Romantiker

Ob wir es gesehen haben? Aber klar doch. Ihr habt doch nicht im Ernst geglaubt, dass wir das verpassen würden. Obschon, wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich ganz gerne darauf verzichtet. Nicht mal das kleine Mädchen tief in mir drinnen meldete das Bedürfnis an, nachzuholen was es damals, vor dreissig Jahren, verpasst hatte. Das kleine Mädchen und ich hätten eigentlich ganz gerne in Ruhe unser Mittagessen genossen und wenn mich nicht alles täuscht, verspürte auch Luise keinen unbändigen Drang, den Fernseher einzuschalten.

Nein, es war „Meiner“ der, kaum hatte er den letzten Bissen heruntergeschluckt, zum Fernseher rannte, mit der fadenscheinigen Ausrede, der Zoowärter und das Prinzchen seien heute so unausstehlich, er werde sie jetzt mal vor der Glotze parkieren. Ganz so, als ob es bei uns Brauch sei, die Kinder mit dem Fernseher ruhig zu stellen. Weil man ja als Eltern beim Fernsehen dabei sein muss, für den Fall, dass eine gefährliche Szene kommt und man den Kleinen die Augen zudecken muss, setzte sich „Meiner“ ein wenig zu ihnen. Er konnte ja nicht wissen, dass gerade die für Kinder völlig unbedenkliche Direktübertragung der Traumhochzeit des Jahrhunderts laufen würde und dass seine Anwesenheit vollkommen überflüssig war. Wusste ja keiner etwas von dieser Hochzeit…

Nun, es dauerte nicht lange, bis alle vor der Glotze versammelt waren. Alle, ausser ich. Ich wollte ja, wie bereits erwähnt, zuerst in Ruhe fertig essen, bevor ich mich zu den anderen gesellte. Und so wurde ich Zeuge davon, wie meine sonst ganz vernünftige Familie sich in einen Haufen romantischer Royalisten verwandelte. Angefangen beim Prinzchen, der sich bei all den Blaublütigen wohl ganz zu Hause fühlte und immer und immer wieder „den König“ sehen wollte, über Luise, die auf allen nur erdenklichen Wegen herauszukriegen versuchte, ob ihre Brüder auch unbedingt den Kuss sehen wollten, oder ob sie das vielleicht doch etwas doof finden würden, über Karlsson, der Prunk und Pomp nie abgeneigt ist und deshalb fast nicht mehr zur Schule gehen wollte bis hin zum FeuerwehrRitterRömerPiraten, der in Tränen ausbrach, als wir dann den Fernseher irgendwann doch ausschalteten, weil es abgesehen von winkenden Massen nichts mehr zu sehen gab. Nun ja, einer blieb von dem Ganzen mehr oder weniger unbeeindruckt: Der Zoowärter. Er beklagte sich bald einmal, dass er eigentlich lieber etwas Spannenderes sehen wollte, aber natürlich hörte niemand auf ihn, schon gar nicht „Meiner“, der sich ganz und gar seiner – auch an gewöhnlichen Tagen nur mangelhaft kaschierten – Leidenschaft für Klatsch und Tratsch hingab.

Nun wollt ihr natürlich wissen, ob es mir bei der Geschichte auch noch den Ärmel reingenommen hat. Immerhin hatte ich gestern ja noch von einem kleinen Mädchen berichtet, das dem grossen Ereignis nicht vollkommen ablehnend gegenüberstand. Nun, offen gestanden hat mich die Sache ziemlich kalt gelassen, kleines Mädchen hin oder her. Ich habe mir überlegt, woran das liegen könnte, bin ich doch im Allgemeinen Kitsch und Romantik gegenüber nicht abgeneigt. Aber ich glaube, genau das war es, was mir gefehlt hat: der Zuckerguss, die Gefühle, das Abgehobene. Wäre die Sache kitschiger und märchenhafter gewesen, ich hätte mich wohl mitreissen lassen, aber irgendwie war mir das Ganze zu realitätsnah und so wandte ich mich bald einmal wieder dem schmutzigen Geschirr zu. Wenn schon Realität, dann richtig.

Den Kindern ging es offenbar anders. Kaum war er aus der Schule zurück, wollte Karlsson auch schon wissen, ob er während seiner Abwesenheit etwas verpasst hätte und ob er die wichtigsten Szenen noch einmal sehen könnte. Abends vor dem Schlafengehen brauchten dann alle zusammen noch einmal eine kräftige Dosis Prinzenhochzeit. Was wir ihnen zur Feier des Tages auch gewährten. Und dabei stellte sich heraus, wer von uns allen der grösste Romantiker ist. Wie wir so auf dem Sofa sassen und den Blaublütigen beim Winken zusahen, seufzte einer tief und innig und meinte, wenn er doch bloss durch den Bildschirm kriechen könnte, um dort bei Kate und William auf dem Balkon zu stehen.

Es war der FeuerwehrRitterRömerPirat.

Romantiker



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