Rotschlamm

Von Qohelet17

Sziasztok, liebe Leser!

Ja, ihr habt es schon richtig erkannt: „Sziasztok“ ist ungarisch. Man kann es mit einem etwas saloppen „Grüß euch!“ übersetzen. Ebenfalls ja – ich habe bereits mit dem Ungarischkurs begonnen und werde in den nächsten Artikeln auch etwas zur Sprachverirrung beitragen

„Wer eine Reise tut, der hat was zu verzählen“, sagt der Volksmund und der Mario reist bekanntlich oft und gerne.

Dieses Mal hat es mich ins schöne Ajka verschlagen (augesprochen: Åjkå, das normale “A“ wird im Ungarischen tief ausgesprochen und das im deutschen Sprachgebrauch übliche “A“ schreibt man als “Á“).

Vor einigen Monaten waren die Zeitungen voll von Berichten über die Katastrophe, die sich in diesem Gebiet ereignet hat. Für diejenigen, deren Zeitungen nicht voll davon waren oder die keine Zeitungen lesen ein Kurzüberblick:

Nahe der Stadt Ajka liegt ein Aluminiumwerk, das neben dem allseits beliebten Metall auch weniger beliebte Nebenprodukte als – nennen wir es „Späne“ produziert (Wo gehobelt wird fallen diese ja bekanntlich).

Aluminium war im 19. Jahrhundert aufgrund der ineffizienten Herstellung teurer als Gold und der französische Hof prahlte damit, dass man dort das Essen mit Aluminiumbesteck genießen könne.

Weitaus einfacher und billiger war die Herstellung mithilfe des Bauxit-Erzes, welches neben Aluminium auch Eisen oder Titan enthalten kann. Die im reinen Aluminium eventuell störenden anderen Elemente sollten nach Möglichkeit entfernt werden – dies geschieht u.A. durch das Erhitzen in Natronlauge. Was -wie der Bildungsbürger feststellt- die ganze Sache etwas basisch (also keine Säure, aber ähnlich) macht.

Das Verhältnis zwischen gewonnenem Aluminium und dem entstehenden Abfallprodukt, das als Rotschlamm bezeichnet wird ist in Europa etwa 1:3,5.

Der „Gatsch“, wie man dazu auf österreichisch sagen würde wird auch recht „österreichisch“ gehandhabt. Man sitzt das Problem so lange aus, bis es sich selbst „löst“.

Entweder nützt man die anfallende Natronlauge nochmals oder lässt sich etwas einfallen, was man mit den erzeugten Metallverbindungen macht. Das „rote“ im Rotschlamm ist beispielsweise eine Rost-Verbindung.

Auf Google Maps sieht alles noch schön friedlich aus

So gern man unendlich viel Aluminium erzeugen würde, so einfach wird man auch mit den grenzen der realen Welt konfrontiert – es gibt schlicht und einfach nicht genügend Platz für ungefähr 3,5x unendlich mehr Rotschlamm als Aluminium.

Aber wie man sich auch in der Mathematik an die Unendlichkeit annähern kann, so versucht man das auch in der Realität.

In einem Becken das für 300.000 Liter Rotschlamm konzipiert ist können beispielsweise 1.000.000 Liter ausfließen.

Hochwasser mit Rotschlamm

Am 8. Oktober war es dann auch soweit. Die Region wurde gerade von einem Hochwasser heimgesucht – und als ob das nicht schon schlimm genug wäre hat der basotoxische Dreck nicht gerade einen Beitrag zur Verbesserung der Lage geleistet…

Ich kann mich noch erinnern, wie einige ungarische Arbeitskollegen von mir am 8. Oktober reagiert haben. Soeben haben sich Meldungen über die giftigen Schwermetalle gehäuft und hin und wieder war auch kurz von Radioaktivität die Rede.

Tatsächlich hat niemals eine Gefahr durch angeblich freigesetzte radioaktive Elemente bestanden. Trotzdem zeugt diese Angst von der Unsicherheit, die dieses Unglück in die Welt gesetzt hat.

Inzwischen ist es ruhiger geworden. Anscheinend. Die Zeitungen schreiben zumindest nicht mehr darüber. Aus den Medien, aus dem Sinn.

Heute ist die Katastrophe auf den Tag genau einen Monat her. Dies habe ich zum Anlass genommen, mir alles einmal anzuschauen.

Tag 1: Samstag

Ajka - eigentlich ganz nett

Die Anreise nach Ajka gestaltete sich weitgehend unproblematisch. Das einzige Hindernis war das Finden einer Unterkunft, da weder mein Reiseführer noch das Internet besonders viel Brauchbares über diesen Ort zu bieten hatten. Glücklicherweise konnte ich in einem Lokal sofort zu den nötigen Informationen kommen und quartierte

mich in einem günstigen Motel für etwa 10 Euro ein.

Gegen Ajka lässt sich nichts sagen - ich fand's schön

Zimmer im Motel - hätt ein paar Freunden bescheid sagen sollen, dass ich mehr Platz habe

Ajka selbst hat die Katastrophe gut überstanden oder war gar nicht betroffen – die Stadt macht einen netten Eindruck, ist sauber und enthält kaum bewohnbare Betonblöcke, die für ein nicht lebensfähiges System anstatt für die Menschen gebaut wurden.

So ganz wird man den kommunistischen nie aus dem Land waschen können

Tag 2: Los geht‘s

Früh am Morgen führte mich mein Weg zum Busbahnhof, jedoch fiel mir auf einmal ein, dass ich zwar wusste, dass meine Station Kolontár hieß und wann der Bus abfuhr, aber nicht, wie die Endstation lautete, also konnte ich nicht ablesen, welchen Bus ich nehmen musste. Wenig später durfte ich feststellen, dass meine Sorge unbegründet war:

Bus nach Kolontár - schwer zu erkennen

Mit dem Einsteigen in den Bus war ich also offiziell ein Katastrophentourist.

Ankunft in Kolontár:

Schönes Kolontár...

Schon bevor der verdreckte Bus die Station erreicht hatte erkannte ich mit einem Blick aus dem Fenster, dass die Sache hier noch nicht „durchgestanden“ war. Überall am Boden lagen die Rückstände der roten Pest herum.

Straße durch Kolontár

Im ersten Moment verursachte die Umgebung den Gedanken, dass man am Balkan angelangt ist, wo die Felder durch die fruchtbare Erde rot gefärbt sind… Leider geht diese Vorstellung nicht über das Wunschdenken hinaus.

Normalität oder so ähnlich - Kinder mit Rollschuhen

In Kolontár schließlich erwartete mich etwas, das ich als „aufgeräumtes Chaos“ bezeichnen möchte. Der Ort ist immer noch teilweise in rostbraunem Rot gehalten, aber der Mensch zeigt auch unter widrigsten Lebensumständen, dass er sich nach Normalität sehnt und so waren die ersten Kolontárer, die ich gesehen habe rollschufahrende Kinder.

Vorbei an wieder aufgeräumten Höfen und bellenden Hunden wollte ich mir ein Bild der Schneise machen, die die roten Fluten zwischen Kolontár und Devecser hinterlassen haben und machte mich zu Fuß auf den Weg über die immer noch rote, matschige Straße.

Früher: Habseligkeiten - Heute: Müll am Straßenrand

Daneben – die unbrauchbaren, zu Müll gewordenen Überreste des Hab und Guts der Bevölkerung – überzogen vom allgegenwärtigen Giftfilm.

Durch die Wassermassen zerstörtes Gebiet... Überschwemmt und vergiftet

Inzwischen sehe ich, dass die Tönung meiner Schuhe immer mehr ins Rote geht. Der basische „Gatsch“ ist inzwischen so stark von Regen und Wasser verdünnt, dass ich bis auf die neue Schuhfarbe keine weiteren Schäden davontragen solle.

Rote Schuhe sind doch irgendwie cool

Auf dem Weg nach Szentkút

Auf etwa halbem Wege zwischen den beiden Ortschaften bemerke ich eine Abzweigung nach Szentkút – einem wie mir scheint kleinen Bauerndörfchen. Da in den Medien hauptsächlich von den Auswirkungen in den urbaneren Dörfern geschrieben wurde fand ich es interessant, wie wohl kleinere Bauernhausansammlungen dadurch beeinflusst worden sind und mache mich auf den Weg.

Diese Brücke hatte auch schon bessere Zeiten hinter sich

Dieser führte über eine Brücke und ich wurde auf etwas aufmerksam, was ich zuvor nicht für möglich gehalten habe – ein Bach war noch durchgehend rot gefärbt. Zwar habe ich zuvor schon einige kleinere Bäche gesehen, die allerdings doch etwas „sauberer“ waren – fast habe ich schon daran gezweifelt, ob sie noch immer so stark verseucht sein könnten – nach über einem Monat! Nun kann ich leider bestätigen: Sie sind es.

Verseuchter Bach

Im Vorbeigehen begrüße ich einige Bauern, die gerade Kohle auf einen Trabi laden mit höflichem „Jó napot kiwanok“ (Ich wünsche einen guten Tag). Sie ihrerseits fanden es recht erheiternd einmal einem Touristen zu begegnen und haben mir gleich etwas erzählt.

Die Touristen kann man sich nicht aussuchen...

Aus einem mir nicht bekannten Grund war ihr Ungarisch besser als meines und nach dem ersten Wort „Igen…“ (Ja…) war auch schon Schluss mit dem Verständnis. Zwar konnte ich noch anhängen, dass es mir gut ginge, aber das war‘s.

Doch Ungarn geben nicht so leicht auf. Sie sind ein zähes und sehr gastfreundliches Volk, das sich auch von einem Indogermanen wie mir nichts vormachen lässt. Einer der Bauern deutet mir an, dass ich doch mitkommen sollte.

Vergiftete Felder


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