ich dazu beitragen kann. Keine meiner eigenen Sendungen regt mich mehr besonders auf, ich laufe niemandem mehr nach, um sie jemandem vorzuspielen. In der Regel empfinde ich keinen echten Stolz mehr über das, was ich tue, sondern eine normale Zufriedenheit. Auch die Ansprüche haben sich geändert. Sollen Andere das Radio nach außen repräsentieren. Mir ist wichtig, dass ich für Kollegen und Freunde ein zuverlässiger und verlässlicher Mensch bin. Auch mein technischer und inhaltlicher Perfektionismus hat sich versachlicht.

Schuld an diesen Veränderungen in mir ist die Routine, die ganz andere Eigenschaften erfordert als ein besonderer Auftritt, oder eine extravagante Präsentation. Ich kann noch so coole Sprüche in einer Moderation drauf haben, wenn keine Beiträge da sind, stehe ich dumm da. Es ist super, einen besonders spannenden Interviewpartner zu haben, aber jede Woche oder gar jeden Tag funktioniert das nicht. Ich lernte Bescheidenheit angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die ich habe. Und ich lernte, dass Andere besser an der Front und in der Öffentlichkeit stehen können als ich, so gern ich das manchmal immer noch tue. Der Drang hat aber massiv nachgelassen. Radio hat aufgehört, eine tägliche Faszination zu sein, es ist ein Job, einer allerdings immer noch, mit dem es in kleinem Rahmen möglich ist, etwas zu bewegen. Nicht in der Gesellschaft als Ganzes, sondern bei einzelnen Menschen, die ein Beitrag zum Nachdenken anregt. Damit will ich zufrieden sein.


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