Rose Ausländer • Ein Leben in Versen nachzuvollziehen

Von Renajacob @renajacob

Rose Ausländer hat die meiste Zeit ihres Lebens auf ‚gepackten Koffern’ gelebt, wie sie es gern selbst auch nannte. Erst im Alter wurde sie sesshaft, dann aber in einer solch extremen Form, die einen wahren Kontrapunkt zur bisherigen Lebensgestaltung war. Beschäftigt man sich mit dem Werk von Rosa Ausländer, so lernt man ihr reales, auch erträumtes und erlittenes Leben durch ihre Gedichte kennen; und das mit einer Intensität, die keinen unberührt lässt. In der Bukowina kam Rose Ausländer, als Rosalie Beatrice Ruth Scherzer, zur Welt. Sie wurde am 11. Mai 1901 in Czernowitz geboren, das damals noch zu Österreich-Ungarn gehörte. Der Vater Sigmund stammte aus der streng orthodoxen, von Chassidismus und Mystik des Ostjudentums geprägten Stadt Sadagora, bekannte sich aber zum Freidenkertum und wurde Prokurist in einer Import-Export Firma in der Hauptstadt Czernowitz, wo er seine spätere Ehefrau Etie Rifke Binder kennen lernte. Die Großeltern mütterlicherseits waren aus Berlin in die Bukowina eingewandert, in ein Völkergemisch aus Rumänen, Ukrainern, Deutschen, Österreichern. Die Juden der Bukowina waren gut integriert und hatten regen Anteil am kulturellen und wirtschaftlichen Leben dieses Landstrichs, der heute zum Teil zur Ukraine und zum Teil zu Rumänien gehört. Die häusliche Sprache, aber auch die der Umgebung von Rose Ausländer war deutsch geprägt, das Elternhaus galt als kaisertreu und die deutsche Sprache der Dichter und Philosophen, die sie so beeinflussten, zu denen sie auch immer wieder zurückkehrte in ihren Gedichten, war für sie nicht nur Muttersprache, sondern auch Ausdrucksform. Rose studierte 1919/1920 Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Czernowitz und wanderte 1921 mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer in die USA aus. Das Paar heiratete 1923 und trennte sich Ende 1926. 1930 kam die Scheidung. Rose Ausländer erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihr jedoch 1934 wegen dreijähriger Abwesenheit aus den USA wieder aberkannt wurde. In Amerika publizierte sie ihre ersten Gedichte und arbeitete unter anderem als Redakteurin, Sekretärin und Bankangestellte. Auch in den USA fanden ihre Gedichte Anklang, doch ihre Wurzeln und ihre tiefe Liebe zur Mutter, der Vater war bereits verstorben, zogen an ihr und ließen sie nicht los.

Mein Stern hängt

an ihrer Nabelschnur

Ich trinke ihre Milch

bald  werde ich geboren

Hinter meinem Tod

wächst sie mir zu.

Bei einem Besuch in Czernowitz im Jahre lernt Rosalie den 14 Jahre älteren Kulturjournalisten und Graphologen Helios Hecht kennen. Sie verliebt sich leidenschaftlich in ihn und trennt sich von Ignaz Ausländer, von dem sie sich einige Jahre später auch scheiden lässt. „Ich langweilte mich in der Ehe“, erinnert sie sich. „Man kann nicht mit der Langeweile leben“. Als sie Anfang 1931 wegen des sich verschlechterten Gesundheitszustands ihrer Mutter, die eine dauernde Pflege benötigt, erneut nach Czernowitz zurückkehrt, wird sie von Helios Hecht begleitet, der für die nächsten Jahre ihr Lebensgefährte und die größte Liebe ihres Lebens wird, hier arbeitet sie als Lyrikerin, Journalistin, Übersetzerin und Englischlehrerin. In der Zwischenkriegszeit war Alfred Margul-Sperber eine Art Integrationsfigur der deutschsprachigen Dichtung der Bukowina. Als Dichter, Übersetzer und Redakteur der Zeitung „Czernowitzer Morgenblatt“ korrespondierte er beinahe mit allen literarischen Berühmtheiten Europas. Er stand im regen Briefwechsel zum Beispiel mit Karl Kraus, Thomas Mann und Hermann Hesse. Als erster hatte er etwa T. S. Eliots ‚The Waste Land’ ins Deutsche übertragen, Eliot nannte diese deutsche Fassung ‚admirable’. In seiner Zeitung stellte Margul-Sperber Feuilletons, Satiren, Kritiken und neue Dichter vor, darunter auch Rose Ausländer, von deren Gedichten er begeistert war. Er traf eine Auswahl und interessierte dafür auch einen Verlag. 1939 erschien Rose Ausländers erster Gedichtband unter dem Titel ‚Der Regenbogen’ im Verlag ‚Literaria’ in Czernowitz, das Büchlein wird von einem kurzen Gedicht unter dem Titel ‚Ins Leben’ eingeleitet:

Nur aus der Trauer Mutterinnigkeit

strömt mir das Vollmaß des Erlebens ein.

Sie speist mich eine lange, trübe Zeit

mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein.

Nachdem Ende Juni 1940 im Zuge des so genannten Hitler-Stalin-Paktes die Rote Armee in Czernowitz kampflos einmarschiert war und die Nordbukowina samt Bessarabien der Sowjetunion zugeschlagen worden, nun erlebte Rose Ausländer eine der größten Erschütterungen ihres Lebens. Nach neu entdeckten Unterlagen, die sich im Archiv des Ukrainischen Sicherheitsdienstes im heutigen Černivci/Czernowitz befinden, wird die Lyrikerin am 5. November 1940 ‚wegen des Spionageverdachts zugunsten eines der ausländischen Staaten’ vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhaftet. Gegen sie wurde ein Untersuchungsverfahren begonnen, das etwa dreieinhalb Monate dauerte. Die Dichterin hielt man die gesamte Zeit über im Gefängnis des NKWD in Czernowitz inhaftiert, was für sie ein psychologisches Trauma auslösen sollte. Die Anklage erwies sich schließlich als unhaltbar, und die Dichterin wurde am 17. Februar 1941 entlassen, doch dieser Fall half ihr, das Wesen des neuen Regimes ohne jegliche romantischen Illusionen zu durchschauen. Lebenslang verheimlichte Rose Ausländer diese Episode und verriet sie niemandem. Vielleicht verpflichtete sie sich dem sowjetischen Geheimdienst gegenüber, darüber zu schweigen. Nur ihren Gedichten vertraute sie diesen Alpdruck an, ohne ihn jedenfalls biographisch oder politisch weiter zu präzisieren. 

Man brachte mich  ins Verlies ich weiß nicht warum

Was sind Sie

ein Dichter ist nichts

was sind Sie in Wahrheit

In meiner Zelle erzählte ich der jungen Frau Märchen Gedichte

sie lernte sie leicht

Aus lehmigem Brot machten wir Schachfiguren

spielten bis Auge im Guckloch erschien

Spielen verboten

Lesen und Schreiben verboten

Zehn Minuten im Hof

der Himmel eine blaue Legende

Weiß winkte die Wolke

deine Mutter wartet.

Nach dem kurzen sowjetischen Besatzungsjahr, bei dem am 13. Juni 1941, kurz vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, wurden aus Czernowitz ungefähr 4000 Personen deportiert, vornehmlich Juden. Anfang Juli 1941 marschierten die deutschen Truppen in die Bukowina, mit ihnen die SS und ihre antisemitische Vernichtungspolitik. Die große Synagoge wurde in Brand gesetzt, etwa 300 führende Funktionäre der jüdischen Gemeinde wurden am Ufer des Pruth erschossen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt entstand in Czernowitz ein jüdisches Ghetto. Die Wohnung in der Dreifaltigkeitsgasse, wo Rose Ausländer, ihre Mutter und Schwiegertochter Bertha mit ihrem kleinen Sohn lebten, denn ihr Bruder Max war von den Sowjets zwangsrekrutiert, gehörte zum Ghettoviertel. Von da an muss Rose Ausländer den gelben Davidstern tragen, wird zu schweren Zwangsarbeiten herangezogen und von rumänischen Gendarmen brutal misshandelt. Die Familie lebte von heimlich geschmuggelten Nahrungsmitteln, die sie aus dem Erlös von Schmuck und anderen wertvollen Dingen finanzierte, oder war auf die Hilfe einiger in materieller Hinsicht besser versorgten Freunde angewiesen. Jeder Tag verwandelte sich in einen harten Lebenskampf. Daran erinnert sich die Dichterin in ihrer Skizze ‚Alles kann Motiv sein’: „Getto, Elend, Horror, Todestransporte. In jenen Jahren trafen wir Freunde uns zuweilen heimlich, oft unter Lebensgefahr, um Gedichte zu lesen. Der unerträglichen Realität gegenüber gab es zwei Verhaltensweisen, entweder man gab sich der Verzweiflung preis, oder man übersiedelte in eine andere Wirklichkeit, die geistige. Wir zum Tode verurteilten Juden waren unsagbar trostbedürftig. Und während wir den Tod erwarteten, wohnten manche von uns in Traumworten – unser traumatisches Heim in der Heimatlosigkeit. Schreiben war Leben. Überleben.“ Auch unter diesen unerträglichen Umständen schrieb Rose Ausländer Gedichte, die sie erst Jahrzehnte später publizieren konnte, wie die folgenden Zeilen aus dem Zyklus ‚Gettomotive’

Sie kamen mit giftblauem Feuer

versengten unsere Kleider und Haut.

Der Blitz ihres Lachens schlug an unsre Schläfe

unsere Antwort war der Donner Jehovas.

Wir stiegen in den Keller, er roch nach Gruft.

Treue Ratten tanzten mit unseren Nerven.

Sie kamen mit giftblauem Feuer unser Blut zu verbrennen.

Wir waren die Scheiterhaufen unsrer Zeit.

Im Ghetto lernt sie Paul Celan kennen, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden wird, ihr bereits früh benutzter Begriff der der ‚schwarzen Milch’ finden wir dann in den berühmten Anfangszeilen der ‚Todesfuge’ von ihm wieder. Ein interessanter Aspekt, der die geistige Nähe zu einander aufzeigt. Sie überlebt die deutsche Schreckensherrschaft in Kellerverstecken und als die Bukowina im Frühjahr 1944 von den sowjetischen Truppen befreit wird, geht Rose Ausländer zuerst nach Bukarest und dann wieder in die USA. Jahrelang sollte es ihr nicht mehr möglich sein, in ihrer deutschen Muttersprache, der ‚Sprache der Mörder’, zu dichten. Von 1948 bis 1956 hat sie ihre Gedichte ausschließlich in englischer Sprache verfasst: „Nach mehrjährigem Schweigen“, so erinnert sie sich, „überraschte ich mich eines Abends beim Schreiben englischer Lyrik.“ Unter dem Einfluss zeitgenössischer amerikanischer Dichtung, begann Rose Ausländer ihre Poetik und Stilistik allmählich zu verändern. In diesen Jahren findet sie Anschluss an das moderne Gedicht, das sich von ihren frühen Arbeiten grundsätzlich unterscheidet. 1957 besuchte sie in Paris ihren Bukowiner Landsmann Paul Celan, der damals schon berühmt war. Sie lebte dann eine zeitlang in Wien und zog dann nach Deutschland. Doch ging sie viel auf Reisen. Bei einem Sturz zieht sie sich einen Oberschenkelbruch zu und ist viele Monate lang ans Bett gefesselt. Sie braucht dauernde Pflege und entscheidet sich für das Altersheim der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, das so genannte Nelly-Sachs-Haus. Hier beginnt diese nicht mehr ganz junge Frau, die damals eigentlich noch keinen Namen in der Literatur hat, ein neues Leben, das sich durch intensivste schöpferische Arbeit kennzeichnet. Nicht weniger als zwei Dutzend neue Gedichtbände erscheinen während dieser Zeit. Sie bleibt in ihrem Zimmer, wie in einem selbst gewählten Exil, und schreibt. Mitte der 60iger Jahre geht ihr Stern am Literaten Himmel auf und sie erhält die Anerkennung, die ihr schon längst hätte zuteil werden müssen. Sie arbeite all ihre Lebenseindrücke auf, sowohl die realen, wie die erträumten. Hochbetagt und hoch geehrt stirbt Rose Ausländer am 3. Januar 1988 in Düsseldorf und wurde auch dort, in einem Ehrengrab, beigesetzt.   

Weiterlesen:

➼ Mascha Kaléko • Ich habe Heimweh, nur wonach?

Nelly Sachs ✡ Literaturnobelpreis 1966

Bild 1: Rosa Ausländer – Quelle: dradio.de · Bild 2: Filmplakat – Quelle: faz.de · Bild 3: Buchtitel Rosa Ausländer – Quelle: kas.de · Bild 4: Buchtitel R. Ausländer – amazon.com · Bild 5: Rosa Ausländer – Quelle: Nellysachshaus.de