Viele Hundehalter plagen sich mit der Frage, ob sie ihren Hund roh füttern müssen, damit er gesund und artgerecht ernährt wird. Oft geraten sie bei der Beantwortung dieser Frage in einen Konflikt, weil z.B. gesagt wird, dass rohes Fleisch Keime bergen kann. Oder der Hund mag kein rohes Futter und sie fühlen sich schlecht, weil sie ihn nicht so gesund und artgerecht ernähren können, wie er es angeblich braucht. So artgerecht wie sein Urvater, der Wolf, sich ernährt.
Warum soll man einen Hund roh füttern?
Argument 1 – Hund = Wolf
Es gibt verschiedene Argumente, die für eine Rohfütterung sprechen sollen. Allen voran wird häufig dargelegt, der Hund stamme schließlich vom Wolf ab und der würde ja auch keinen Herd im Wald finden, um seine Mahlzeiten zu kochen. Das stimmt. Der Wolf kann in der Tat nicht kochen.
Der Wolf frisst aber auch kein Fleisch aus Massentierhaltung, er bekommt keine Impfungen, keine Wurmkuren, keine chemisch behandelten Nahrungsmittel und keine Antibiotika. Der in der Wildnis lebende Wolf wird im Durchschnitt auch keine 13, sondern eher 5 Jahre alt.
Der Wolf lebt auch nicht in einem Haus, schläft nicht im Hundekörbchen oder gar einem gemütlichen Bett, er muss seine Nahrung durch Kräfte zehrende Jagd erbeuten und wird nicht 3x täglich gefüttert.
Der Darm und die Mikroben
Sein Darm ist daran gewöhnt, mit Mikroben zurecht zu kommen, die er mit dem Beutetier aufnimmt, welches i. d. R. selber ein Leben in der freien Wildnis geführt hat, mit ebenfalls in keinster Weise durch Menschen manipuliertem Futter aus eben dieser Wildnis. Auch das Beutetier hat keine Medikamente bekommen, keine Wurmkuren, keine chemischen Behandlungen, keine Antibiotika, keine künstlichen Hormone.
Abgesehen davon, dass der Hundedarm nicht mit dem des Wolfes verglichen werden kann, weil er schon frühzeitig durch Medikamentengaben zur Gesundheitsvorsorge aus seinem natürlichen Gleichgewicht gebracht wird, kann man das Fleisch aus dem üblichen Barfshop oder Supermarkt sicher nicht mit dem Beutetier in der freien Wildbahn vergleichen. Wir können davon ausgehen, dass i. d. R. ein weniger gesunder Darm mit weniger gesunden Nahrungsmitteln konfrontiert wird.
Dann hat der Hund ja immer noch seine agressive Magensäure …
Tatsächlich? Oder handelt es sich dabei vielleicht eher um einen Mythos? Dr. Julia Fritz, Diplomate des European College of Veterinary and Comparative Nutrition und Fachtierärztin für Tierernährung und Diätetik, meint in ihrem Buch Hunde barfen dazu:
Manche Keime werden abgetötet, aber längst nicht alle. Es gibt säureresistente Keime, z.B. Milchsäurebakterien, aber auch Salmonellen, die die Magensäure problemlos überleben. Die Magensäure allein schützt den Hund also nicht vor Krankheitserregern. Und es ist folglich falsch, zu glauben, dass rohes Fleisch nicht gesundheitsgefährdend sein könnte.
In meinem Artikel „Der Salzsäure-Irrtum“ habe ich etwas näher erläutert, wie das genau mit der Salzsäure beim Hund läuft. Die Magensäure ist auf jeden Fall keine „Gesundheitsversicherung“ für den Hund, die ihn grundsätzlich vor Keimen schützt. Auch die Fütterung von viel Fleisch kann das übrigens nicht ändern, denn sie stimuliert zwar die Produktion der Magensäure, ändert aber nicht den pH-Wert und darauf kommt es ja an.
Ein Hund lebt also nicht wie ein Wolf, entsprechend darf auch seine Ernährung anders gestaltet werden. Auch wenn der Verdauungstrakt beider sich anatomisch gesehen sehr gleicht, ist doch vieles beim Hund ganz anders als beim Wolf.
Argument 2 – roh = höhere Verdaulichkeit
Verdaulichkeit – was ist das überhaupt? Mit der Verdaulichkeit ist quasi gemeint, wie viel von dem Nahrungsmittel der Organismus tatsächlich verwerten kann. Oft wird behauptet rohes Fleisch hätte eine höhere Verdaulichkeit, als gekochtes Fleisch, der Hund hätte also mehr davon. Das stimmt aber eigentlich gar nicht.
Die Verdaulichkeit von Nahrungsmitteln ist auch von den weiteren Komponenten abhängig, nicht nur von ihrer Verarbeitung. Untersuchungen zufolge liegt die Verdaulichkeit von Fleisch, das roh und ohne weitere Komponenten gefüttert wird, bei etwa 95%. Wird das Fleisch gegart, liegt die Verdaulichkeit bei etwa 93,5%. Die Unterschiede sind also nicht wirklich erwähnenswert. Werden beiden Variablen Kohlenhydrate in adäquater Menge zugefügt, sinkt die Verdaulichkeit leicht und liegt bei beiden etwa bei 92%.
Grundsätzlich kann man also sagen, dass sich die Verdaulichkeit von rohem und gekochtem Fleisch praktisch nicht unterscheidet.
Argument 3 – rohes Fleisch = nicht denaturiert
Das ist insofern richtig, da durch die Erhitzung der Proteine eine Denaturierung stattfindet. Aber – diese Denaturierung ist auch etwas, das im Verdauungstrakt mit den Proteinen passiert. Denn ohne diese Denaturierung, die bedeutet, dass Strukturen aufgeschlossen werden, können die Proteine nicht weiter verarbeitet werden. Es macht also nicht wirklich einen Unterschied, ob die Denaturierung nun vorher durch das Garen passiert, oder eben bei der Verdauung. Außerdem bedeutet die Denaturierung auch keinen wirklichen Nachteil, da sie lediglich bedeutet, dass die Struktur sich verändert. Beim Ei kann man das gut erkennen, es gerinnt wenn es gebraten wird. Die Denaturierung im Magen erfolgt durch die Magensäure. Denaturierung ist also kein Nachteil, sondern so oder so ein normaler Vorgang.
Argument 4 – roh = mehr Nährstoffe
Ja, es ist gemeinhin bekannt, dass viele Nährstoffe durch Erhitzung reduziert werden. Es gibt aber auch Nährstoffe, die werden durch Erhitzung erst aktiv. Oder aber die Nahrungsmittel können ohne Erhitzung gar nicht erst gefüttert werden, wie z.B. Kartoffeln oder auch Hülsenfrüchte. Trotzdem, auch wenn sie erhitzt wurden, können diese Nahrungsmittel sehr gute Nährstofflieferanten sein. Ein Nahrungsmittel kann durch eine Erhitzung durchaus sogar wertvoller werden, besonders, wenn diese schonend geschieht. Man kann also nicht grundsätzlich sagen, roh bringt immer mehr Nährstoffe.
Fazit
Es bringt also gar nichts, „gebetsmühlenartig“ zu wiederholen, nur eine rohe Fütterung wäre eine gesunde und artgerechte Fütterung für den Hund. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht.
Das einzige Nahrungsmittel, das man dem Hund wirklich NUR roh geben sollte, sind Knochen. Denn auch bei Knochen ändert sich die Struktur durch die Erhitzung, was zur Folge hat, dass sie splittern und so zur Gefahr werden können.
Ansonsten sollte man sich nach den Vorlieben des Hundes, der Verträglichkeit und nicht zuletzt auch nach dem gesundheitlichen Zustand richten. Denn ein kranker Hund ist natürlich auch viel anfälliger für pathogene Keime, da muss gut überlegt sein, ob man dem Hund wirklich rohes Futter (vor allem Fleisch!) geben möchte.
Gemüse kann einfach schonend gegart werden und oft fressen die Hunde das auch lieber, als das Rohe. Allerdings sollte man nicht ausschließlich gekochte Varianten füttern. Untersuchungen zufolge kann die Fütterung von rohem Gemüse zur Krebsprävention beitragen. Es empfiehlt sich also, zumindest ab und zu (optimal mindestens 2-3 Portionen die Woche) rohes, püriertes Gemüse zu füttern.
Entgegen vieler Meinungen ist es auch kein Problem, gekochte und rohe Varianten zu mischen. Wäre das ein Problem, könnte kein Mensch ein Steak mit Salat essen.
Wichtig ist (wieder einmal) auf die Qualität der Nahrungsmittel zu achten. Besonders, wenn man sich entschließt, den Hund mit rohem Fleisch zu füttern, sollte man auf die Herkunft achten. Fleisch aus herkömmlichen Quellen (das aus Massentierhaltung stammt) kann z. B. Keime enthalten (es kommt immer wieder zu Vorfällen, bei denen mit Keimen belastetes Fleisch zu Erkrankungen führt), die wohlmöglich sogar Antibiotika-resistent sind. Außerdem ist es belastet mit Hormonen und hat aufgrund der nicht artgerechten Fütterung der Nutztiere ein schlechtes Nährstoffprofil. Also wenn schon roh, dann aus vernünftigen Quellen.
Das gilt auch für Gemüse und Obst. Kommt es aus der Region, kann es durchaus mehr Nährstoffe enthalten, weil es reif geerntet werden kann, aufgrund des kurzen Transportweges.
Für den Hund gilt auch hier mal wieder, was auch für den Menschen gilt. Eine abwechslungsreiche Fütterung aus verschiedenen Komponenten bringt ihm die größte Nährstoffvielfalt. Wählt man die Nahrungsmittel dann noch sorgfältig aus, bringen sie auch nur wenige bis keine schädlichen Substanzen mit sich. Ob man nun roh oder gekocht füttert, ist letztendlich keine Frage der artgerechten Ernährung, sondern kann individuell entschieden werden.