Rosa Luxemburg Konferenz: Ausschnitte aus der Podiumsdiskussion…

Von Hartstein

… mit dem Autor Dietmar Dath über Anspruch und Wirklichkeit der linken Bewegung unter Moderation von junge welt-Chefredakteur Arnold Schölzel.

Arnold Schölzel, Frage an Dietmar Dath:

„Sie sehen die Lage etwas düsterer, wenn ich richtig interpretiere, was Sie in »Maschinenwinter« 2008 geschrieben haben. Ich zitiere: »Eine hochtechnisierte Zivilisation, die nicht als freier Verein freier Produzenten nach den wissenschaftlichen Einsichten plant, die ihren Stoffwechsel mit der Natur bestimmen, kann ins Grauen einer nachwissenschaftlichen Technik münden, die von (schwarzer) Magie wirkliche nicht mehr zu unterscheiden wäre – in ein kybernetisches Dunkles Zeitalter, neben dem die Epoche der Hexenverbrennungen sich wie der schwedische Sozialstaat ausnähme.« Sie werfen dort und in den in junge Welt abgedruckten Auszügen aus Ihrem neuen Buch »Implex«, das Sie gemeinsam mit Barbara Kirchner geschrieben haben und das in wenigen Wochen erscheint, nun die Organisationsfrage auf. Wie gelingt es in einer vom Kapitalismus weltweit verwüsteten und zerklüfteten Gesellschaft, im Zeitalter des »Informationsfeudalismus« und wenn nach Schernikau Staatspolitik Militärpolitik ist und Bürgerinitiativen Pipifax sind, von partikularer Interessenvertretung zu universaler zu kommen, also zu Programm, Strategie und Taktik?

Dietmar Dath:

Zur Barbarei: Ich glaube, daß Georg Fülberth philologisch völlig recht hat. Es ist tatsächlich verniedlichend. Man denkt da an Leute, die sich mit Knüppeln hauen, Pferde schlachten und ihren Met aus den Schädeln besiegter Feinde trinken. Wobei man hört, daß das zumindest bei den Marines auch schon wieder vorkommt. Aber wenn man jetzt mal nicht philologisch, sondern arbeits- oder herrschaftsgeschichtlich darüber nachdenkt, was mit der Barbarei als Alternative zum Sozialismus bei Luxemburg gemeint gewesen sein könnte, dann hab’ ich mir das immer so erklärt: Die ersten Formen der Herrschaft sind sehr unmittelbar. Da gibt’s halt was auf den Kopf. Da gibt’s die Peitsche, da gibt’s vielleicht in der Sklavenhaltergesellschaft jemanden, der in der Galeere trommelt und so weiter. Dann wird das immer – das hat sich das Bürgertum sehr zugute gehalten, immer abstrakter, immer vermittelter. (…)

Zunächst mal haben wir dann Feudalismus: Das ist der Besitztitel an dem Land, auf dem ihr lebt, deshalb gehört ihr uns; da kann man aber auch noch die Leute auf der Straße niederknüppeln, und weil man einem höheren Stand angehört, ist das nicht strafbar – oder jedenfalls vernachlässigbar strafbar. Und dann wird’s noch abstrakter, dann werden’s Verträge, denn irgendwann rechnen die das aus. Dann halten sie sich sehr zugute, daß sie die Sklaven freilassen. Das tun sie aber unter anderem deswegen. Wenn das Zeug keinen Absatz findet, müßte man Sklaven trotzdem weiter durchfüttern. Wenn sie dagegen Lohnarbeiter sind, verhungern sie halt irgendwo – das ist dann der Zivilisationsfortschritt, auf den man sich so viel einbildet.

Und nun könnte man sich eben vorstellen – das ist alles noch nicht von mir, das ist alles noch Marx – jetzt könnte man sich vorstellen, das wird immer abstrakter. Oder es kollabiert irgendwann in die unmittelbare Herrschaft zurück. Und ich glaube, das meinte Rosa Luxemburg mit Barbarei. Das heißt, sie meinte, daß es tatsächlich wieder was auf den Kopf gibt. Und wenn ich mir den Kapitalismus sogar ohne Kriege angucke, sogar ohne Marines, die auf die Körper ihrer Opfer urinieren, dann habe ich ein System, das in den reichsten Zonen, in den Metropolen die Kinder mit Drogen vollhaut, wenn sie nicht in dieses Schulsystem reinpassen, also sehr in den Körper hineinherrscht, das die Bewegungsformen der Leute dahingehend kontrolliert, daß ein paar tausend im Straßenverkehr jedes Jahr verrecken, weil man kein ordentliches Nahverkehrssystem ausbaut, denn – das würde ja kosten, das wäre ja Gemeineigentum. Statt dessen verkloppt man dieses Gemeineigentum an irgendwelche Investoren, die dann überall die Stationen streichen, weil sie sagen, das kostet viel – na ja, genau wie beim Bankenretten auch –, die Kosten werden halt verteilt auf die Leute, die trotzdem irgendwie nach Hause müssen. Dann werden vielleicht ein paar Autos mehr verkauft, und jeder Idiot, der sich irgendwie einen Jeep leisten kann oder einen Hummer, fährt einen Panzer durch die Innenstadt, und wenn der ein bißchen zu schnell fährt, ist das Kind halt tot. Angestellte sitzen dann in irgendwelchen Großraumbüros, wo die Klimaanlagen die Gesundheit kaputt machen, und arbeiten bis zum Burnout. (…)

Wenn das nicht unmittelbare Herrschaft über die Körper und Barbarei ist, dann weiß ich nicht, was es sonst ist. (…)

Ich hab’ jetzt die angenehmen Zonen beschrieben, nach denen sich Leute aus anderen Weltteilen sehnen, weswegen sie hierher kommen. So. Das ist also der Luxusteil.

Jetzt zur Strategie. Es gibt so einen, durchaus auch bürgerlichen, Linkstrend. So ein bißchen, daß man halt die Schnauze voll hat von Leuten wie George Bush und diesem Cheney, die sich unmittelbar an so einem Krieg bereichern. Oder wenn so ein Guttenberg in Verschiß gerät oder so ein Wulff. Man kann das irgendwie nobel finden im Sinne der Korruptionsbekämpfung, man könnte aber auch einen Zusammenhang sehen zu dem, was Georg Fülberth gesagt hat, nämlich: Wenn der Ton jetzt noch härter wird, was nach jeder Krise passiert, weil jede Krise als Umverteilungsgelegenheit genutzt wird, dann braucht man halt eine andere Garde, dann braucht man nicht mehr diese Kasperfiguren, sondern wieder jemanden mit deutschen Sekundärtugenden. (…)

Zum Schluß: Verstaatlichung von zwei Seiten.

Der Staat ist ja nicht irgendein Staat, sondern im Kapitalismus ein kapitalistischer Staat. Er ist dafür da, die Märkte zu garantieren, er ist dafür da, die Verträge zu schützen, und zwar die ungerechten, den ungerechten Tausch und all dieses Zeug. Es ist tatsächlich so, daß ein gewisses Quantum Verstaatlichung schon immer dazugehört hat. Zum Beispiel, wenn der Onkel Dagobert alles verzockt hat, dann geht das Fähnlein Fieselschweif mit den Mützen rum und sammelt bei den Armen, damit die Bank nicht Pleite macht.

(…) Die Vergesellschaftung von Energie, von Informationen und so weiter muß auf der Ebene stattfinden, wo die Leute produzieren. So etwas wird nicht ausschließlich im Parlament entschieden. Aber man kann das Parlament natürlich als Tribüne nutzen.

Und wenn man das nicht macht, wenn man statt dessen das Parlament nutzt, und sich Leuten, die sich fremde Arbeit auf inzwischen wieder sehr unmittelbare Art aneignen können, als sozialer Friedensstifter und Unterhändler anbietet, hat man eben die Geschichte einer Partei, die zuerst den Bernstein hervorbringt, dann die Kriegskredite gut findet, dann den Radikalenerlaß, das KPD-Verbot, den NATO-Doppelbeschluß, die Bundeswehr fit macht, die Hartz-Schweinerei durchzieht. (…)

Und wenn man also fragt, wie wünsche ich mir die Strategie, so daß all das bitte nicht passiert.“

Quelle und mehr unter: http://www.jungewelt.de/blogs/wir-veraendern-die-welt/index.php?id=908