Veröffentlicht am 4. Juni 2014 | von Anne-Marie Darok
0Roisin Murphy – Mi Senti (EP)
Roisin Murphy – Mi Senti (EP) Anne-Marie DarokWertung
Summary: Moderne Synthies verführen italienische Nostalgie. Murphy haucht mal erotisch, mal spielerisch darüber
5
Electronic
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„Do you like my tight sweater?“, ist wahrlich ein linkischer Anmachspruch mit Folgen. Diese Worte richtete Roisin Murphy in den 1990ern an Musiker Mark Brydon und aus der Partybekanntschaft wurde nicht nur eine Beziehung, sondern auch eine Band – und nicht irgendeine.
Mit dem unglaublich kühlen Nu-Disco Sound und Murphys Stimme mauserte sich Moloko zum Geheimtipp der Musikfans. Nach vielen Jahren ging das Duo privat und musikalisch auseinander. Murphy ging eigene Wege, auf denen zwei Platten und unzählige Kollaborationen entstanden. Dann wurde es auch um sie ruhig, bis Anfang dieses Jahres als nicht nur eine bald zu erscheinende EP, sondern auch ein Langspieler angekündigt wurde.
„Mi Senti“ nennt sich das neue Wunderwerk, dessen Titel nicht aus Versehen auf Italienisch ist. Murphy hatte in einem Interview festgestellt, immer wieder eine Muse-Künstler-artige Beziehung zu ihren Liebhabern aufzubauen. So ist es auch mit ihrem neuen Partner Sebastiano Properzi. Durch den Produzenten und Musiker lernte sie italienische Musik richtig kennen und wagte sich so an ein neues Projekt heran. „Mi Senti“ umfasst deswegen fünf Klassiker der 1970er und einen selbstgeschriebenen Song. Murphy stellte sich damit zwei Herausforderungen: Musikalisch von vorgegebenen Material abhängig zu sein und ihre Stimmkapazität zu erweitern. Dazu kamen die fehlenden Sprachkenntnisse, die die Sängerin durch intensives Üben der Lyrics umging. So kommt es, dass ihr Italienisch zwar nicht akzentfrei, aber durchaus so sexy wie Jane Birkins Französisch ist.
Die Produktion des Albums und strenge Überwachung des Spracherwerbs übernahm Properzi, der tief mit dem italienischen Musikbusiness verankert ist. Kein Wunder, dass einem schon beim ersten Mal hören das Wort „Italo Disco“ in den Kopf kommt. Mit einem wahren Feingefühl nähert sich der Produzent an die nostalgischen Tracks an und verleiht ihnen durch Synthesizer-Töne eine detailreiche Gestalt. Somit klingen die Songs erstaunlich modern, gleichzeitig hängt ihnen aber ein starkes Gefühl von verrauchten Clubnächten an. Letzteres wird auch durch Murphys Stimme beeinflusst, die nicht nur hauchen, sondern auch richtig schön flirten kann.
Vor allem das Herzstück der EP und einzig selbstgeschriebenes Lied „In Sintesi“ strotzt nur so vor Nostalgie und Erotik. Es beginnt mit diesem klassischen, durchaus Marsch-artigen Discobeat und darüber gelegten Synthies, die wie verzerrte Tastentöne klingen. Dann ertönt Murphys Stimme aus allen Dimensionen: Vorne singend, im Eck hauchend und von hinten flüsternd. Die Monotonen Worte werden mit Effekten vertieft und „Echo-isiert“. Wie auf fast jedem Lied, merkt man, dass Properzi der Musik richtig viel Zeit lässt, sich zu entfalten. Es gibt kein Gehetze, kein Vorschnelles Wechseln der Effekte, keine verwirrten Tempowechsel. Deswegen klingt die EP wahrscheinlich auch so erwachsen, so ausgeglichen.
Weiteres Glanzstück ist der Opener „Ancora Ancora Ancora“, der 1978 von der italienischen Pop-Queen Mina gesungen wurde. Das Original klingt überhaupt nicht veraltet, vielmehr fragt man sich, warum man diese Frau mit der Wahnsinnsstimme nicht besser kennt. Murphy steht ihr aber in nichts nach, obwohl sie vom Klang her viel kühler und im Vergleich mit Mina fast schon zurückhaltend klingt. Doch je mehr sie sich in diesen gebetsartigen Refrain vertieft, blüht ihre Stimme auf und man möchte nie wieder ein anderes Liebeslied hören. Der recht klassisch und einfach gehaltene Singteil wird gegen Ende mit einem Outro aus zuckenden Synthies und Fanfaren verabschiedet.
Murphy und Properzi haben dieser italienischen Musik ihren Stempel aufgedrückt, der nicht nur Reife spüren lässt, sondern auch ein Talent für subtile Elektropop-Hits. Nach kurzer Zeit hat man mindestens vier der sechs Songs im Ohr und kehrt immer wieder zu ihnen zurück. Sie sind so einfach zu hören, auch nebenbei, aber wenn man sich zwischendurch richtig darauf konzentriert, werden einem immer mehr Details auffallen. „Mi Senti“ ist als EP so in sich geschlossen, wie ein gutes Album und lässt Murphy-Fans überall wahrscheinlich jetzt schon für die kommende LP Däumchen drücken.
Roisin Murphy – Mi Senti, The Vinyl Factory, www.roisinmurphymisenti.com
Tags:5 von 5ElecRoisin MurphyThe Vinyl Factory
Über den Autor
Anne-Marie Darok Aufgabenbereich selbst definiert als: Musikpoetin mit viel Fantasie. Kriegt bei der Zeile “Real love, it finds you somewhere with your back to it.” (Beach House) immer noch Gänsehaut.