Nuit des rois / Jean-Michel Rabeux (c) Denis Arlot
„Was ihr wollt“ ist eine von Shakespeares bekannten Verwechslungskomödien, die neben viel Lachpotential auch eine gehörige Portion Tiefsinn aufweist. Sie als zeitgemäße, trashige Rockinszenierung auf die Bühne zu bringen heißt aber nicht, auf Letzteren zu verzichten – wenn es gut gemacht ist.
Jean-Michel Rabeux brachte im Le-Maillon in Straßburg Shakespeares Stück in französischer Sprache als “La nuit des rois” auf die Bühne, würzte den Text mit allerlei musikalischen Einlagen, vornehmlich rockig-jazziger Prägung und – machte seine Sache gut. Seine Truppe erschien als Mischung von Sergeant Peppers Hart-Club-Band und Udo Lindenbergs Panikorchester, nur dass sie nicht nur Musik machte, sondern über die Maßen gut schauspielern konnten.
Das Geschehen rund um Olivia, die ihren Bruder betrauert und sich unversehens in die als Mann verkleidete Viola verliebt, die ihrerseits ebenso um ihren Bruder trauert, von dem sie annimmt, er sei ertrunken, hat bei Rabeux exakt dieselben skurrilen Höhen, schillernden Zwischentöne aber auch nachdenklichen Passagen, wie William Shakespeare sie in seiner Urfassung angedacht hat. Obwohl es kein zwitschernderes Grün, kein blitzenderes Blau und kein schreienderes Gelb gibt, in das Rabeux seine Protagonisten gewandet. Obwohl der hünenhaft gewachsene Gilles Ostrowsky als Sir Andrew (im Deutschen Andreas von Bleichenwang) durch seine umwerfende Komik bei jedem seiner Auftritte das Publikum zu Lachern hinreißt. Er besticht nicht nur durch seine Körpersprache, sondern vor allem durch seine grenzenlos aussagestarke Mimik, die bis in die letzte Reihe wahrnehmbar ist. Obwohl Feste, der Hofnarr, alleine schon durch seine groteske Aufmachung mit weißen Gummistiefeln, weißem, durchsichtigen Möchte-Gerne-Zylinder und weißem Frack, unter dem er nichts als eine weiße Feinrippunterhose trägt, eine so komische Gestalt abgibt, dass sein Äußeres jeden seiner gesprochenen Einsätze überstrahlt. Georges Edmonts strahlend weiße Haare passen dazu wie das Tüpfelchen auf dem i. „Obwohls“ wären noch einige anzuführen, die belegen, dass das Publikum bei dieser Inszenierung mit einer ganzen Menge subtilem, aber auch handfestem Witz unterhalten wird. Mitleid, Verwunderung und Nachdenklichkeit gehen dennoch nicht verloren und machen tatsächlich das Salz in der so überaus heißen Lachnummernsuppe aus.
Man spürt Mitleid mit dem alten Narren, der seine besten Zeiten längst hinter sich hat ebenso wie mit Olivia, deren Liebe anfänglich nicht erwidert werden will. Man ist verwundert ob der Liebesblödigkeit, in die Malvolio, der Haushofmeister Olivias verfällt. Und nicht zuletzt wird man ein klein wenig nachdenklich über die unbedingte Liebe und Ergebenheit Antonios, der Sebastian, den er vor dem Ertrinken gerettet hat, selbst dann nicht alleine lässt, als er sich dabei selbst in Gefahr begeben muss.
Über allem Spaß und allem Nachdenkenswerten steht in dieser Inszenierung jedoch schlichtweg die Lust am Theatermachen. Die Lust, das Publikum zu unterhalten und nicht zuletzt auch selbst Spaß am Theaterspielen zu haben. Die kleine, zarte Geraldine Martimeau, die in ihrer Körpersprache als Mary zwischen kindlicher Unschuld und raffinierter Fädenzieherin übergangslos wechseln kann, erinnert durch ihre Ringelstrümpfchen und dem bauschigen, hellblauen Tutu an Pippi aus der Villa Kunterbunt, die sich als Primaballerina verkleidet hat. Claude Deliame als ständig betrunkener Sir Toby (Tobias von Rülps) im violetten Samtanzug, dem es dennoch immer wieder gelingt seinen zahlungswilligen Zechbruder Sir Andrew in seiner Nähe zu halten, ist aufgrund seines hohen Alkoholpegels in keiner Sekunde wirklich bei Sinnen – und dennoch scheint an ihm gerade deswegen der Ernst des Lebens wie ein leiser Fluss in der Ferne vorbeizurauschen. Benedicte Cerutti, mit ihren fließenden, langen, roten Haaren und dem bodenlangen, weit geschlitztem Kleid, macht gerade in ihrem Herzeleid allergrößten Staat. Sie berührt jede und jeden, der schon einmal erleben musste, was unerwiderte Liebe bedeutet. Wie ihr Liebesschmerz von einem Augenblick auf den anderen in Komik kippt, weil sie auf allen Vieren aus der Szene kriecht und dabei mit dem Kopf gegen eine Mauer stößt, zeugt von allerfeinstem handwerklichem Theaterkönnen. Malvolio, Christophe Sauger, der in Shakespeare Vorgabe seine Herrin Olivia mit gelben Kniestrümpfen betören möchte, erscheint gleich in einem kanarigelben Bodysuit und orangen High-heels. Corinne Cicolari, im Stück als Curio agierend, trägt den Abend neben Seb Martel an der Gitarre mit ihrer rauchigen, vollen Jazzstimme, die so ganz im Gegensatz zu ihrem Outfit steht, das eher an einen Zirkusclown erinnert. „I put a spell on you“, „Wild thing“ oder „Don´t worry be happy“ sind nur ein kleiner Auszug jener Nummern, die sich ganz organisch über das Stück verteilt ins Geschehen eingliedern. Die Musik begleitet manchmal kurze Umbauphasen, dann wieder wird sie als erklärendes oder verstärkendes Gefühlsmoment eingesetzt. Das Bühnenbild – eine große rote Metallwand, in die ein großes, rotes Metallpodest eingeschoben werden kann, wird für jeden Aufzug geringfügig verändert. Sie wird nur durch ein breites Treppenpodest ergänzt, auf welchem sich die Schauspieltruppe zwischendurch einfindet, um gemeinsam Musik zu machen. Wie zu Shakespeares Zeiten verwendet der Regisseur Melodien, die jeder kennt, und man kann sich gut vorstellen, dass das Publikum vor 500 Jahren durch eine ähnliche musikalische Verklammerung gefühlsmäßig mit dem Geschehen so verbunden gewesen ist, wie wir es heute sind.
Das Verwirrspiel um falsche geschlechtliche Identitäten und Liebesbekundungen wird von Rabeux zu einem veränderten Finale geführt. Sebastien, der Zwillingsbruder Violas, wird nicht genötigt, sich mit Sir Andrew zu duellieren, vielmehr erkennt dieser auch ganz ohne Prügel, dass er vom Leben – oder genauer gesagt – von den Menschen rund um ihn, in vielerlei Hinsicht an der Nase herumgeführt wurde. Laut schimpfend verlässt er die Bühne. „Ich hasse die Liebe, ich hasse die Liebe“ ruft er dabei den sich glücklich vereint sehenden Paaren ins Gesicht und zeigt noch einmal, dass Shakespeares „Was ihr wollt“ nur für jene eine leichte Kost ist, die sich auf den Tiefsinn partout nicht einlassen wollen.