Insgesamt 66,5 Prozent der Bürger haben sich bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus für die SPD, die Grünen, die Linkspartei oder die PIRATEN entschieden und damit deutlich gegen eine Regierungsbeteiligung der CDU votiert. Das hält Klaus Wowereit, der noch im Jahr 2010 ein Bündnis mit den Christdemokraten rigoros ausgeschlossen hatte, allerdings nicht davon ab, den Berlinern jetzt eine rot-schwarze Regierung vorzusetzen.
Inhaltlich ist das mehr als bedenklich: Trotz der Übereinstimmung zum Thema A100 sieht das Wahlprogramm der Berliner CDU eine ganze Reihe von Maßnahmen und Positionen vor, die den meisten Berlinern kaum gefallen werden.
Hauptsache Bürgermeister: Klaus Wowereit ist nach der Wahl nicht mehr wählerisch
Bei der Union gibt es in dieser Legislaturperiode keine positive Entwicklung und keine Innovation. Sie hat nichts dazugelernt, verharrt in alten Denkmustern und es gibt keine Ansatzpunkte für eine Koalition.
Dies trifft auf 66,5 Prozent der Berliner zu. Für die CDU stimmten im Gegensatz dazu lediglich 23,4 Prozent der Wahlberechtigten.
Als problematisch innerhalb der Koalitionsgespräche zwischen den Sozialdemokraten und den Grünen galt die jeweilige Position zum weiteren Ausbau der A100. Abgesehen davon hatten beide Parteien im Wahlkampf durchgängig ihre gegenseitige Kompatibilität betont.
Zunächst zeichnete sich zwischen den Koalitionspartnern ein Kompromiss ab: Die SPD wäre bereit, auf das Bauvorhaben zu verzichten, wenn die hierfür budgetierten 420 Millionen Euro umgewidmet werden können, um in bestehende Autobahnen oder noch zu planende Projekte investiert zu werden. Die Grünen könnten sich dieser Auffassung anschließen.
Die Entscheidung über eine rot-grüne Regierung in Berlin wurde damit in die Hände des Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer gelegt. Der musste nun nichts anderes tun, als sich gegen die Umwidmung auszusprechen, um Rot-Grün zu verhindern und so den Weg frei zu machen für eine CDU Regierungsbeteiligung in Berlin. Somit entscheidet jetzt also ein bayerischer CSU-Politiker über die Regierung in Berlin. Und das dürfte selbst in einer von internen Absprachen, Parteienfilz und Intransparenz geprägten politischen Kultur ein Novum sein.
Das Autobahnprojekt wurde zum unüberwindlichen Prüfstein erklärt. Die Unvereinbarkeit des Berliner CDU-Wahlprogramms mit sozialdemokratischen Grundsätzen spielt dagegen wohl keine Rolle mehr. Dabei hat es das Programm unter dem Titel „Das muss sich ändern“ in sich.
Die Berliner CDU: Freundlich zur Wirtschaft, hart gegen die Menschen
Die Berliner CDU ist mit dem Programm „Das muss sich andern. Die 100 wichtigsten Probleme Berlins und ihre Lösung“ zur Abgeordnetenhauswahl 2011 angetreten. Wenngleich sich die öffentliche Wahrnehmung derzeit auf die Zustimmung zum Weiterbau der A100 beschränkt, so lohnt ein Blick auf das insgesamt 78-seitige Papier, wenn man nachvollziehen will, welche Themen und Forderungen in der künftigen Berliner Politik eine Rolle spielen werden.
Überhaupt sollen Angriffe auf Polizisten und Übergriffe „linker Krawallmacher“ ebenso hart und konsequent sanktioniert werden, wie „Graffiti-Schmierer“ und „autonomer Gewalttäter“. Konkret fordert die CDU hierzu eine Ausweitung der Video-Überwachung, ein geschlossenes Heim für jugendliche Straftäter, die Einstellung von 250 zusätzlichen Polizisten und eine weitgehende Vernetzung von Jugendhilfe, Justiz, Polizei und Schulen.
Das Programm betont an mehreren Stellen, dass die Kriminalstatistik von Migranten dominiert wird, plädiert auf die Einrichtung spezieller Schulklassen für Schüler mit guten Deutschkenntnissen und will die Auseinandersetzung mit dem „SED-Unrechtssystem“, ebenso wie bisher schon die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit, zum zentralen Unterrichtsgegenstand in Berlins Schulen machen.
Über die Zukunft Berlins wird in Bayern entschieden
Während Wowereits SPD in Berlin also eine rot-grüne Koalition an drei Kilometern Autobahn scheitern lässt, hat sie keine Probleme mit einem Regierungspartner, der sich für optimale Bedingungen für private Investoren bis hin zur Privatisierung öffentlicher Einrichtungen einsetzt, Berlin mit harter Hand regieren will, auf berechtigte Unzufriedenheit und Empörung in der Bevölkerung mit drakonischen Strafmaßnahmen reagiert, Migranten kriminalisiert und ausgrenzt und auf einer Ausdehnung staatlicher Überwachung im öffentlichen Raum besteht.
Zwölf Tage vor der Abgeordnetenhauswahl hatten sich Klaus Wowereit und sein CDU-Herausforderer Frank Henkel im rbb ein Duell geliefert, in dem der regierende Bürgermeister mit den Wahlkampfforderungen seines Kontrahenten hart ins Gericht gegangen war. Ein SPD-Flugblatt fasste die Ergebnisse der Diskussion am nächsten Tag zusammen:
Während Henkel rückwärtsgewandt keine Konzepte anbot, konzentrierte sich Klaus Wowereit auf konkrete Vorhaben für die Zukunft.
Bei einer rot-schwarzen Regierung wird sich Wowereit also künftig zu mindestens 45 Prozent mit „rückwärtsgewandten Konzepten“ arrangieren müssen. Nach dem Scheitern der Gespräche mit den Grünen findet sich die Berliner CDU als Wowereits Königsmacher in einer starken Position und wird sich in vielen Punkten durchsetzen können. Die konkreten Koalitionsverhandlungen werden jetzt zeigen, ob sich die Berliner Sozialdemokraten in Zukunft die Bevorzugung privater Investoren und Spekulanten, die Einschränkungen von Bürger- und Freiheitsrechten, die Sanktionierung von unliebsamen Bevölkerungsgruppen oder die Diskriminierung von Migranten, gegen den erklärten Willen von 66,5 Prozent der Bevölkerung, auf die Fahnen schreiben werden.
Der Verzicht auf den Ausbau der A100 wäre hier sicher das deutlich kleinere Übel gewesen. Dies gilt umso mehr, als dass mit Peter Ramsauer nun letztlich ein CSU-Minister über die politische Zukunft Berlins entschieden hat. Die Union dürfte sich über diesen Schachzug mehr als erfreut zeigen. Für die Bürger präsentieren sich die Politik und ihre Darsteller in gewohnt unredlicher Weise und die PIRATEN dürften in Sachen Transparenz im Politikbetrieb im Berliner Abgeordnetenhaus eine Menge zu tun bekommen.
Dass in diesem Zusammenhang über die Option einer Koalition aus SPD, Linkspartei und PIRATEN, diese Konstellation hätte übrigens mit 48,9 Prozent einen um drei Prozent höheren Zustimmungswert als eine rot-grüne Koalition, nicht einmal gesprochen wird, zeigt deutlich, dass die Sozialdemokraten auch in Berlin von Lobby- und Machtinteressen getrieben sind und sich vom Willen der Bevölkerung weitestgehend unbeeindruckt zeigen.