"Rocky Balboa" [USA 2006]


Runde #6, letzte Runde. Stallons einzige Möglichkeit, nach zig Jahren Abschied zu nehmen und als schlachtenschlagender Boxer Rocky Balboa zur ewigen Ruhe, zur unantastbaren Unsterblichkeit gebettet zu werden, war die der Melancholie. Und ja, der Teufelskerl hat es vollendet, vernünftig abgeschlossen, er hat es tatsächlich bravourös gemeistert, seiner bewundernswürdigen Figur aus der Filmgeschichte und seinen Mythos aus der Popkultur das letzte bisschen Würde angedeihen zu lassen, um diesen dummguten und deshalb erst charakteristisch glaubhaften Menschen in des Zuschauers Herz einschließen zu können. Auch wenn’s schlussendlich weh tut, diesen zu verlieren. Inmitten einer elegischen Alterungsreflexion zwischen Schwermut und Nostalgie gehorcht Stallone jener Erzählkonstruktion, die ihn dazu brachte, ebenso kommerziell wie sportlich zu siegen, fünf Filme hintereinander. Die Marksteine auf dem Weg nach oben waren immer gleich: Krise, Lösung, Training, Kampf, Triumph. Diesen Entwicklungsstufen vertraut Stallone ein weiteres, ein sechstes Mal. Dabei montiert er die Vorgänger zur einer Art selbstreferentieller Trauerverarbeitung der guten, alten Zeit dazwischen. "Rocky Balboa" blickt auch durch die Zeit, wie sie hauptsächlich in der Vergangenheit ihre Kapriolen geschlagen hat, die in der Zukunft nachwirken. Dafür nimmt sich der Film die nötige filmische Zeit, viel Zeit genau genommen, das gedankliche Sammelsurium an Bildern – den "Rocky"-Bildern – während einer naturalistisch schattierten Seelenreise des Protagonisten feierlich, aber nie schwülstig aufzufrischen. Erinnern soll sich Rocky mit dem Zuschauer an altbekannten Orten, an Mickeys Trainingshalle, an Paulys Fleischhandelsunternehmen, an Adrians zoologischer Arbeitsstätte, wo die beiden ihr großes Glück gefunden haben, an der Eishalle, wo die beiden ihr großes Glück schließlich geteilt haben. Das sind intime Szenen, die auf mütterliche Weise berühren.
Dazu gibt's die üblichen Wahrzeichen, die Gütezeichen dafür, dass man die Originalfigur vor sich agieren hat, den Hut, die Schildkröten, den Hund, das unkontrollierte Mundwerk, ja Rockys Feinde von einst, die in seinem Restaurant zu dessen Stammkunden geworden sind. Mit dem zweiten Teil des Films beginnt hingegen der Wettkampfmechanismus zum letzten Mal Fahrt aufzunehmen. Eine abgehalferte Legende will es noch einmal wissen, gegen den aktuellen Champion im Schwergewicht und zugleich gegen das Vergessen und für die Erfüllung ihres unbezahlbaren Traumes anzutreten. Stallone fabuliert die Quintessenz weiter, was sich bereits in manchem Vorgänger gezeigt hat, vor allem im fünften, nämlich dass der nachhaltige Erfolg angesichts körperlicher Beeinträchtigung genauso flink verflogen sein kann wie er einem plötzlich zugeflogen ist, wenn man ihm nicht mehr hinterher schaut, wenn man ihm nicht mehr hinterher schauen kann. Hinzu kommt der ebenfalls davor erörterte Konflikt des Papas zu seinem Sohnemann. Dass Stallone unbedingt die auszustellenden Mätzchen der Moderne im Verhältnis zu seiner Vergangenheit einbeziehen und zusätzlich verstärken wollte, ist manchmal ein wenig aufgesetzt geraten – der sonst choreographisch recht bodenständige Finalkampf wird per überflüssiger Grafikeinblendung über Kämpferinformationen und Rundenzeit semidokumentarisch einer realen TV-Ausstrahlung nachempfunden. Auch die stilistischen Verfremdungseffekte beschleunigen das überkünstelte Gebaren. Immerhin sind einige Wegbegleiter Rockys wieder anzutreffen: Pauly (unausstehlich-kess wie eh und je: Burt Young), Marie (glück im Unglück: Geraldine Hughes), Duke (Tony Burton), Bill Conti, die Schweinshälften. Mike Tyson? Mike Tyson! Allenfalls Antonio Tarver als Rockys (schwarzer) Widersacher (hatten wir das nicht schon mal?) sowie James Francis Kelly als Rockys bessere Hälfte (entgegen seinem Vater konnte er sich einen Bürojob ergattern) mimen hölzern ihre Abziehbilder so, wie man sie sich imaginär auszumalen gedenkt. Eine schöne Reise nach zurück, trotzdem.
6/10

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