Leserbrief zum Thema Banken und Krise:
„Zwei Punkte wurden in Eurer Darstellung unterschlagen.
1. Banken handeln ebenso systemisch wie andere Finanzdienstleister, Versicherer oder Konzerne auch: mit allen Mitteln Gewinn erwirtschaften, auch mit unlauteren (systemische Gier). Ausnahmen gibt es leider nur sehr wenige.
2. Jon Schaffer spricht, ebenso wie libertäre Parteien oder Organisation, wiederholt vom Terminus: „Freiheit“. Politik war eigentlich schon immer dazu gedacht, die Freiheit des einzelnen zum Wohle aller oder zumindest der Mehrheit einzuschränken und das Zusammenleben zu steuern (Stichwort: Steuer). Freiheit zum eigenen Vorteil, auf Kosten anderer oder aus Dummheit, soll und muss durch den Mittler Staat möglichst unterbunden werden. Wenn er denn richtig funktioniert; was er in dieser Demokratiechimäre schon lange nicht mehr tut. Dazu ist die Einflussnahme durch Bestechung, Lobbyeinwirkung, und Verflechtung mit Privatkonzernen oder eben einflussreichen Banken zu allmächtig.
Es sind aber nicht nur Konzerlenker, Bankster oder Lobbykraten die sich alle Freiheiten der Welt herausnehmen und zum eigenen Vorteil insistieren. Es sind doch letztlich wir alle. Eine Gesellschaft, die seit Jahrzehnten aufs Durchkämpfen und egoistische Mitmachen trainiert wird, und der allenthalben vorgegaukelt wird, jeder könnte reich werden („aber nicht alle“ O-Ton Volker Pispers), die versucht nun mal auf Teufel komm raus individuell durchzukommen und sich nach oben zu boxen. Das führt zu Konkurrenz und Ellenbogenmentalität. Um Arbeitsplätze, um den besten Platz am Büffet, um die Pole-Position an der Ladenkasse, um die besten Rohstoffquellen. Also sind wir alle Teil des Problems, durch unsere anerzogene Mitmachmentalität im „System Kapitalismus“ und die natürliche Gier. Außer eben einigen Individualisten, die sich aus dieser Konformitäts-Matrix befreit haben. Die nennt man dann vorschnell gerne Spinner, Träumer oder Extremisten…
All die Probleme wie Umweltverschmutzung, Leerfischung der Meere, Urwaldrodung, Kinderarbeit, Gentechnik, Ressourcenknappheit („Seltene“ Erden, Peak Oil); Waffenexporte/Krieg gegen den Terror oder Landgrabbing sind doch nur extrem wuchernde Symptome und nicht die Ursache unserer weltweiten Missstände. Weil alle irgendwie profitieren wollen, Gewinn erwirtschaften, Anleger befriedigen müssen oder ihren Kindern etwas bieten möchten. Mit haufenweise Klamotten, Plastikspielzeug und Flugreisen in die weite Welt. Wobei sie ganz vergessen, dass sie mit diesem Gebaren die Lebensgrundlagen ihrer eigenen Kinder zugrunde richten.
Die aktuelle Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, die zu dem Schluss kommt, dass 147 Konzerne die Weltwirtschaft kontrollieren und besonders Banken und Rentenfonds mit ihrem Einfluss ganz weit vorne stehen, sowie die 99-Percent-Occupy- Bewegung verleihen Jon’s „Projekt Sons Of Liberty“ eine nicht abzustreitende Legitimität. Wenn er aber ausschließlich die Banken beschuldigt und unter Kontrolle bringen will, greift diese Kritik viel zu kurz. Oder glaubt wirklich jemand, es werde alles gut, wenn nur schnell die Banken angeleint sind und jeder einem leidlichen 08/15-Job nachgehen kann. Darüber, dass die politischen Hansels dieses Systems mit ihrer öffentlichen Gewalt rücksichtslos die Lebensverhältnisse der Masse kündigen, damit private Geldvermögen gerettet werden und die Nation kreditwürdig bleibt, wird breit gejammert. Aber wieso besteht man zusätzlich darauf, kein Gegner dieses so feindlich gesinnten Systems zu sein, sondern nur normale Menschen sein will, „die jeden morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden, Menschen, die jeden Tag hart arbeiten“? Die Krisengewinnler pfeifen auf unsere Dienste und lassen uns für die Systemschulden zahlen, und wir kommen ihnen damit, dass wir die Mitarbeit am System aber noch lange nicht aufkündigen wollen…
Ist denn nicht alles besser als ein weiter so wie bisher, auch wenn wir uns jetzt noch nicht auf ein neues Wirtschaftssystem einigen können oder wollen? Vielleicht ist demokratischer Sozialismus, wie ihn Pispers fördert, keine bessere Alternative, auch wenn er noch nie ausprobiert wurde. Aber er wäre allemal besser als die Diktatur des Kapitals, wie wir sie seit Jahren etabliert haben! Selbst eine erfolgreich in alle Welt exportierte soziale Marktwirtschaft, die jahrzehntelang unseren Konsum befriedigte, könnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass gar nicht genügend Rohstoffe auf dieser Erde vorhanden sind, um den aufstrebenden Staaten in Indien und Asien eine kapitalistische Wohlfühl-Sitcom mit Eigenheim, Zweitwagen, Flatscreen und alle Tage Fleisch auf dem Teller anzupreisen.