In All Is Lost spielt nur Robert Redford mit – und geht an die Grenzen des Lebendigen. Der Film läuft zur Zeit in den Kinos.
Die letzten Worte des Mannes kommen im Film zuerst. Danach wird kaum mehr gesprochen. Wir werden Zeugen seines Schiffbruchs, der sich inmitten der unendlichen, leeren Weiten des indischen schen Ozeans und aus heiterem Himmel ereignet und müssen zusehen, wie seine Lage immer hoffnungs- und aussichtsloser wird.
Wer der Mann ist, woher er kommt, wohin er wollte, das lässt der Film klugerweise offen. Wir können es nur ahnen. Es spielt aber eigentlich keine Rolle, denn je länger der Film dauert, desto mehr büsst dieser Mann von seinem Selbst ein – er wird zum Symbol, zum Stellvertreter. Wir wissen, nur, dass er alt ist.
“Our Man” heisst die Figur im Abspann – “Man” bedeutet im Englischen bekanntlich auch “der Mensch”.
Was “Our Man” in den rund 100 Filmminuten da erlebt, ist der sukkzessive Verlust jeglicher Sicherheit, jeglicher Zivilisation. Nach der Havarie tuckert er allein auf dem unendlichen Ozean, ein wütender Sturm zerstört seine Jacht. Bevor sie von den Fluten verschluckt wird, kann er noch einige Lebensmittel und Habseligkeiten herausholen, dann zieht er sich damit auf die aufblasbare “Rettungsinsel” zurück. Nun ist er steuerlos, jeglicher Kontrolle über sein Schicksal und damit jeglicher Individualität beraubt.
Als die Jacht – sie heisst “Virginia Jean”, der Name ein Echo aus dem früheren Leben “unseres Mannes” – als die “Virginia Jean” sinkt, geht mit ihr das letzte Stücklein Zivilisation unter, mit dem der Film “unseren Mann” noch verband. Auf der “Rettungsinsel” ist er nackt, aufs blosse Dasein zurückgeworfen, der Natur in all ihrer blinden Brutalität schutzlos ausgeliefert. Wenige der geretteten Gegenstände, Errungenschaften menschlichen Zivilisation, nützen ihm noch etwas: Ein leerer Kannister. Ein Becher. Mit ihnen verrichtet er Dinge, welche die Menschen früherer Zivilisationen schon taten: Eingedrungenes Wasser aus der “Insel” schöpfen; kondensiertes Wasser zum Trinken sammeln. Das Astrolabium, mit dem er mit eiserner Beharrlichkeit seine Position bestimmt, stammt aus der Zeit der frühen Seefahrer. Die Position, die er dann auf der Seekarte einträgt, ist Sinnbild für ihn selbst: Er ist ein einsames Kreuzchen im Nichts und Nirgendwo des Indischen Ozeans geworden.
All Is Lost regt zum Nachdenken an: über die menschliche Zivilisation, über das Sein als solches und den Verlust desselben. Was sind wir, wenn wir nichts mehr haben als das Leben? Und das auch noch zu verlieren drohen? Wer sind wir dann?
Die Wahl des Hauptdarstellers erscheint als absolut zwingend: Robert Redford, der Superstar, der seinen Bekanntheitsgrad über Jahrzehnte halten konnte, wird zum menschlichen Nichts reduziert. Das verfehlt seine Wirkung nicht und bringt die Aussage des Films in schockierender Deutlichkeit und ganz nebenbei zum Ausdruck. Bei keinem anderen Schauspieler hätte dies derart gut funktioniert wie bei Redford. Ihn – ausgerechnet ihn – derart hilflos zu sehen, tut fast physisch weh. Der Schluss des unglaublich dichten und packend inszenierten Films kann als aufgesetztes Happy-End interpretiert werden, aber auch als Transzendenz der Hauptfigur. Der Mensch stirbt. Seine Persönlichkeit löst sich auf. Am Schluss wird er erlöst. Heimgeholt?
Regisseur Chandor inszeniert fast zur Gänze mit der Handkamera – eine bei diesem Thema fast logische Wahl, die dem Drama zusätzliche Intimität verleiht. Fast noch wichtiger als die Bilder sind in diesem Film die Geräusche. All Is Lost ist kein Stummfilm, sondern eine Art Geräuschfilm. Ferner Donner, das Heulen des Windes, das Flattern der Segel, das Akustische ist als Mit-Akteur ständig präsent und steigert die Spannung, trägt zur Glaubhaftigkeit bei. Als “unser Mann” ins halb schon gesunkene Boot steigt, um überlebenswichtige Dinge herauszuholen, steigert das Ächzen und Jaulen Schiffes die Spannung ins Unerträgliche. Wir verstehen ohne Worte: eine falsche Bewegung, und das Gleichgewicht wäre dahin und das Schiff würde ganz absacken.
All Is Lost ist in vielem anders als andere Filme. Sehr anders. Und das ist gut so.
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Weitere Filmempfehlungen (sämtliche Filme sind auf DVD erhältlich, sofern nicht anders vermerkt):
Take Shelter (Ein Sturm zieht auf – 2011) - Und gleich nochmals “Sturm”: Den Bauarbeiter Curtis LaForge wird von unheimlichen, quälenden Alpträumen heimgesucht, in denen ein verheerender Sturm die Existenz seiner kleinen Familie bedroht. Die Aengste treten auch tagsüber auf, er beginnt mit dem Bau eines Schutzbunkers im eigenen Garten. Schon bald steht die zentrale Frage im Kino-Raum: Wird Curtis langsam wahnsinnig oder hat er Visionen?
Seine Umwelt hast die Frage relativ rasch beantwortet, denn als Freund, Arbeitskollege und Familienvater benimmt sich Curtis immer merkwürdiger. Regisseur Jeff Nichols ist mit Take Shelter ein intensives, absolut fesselndes Psychogramm eines Querschlägers gelungen, das seine grosse Intensität und Spannung bis zuletzt durchzieht. Nicht zuletzt ist dies das Verdienst des hierzulande kaum bekannten Schauspielers Michael Shannon, der diesen Zerrissenen mit fast beängstigender Präsenz und bewundernswertem Engagement gibt. Erst zuletzt begreift man, worum es dem Film eigentlich geht: Nicht um die Frage, ob Curtis spinnt oder nicht – sondern um die Kraft der Liebe. Grossartig!
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On The Beach (Das letzte Ufer – 1959) – Ein weiterer unglaublich intensiver Film! Obwohl er längst nicht perfekt ist und einige Schwächen hat, ist On the Beach einer dieser aussergewöhnlichen Filme, die einen auch über das Film-Ende hinaus nicht mehr loslassen. Er gehört zu jenen Werken, die zu Beginn des kalten Krieges die Gefahren der atomaren Aufrüstung aufzeigen wollten. Er tut dies auf ganz andere Art als der bekannte Dr. Seltsam von Stanley Kubrick – mit leiser Melancholie und verhaltener Trauer wird da von der Menschhheit Abschied genommen.
Der Atomkrieg ist vorbei – die Menschheit liegt im Sterben. Das Leben auf der Erde wird vom atomaren Fallout langsam ausgelöscht. Die radioaktive Wolke treibt auf Australien zu, das zur letzten Bastion der Menschheit geworden ist. Der Film zeigt nun die letzten Tage aus der Sicht von drei Protagonisten: Des U-Boot-Kapitäns Towers (Gregory Peck), der sich auf Tauchstation befand, als “es” geschah, des jungen Leutants Holmes (Anthony Perkins), und seiner Familie und des Professors Osborne (Fred Astaire), der sich durch seine Forschung an der Katastrophe mitschuldig gemacht hat. Regisseur Stanley Kramer zeigt in On the Beach keine abschreckenden Horror-Bilder von zugrunde gehenden Menschen – sondern vollkommen entvölkerte Städte. Das Bild vom menschenleeren San Francisco gehört für mich zu den eindringlichsten Momenten der Filmgeschichte.
Das Thema war zu jener Zeit gewagt – und On the Beach hat bis heute nichts an Aktualität eingebüsst.
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Penelope (2006) – Ein böse Hexe belegte die Familie Wilhern vor Jahrhunderten mit einem Fluch: Die erste Tochter, die in eine Wilhern-Familie geboren wird, soll das Aussehen eines Schweins haben. Die nächsten paar hundert Jahre kommen nur Jungs zur Welt. Als dann Penelope (Christina Ricci) das Licht der Welt erblickt, befinden wir uns im Heute und an den Fluch kann sich keiner der Familie mehr erinnern.
Mark Palanskys Film führt auf höchst amüsante und verspielte Weise die Selbstfindung eines menschlichen Schweins vor. Gleichzeitig wird wie bei einer Versuchsanordnung die mannigfaltige Reaktion einer Gesellschaft aufgezeigt, welche die Norm zum Götzen erhoben hat. Erkenntnis: Die einzig Normale ist die scheinbar abnorme Schweinefrau.
Dem Film liegt ein sehr schönes Drehbuch zugrunde, welches von einer krampfhaft auf Originalität getrimmten Regie fast überrollt wird.
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L’illusionniste (2010) – Ein altes Drehbuch von Jacques Tati, das lange Zeit (seit 1956, um genau zu sein) in der Schublade vor sich hin dämmerte, liegt Sylvain Chomets Zeichentrickfilm zugrunde. Tati hatte es seinerzeit für sich und seine Tochter Sophie konzipiert, aber nie verwirklicht. Dass es 2010 doch noch das Licht der Leinwand erblickte, ist nicht zuletzt Tatis Tochter zu verdanken, die es an den Animationsfilmer Chomet weiterreichte. Im Mittelpunkt steht der glücklose Bühnenzauberer Tatischeff – eine gelungene Karikatur Jacques Tatis – der von Ort zu Ort zieht, um sich über die Runden zu bringen.
L’illusionniste versucht auf allen Ebenen, “Tati” zu sein; leider gelingt ihm das nicht. Ein Tati-Film ohne Jacques Tati ist daraus geworden, der einem schmerzlich vor Augen führt, was bleibt, wenn man von Tatis Ideen den Genius ihres Erfinders subtrahiert: gähnende Langeweile. Die ist in Chomets Film zwar wunderschön bebildert und meisterhaft animiert. Aber dadurch wird sie nicht interessanter. L’illusionniste bleibt seltsam leer – und langweilig.
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Rise Of The Planet Of The Apes (Planet of the Apes: Prevolution – 2011) – Dieses “Prequel” zum Science-Fiction-Klassiker Planet Of The Apes (1968) wurde von der Kritik hoch gelobt, als es vor zwei Jahren in den Kinos lief. Ich fragte mich nach der Visionierung letzte Woche bloss, weshalb. Die Handlung ist dünn, zum Teil läppisch, weil gewaltsam auf die Ereignisse im Originalfilm hin zurechtgebogen.
In Rupert Wyatts Streifen wird – m.E. wenig glaubhaft – erklärt, wie es dazu kam, dass die Erde in ferner Zukunft von intelligenten Affen regiert wird. Schuld ist das Alzheimer-Serum eines genialen jungen Wissenschaftlers, welches an Versuchs-Affen ausprobiert wird. Daraus erwächst ein äusserst intelligentes Affenjunges, das zunächst lieb und herzig ist, das aber der kalten Profitsucht der Menschen zum Opfer fällt, sich wehrt und einen Affenaufstand anzettelt. Leider verfängt die Zivilisationskritik nicht, weil sie immer bloss Staffage bleibt und allzu deutlich dem Zweck dient, die Handlung in Richtung des Klassikers von 1968 zu treiben. Zudem stellt sich der Film mit zunehmender Dauer immer mehr in den Dienst von CGI-Effekten, was seine Kälte und den Eindruck von Kalkül noch verstärkt.
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