Roman: Hochwasser (Teil1)

Roman: Hochwasser (Teil1)

“Hochwasser” – ein Roman in Fortsetzungen von Franjo Conte

Heiß ist das heute, sehr heiß. Du schwitzt, obwohl Du auf Deinem Motorrad nur mit Jeans und Lederjacke bekleidet auf einer gut ausgebauten Straße fährst. Die Jacke bläst sich auf wie ein Ballon, das T-Shirt darunter flattert, ab und zu piekst Dich ein Insekt, dass auf dem Hemd einschlägt. Warmer Wind bläst auf den Körperschweiß, bringt jedoch kaum Kühlung.

Nächste Abfahrt Stadtmitte. In der Stadt bist Du noch nie gewesen. Die gesamte Gegend ist Dir unbekannt. Du kennst die Namen nur von der Landkarte, obwohl alles hier weniger als zwei Autostunden entfernt ist. An manchen Stellen im Ausland kennst Du Dich besser aus als hier, denkst Du noch. Flach ist alles, aber schön grün und die ganze Gegend strahlt eine gepflegte Ruhe aus. Die Bäume und Wiesen duften in der Frühsommerhitze wie in Italien, so lieblich und würzig. Schön ist das.

Weiter vorne kommt eine Ausfahrt, die zum Zentrum führen soll. „Die Innenstadt einmal in Ruhe betrachten“, geht Dir durch den Sinn, und Du biegst spontan ab.

Wie üblich sind die Stadt-Autofahrer gehetzt, drücken drängelnd von Ampel zu Ampel und geben einem Fremden kaum die Möglichkeit, sich zu orientieren. Plötzlich wird es grün. Der vor Dir würgt seine Karre ab. Der Dieselqualm steht förmlich in der Luft und verursacht einen ekligen Geschmack auf der Zunge. Du nutzt die Zeit, dich zu orientieren und nach den Innenstadtschildern zu suchen.Das gesamte Stadtzenturm ist für Volksfest gesperrt worden. Die normalen Schilder sind also heute keine Hilfe.

Ich lasse mich treiben, fahre einfach weiter.
Drei Motorradfahrer jetzt rechts neben mir. Der eine in Jeans und Lederkutte, der Lenker unnatürlich hoch, der Auspuff dröhnt gewaltig, die Knie weit auseinander und an den Füßen spitz zulaufende Westernstiefel mit silbernen Metallkappen. Auf dem Kopf trägt er einen Wehrmachtshelm und im Gesicht wuchert ein ungepflegter Bart, der durch ein breites Grinsen unterbrochen wird. Unwillkürlich denke ich an die „Werner-Comics“. Der dahinter hat eine sehr ähnliche Maschine, trägt aber einen normalen Helm. Der Blick etwas verbissener, weil er Mühe hat, sein Motorrad am Laufen zu halten und das Schalten und Bremsen seine ganze Aufmerksamkeit erfordert.

Dahinter fährt ein Pärchen auf einer glanzlosen, älteren Staßenmaschine, die schon lange keine Pflege mehr erhalten haben dürfte. Fahrer samt Sozia pendeln von der einen Fahrbahnseite zur anderen. Sie, die Beifahrerin, will sich mit dem Pilot unterhalten und neigt sich zu diesem Zweck einmal zur einen, das andere Mal zur anderen Seite. Der Fahrer will nicht umfallen und steuert also gegen. Ich schaue mir das ganze Szenario der drei Darsteller ein paar hundert Meter an und muß innerlich lachen, weil es so herrlich aussieht. Dann schere ich hinter dieser Truppe ein und fahre mit ihnen bis zu einem kleinem Park neben der Innenstadtabsperrung, wo wir alle die Maschinen abstellen.
Ich frage freundlich lächelnd den mit dem Wehrmachtshelm, was hier so los sei und was man hier so treiben könne. Hierauf antwortet er: „Hieä iss Kiemes. Laut, heiß unn dreggich. Unn ich füä mein Teil hau miä jets ein paa Bieächen hintä die Binde unn dann kuck ich nn paa Weibän aufn Poppo.“

Darauf kann ich nur noch mechanisch antworten, daß das recht gut klinge und bedanke mich höflich für sein Statement. Das Pärchen hat sich währenddessen in einen Wortwechsel verstrickt, bei dem es um fahrtechnische Probleme ging. Gleichzeitig ist der andere, verbissen dreinblickende Motorradlenker mit dem korrekten Abstellen seiner Harley beschäftigt und steht jetzt unschlüssig herum, den Bartmann fragend, was er jetzt mit seinem Helm machen solle.

Aus dem Fußweg naht unter mürrischen Blicken der Fußgänger ein jugendlicher Rollerfahrer mit seinem überlauten Gefährt heran. Seinen Helm hat er lässig über dem Ellebogen hängen, Stöpsel vom MP3-Player in den Ohren, an den Füssen Sandalen. Er läßt sein Zweirad direkt vor dem diskutierenden Pärchen auf den Seitenständer fallen und eilt von dannen.

An der Stelle verlasse ich diese Aufführung und beginne schwitzend über den Platz zu schlendern. Die schwüle Hitze ist erdrückend. Die Luft steht, kein Windzug und ich suche nach einer Toilette, sehe und finde aber nur Getränkestände, Schießbuden, Karussells und Riesenräder. Ich gehe an einer Wahrsagerin vorbei. Der falsche Zeitpunkt, um sich aus der Hand lesen zu lassen, dachte ich so bei mir.

Ein Stück weiter hinter den alten großen Bäumen, geht es in die Fußgängerzone an den normalen Kneipen vorbei. Der Asphalt und die Betonsteine reflektieren nun die Hitze noch zusätzlich. Alle Schattenplätze draußen sind belegt. Ich sehe eine Kneipe mit einem schönen hohen Raum, einer breiten, offenen einladenden Türe und trete ein. Innen sitzen verstreut ein paar verschwitzte Menschen, die auf Salatblättern und Pizzateig kauen. Niemand schaut auf, alle sind mit sich beschäftigt. Ich setze mich auf einen Barhocker an den leeren Tresen. Er ist aus massivem Holz, lang breit und angenehm. Über mir an der Decke hängt ein Ventilator mit gewaltiger Spannweite – wie in Rick‘s Café in dem Kinofilm Casablanca – und dreht langsam, aber kraftvoll seine Runden.

Ich beobachte, wie eine müde Riesenfliege auf den Lüfter zubrummt, von einem der Flügel erfaßt wird, ihre Flugbahn gezwungenermaßen diametral ändert, gegen die Wand prallt und von dort benommen, langsam zu Boden fällt.

Niemand nimmt Notiz von meiner Anwesenheit und es drängt sich wieder in mein Bewusstsein, weswegen ich unter anderem hier war. Als ich erleichtert zurückkomme setze ich mich wieder auf meinen Hocker, will mir einen Zigarillo anzünden. Ist ja verboten, fällt mir ein und ziehe die Schachtel erst gar nicht aus der Jacke. Aus der Küche kommt eine adrette Bedienung. Sie trägt ein schwarzes, luftiges Sommerkleid, die dunkelroten Haare hochgesteckt. Sie ist in Gedanken und nimmt mich gar nicht wahr. Erst, als ich einen kalten Zitronen-Eistee bestelle, wie er auf einer Schiefertafel angepriesen wird, blickt sie auf und wendet sich mir zu. Sie antwortet mit entschuldigendem Ton, daß dieser bereits seit gestern ausverkauft sei. Mein Blick muß wohl so gewesen sein, daß sie anschließend ohne meine Antwort abzuwarten sagt, sie räume am besten jetzt die Tafel weg. Ich bestelle daraufhin ein großes Mineralwasser mit Zitronenscheibe, Eiswüfeln inklusive und zahle gleich.


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