Acht Tage lang habe ich nun getrauert, über die acht schlimmsten Tage meines Lebens. Einer dieser Tage war der Geburtstag meines Sohnes vor mittlerweile 3,5 Jahren.
Ganze 2,5 Jahre hielt ich seine Geburt für normal. Schrecklich, aber normal. Bis meine Tochter zur Welt kam und mit ihr mein veränderter Blick auf Geburt und die ersten Tage mit Baby. Geburt kann auch schön sein. Das wusste ich nach der Geburt meines Sohnes nicht.
Roses Revolution für gerechte und selbstbestimmte Geburt
Bei der Roses Revolution, die jährlich und weltweit am 25. November stattfindet, wird auf die Gewalt in der Geburtshilfe aufmerksam gemacht. Betroffene Frauen legen eine Rose und/oder einen Brief an die Tür der Klinik, des Kreißsaals oder des sonstigen Ortes, wo sie Gewalt während der Geburt, aber auch in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Wochenbett, gemacht haben.
Gewalt in der Geburtshilfe scheint immernoch ein Teil des Alltags zu sein. Umso wichtiger ist es, seine Stimme zu erheben für eine gerechte und selbstbestimmte Geburt.
Es ist nötig, dass die Ärzte und Hebammen sich die Patientinnenseite bewusst machen, denn nur so kann eine Veränderung genau dort erzielt werden, wo Gewalt während der Geburt noch immer an der Tagesordnung steht. Die Berichte auf der Facebookseite der Roses Revolution lesen sich erschütternd. Es ist nötig, dass die Gesellschaft für das Thema sensibilisiert wird. Denn nur so erfahren werdende Eltern, was Gewalt in der Geburtshilfe bedeutet. Nur so kann bereits betroffenen Müttern geholfen werden mit ihrer Trauer und ihren Verletzungen umzugehen.
Was ist Gewalt?
Gewalt ist ein schweres Wort. Für Außenstehende mag die Geschichte der Geburt wohl unangenehm, aber medizinisch notwendig klingen. Und ich weiß, dass die Ärzte und Hebammen in der Klinik nur wollten, dass mein Baby möglichst gesund das Licht der Welt erblicken kann.
Es ist eine Sache, medizinisch korrekt zu handeln. Es ist eine andere Sache, der Mutter ihr Körpergefühl abzusprechen, sie zu Maßnahmen zu drängen, die nicht unbedingt nötig gewesen wären oder ihr Vorwürfe zu machen, sie würde Fahrlässig handeln. Auch das ist Gewalt.
Jeden anderen Mann hätte ich wegen Vergewaltigung anzeigen können. Der Arzt hat mich untersucht, aber für mein Gefühl war es das Gleiche. Ich konnte mich nicht gegen seine Finger wehren, die mir wehtaten und die Dinge taten, die nicht abgesprochen waren – in mir. Mein Körper war seinem Körper ausgeliefert. Auch das ist Gewalt.
Mir wurde Angst gemacht und ein Kaiserschnitt angedroht. Tagelang quälte ich mich mit Angst durch die vielen Einleitungen um einen Kaiserschnitt zu vermeiden. Mein Körper wusste, dass die Zeit für die Geburt noch nicht gekommen war und wehrte sich mit aller Kraft gegen die Wehen. Mich trieb es bis an den Rande der Erschöpfung. Ich war zermürbt, ausgelaugt, gebrochen. Auch das ist Gewalt.
Wir dürfen trauern!
Auch wenn die Geburt, trotz aller Probleme, ein positives Ereignis ist, dürfen wir trauern! Das Trauern ist ein wichtiger Prozess in der Verarbeitung des Geschehenen. Jede und jeder Betroffene hat dabei seinen eigenen Weg.
Leider wohne ich mittlerweile über 400 km von dem Krankenhaus entfernt, in dem ich vor, während und nach der Geburt meines Sohnes Gewalt erfahren musste. Ich wäre gerne persönlich zum Kreißsaal gegangen und hätte eine Rose niedergelegt. Stattdessen habe ich einen Brief geschrieben. Einen langen Brief, den ich in mehreren Etappen schreiben musste. Regelmäßig kamen mir die Tränen hoch, während ich die Zeilen schrieb oder die Worte nochmals las.
Nachdem ich einge Tage alleine getrauert hatte, habe ich heute meine Geschichte geteilt. Mit meiner Psychiaterin, mit der ich das Thema professionell und trotzdem liebevoll besprechen konnte. Mit der Roses Revolution, mit der ich meinen Bericht auf Facebook geteilt habe. Mit dem Krankenhaus, dem ich heute den Brief per Post zugeschickt habe.
Und ich habe getrauert, indem ich einen wundervollen Tag mit meinem Sohn verbracht habe. Er klebte mir ein Bild einer Rose auf meinen Briefumschlag und malte etwas dazu. Den Brief haben wir gemeinsam zur Post gebracht. Auch wenn er es nicht versteht, was in dem Moment in mir vorging und worum es in dem Brief geht, hat er mir mit seiner kindlichen Unbeschwertheit sehr geholfen.
Die Trauer um die selbstbestimmte Geburt
Ich trauere um die Geburt, die ich hätte haben können. Darüber, dass medizinisches Procedere und Durchschnittswerte über mein Körpergefühl gestellt wurden. Dass mir der schönste Tag in meinem Leben geraubt wurde. Die Geburt meines erstes Kindes war ein schlimmer Tag in einer Reihe schrecklicher Tage. Die Geburt hat mich verändert. Ich habe ein Stück meiner Selbst vor der Kreißsaaltür verloren. Ein Stück Würde, ein Stück Selbstbestimmtheit.
Ich trauere um die Geburt, die mein Sohn hätte haben können. Ich hätte ihm von Herzen die schönste und natürlichste Geburt gewünscht, die ich mir vorstellen kann. Die Sekunden, Minuten, Stunden und Tage, die es brauchte, bis er geboren war, waren nicht schön. Keine einzige. Weder für mich noch für ihn. Der Start in sein Leben hätte anders verlaufen können, hätte man mich gelassen.
Ich trauere um die Beziehung, die mein Sohn und ich hätten haben können. Die Geburt ist nach der Schwangerschaft ein wichtiges Band zwischen Mutter und Kind. Wie die Geburt vonstatten geht, hat unweigerlich einen Einfluss auf unsere Beziehung. Ich konnte meinen Sohn nicht von der ersten Sekunde an aus vollem Herzen lieben. Viel zu sehr war ich mit meiner eigenen Erschöpfung, Wut, Traurigkeit und Ohnmacht beschäftigt. Und ich wusste, ich hätte noch ein paar Tage bis zur Geburt gebraucht, wichtige Tage, um mich auf meinen Sohn einzustellen, die mir genommen worden sind. Diese Tage konnte ich bis heute nicht richtig aufholen und es tut mir unendlich leid.
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Bei Nora Imlau findet ihr weitere Berichte über Gewalt in der Geburtshilfe bei ihrer Blogparade.
Titelbild: Pixaby