Nach einer Wahnsinnsfahrt von Manali nach Leh hatte ich Ladakh (aus dem tibetischen la-dwags: „Land der hohen Pässe“) und das mächtige Tal des Indus erreicht. Ladakh wird auch als „Klein-Tibet“ bezeichnet und die tibetische Kultur gedeiht wohl nirgendwo so ungestört wie im äußersten Norden Indiens. Die Region ist heute auf dem Landweg nur auf zwei sehr abenteuerlichen Routen zu erreichen: die eine führt von der Hauptstadt Kaschmirs Srinagar über den berüchtigten Zoj-La-Pass vom Westen aus nach Leh; die andere von Manali im Süden über drei 5000-Meter Pässe bis ins Industal auf eine der höchsten Straßen der Welt hatte ich gewählt.
Die schwere Erreichbarkeit der Region ist Fluch und Segen zugleich. Der Massentourismus wird hier nie einziehen und nur so konnte sich das reiche tibetische Erbe erhalten können. Gleichzeitig sind die Lebensbedingungen für die Menschen ausgesprochen hart und die Isolation vom Rest der Welt hoch. Ladakh wird von drei der höchsten Bergketten der Welt umschlossen. Im Süden liegt der hohe Himalaya; im Nordwesten stellt der Karakorum die Grenze zu Pakistan und Zentralasien dar; im Norden stellt die Kunlun-Kette im Süden der Takla-Makan-Wüste die Grenze zu China dar. Die Berge innerhalb Ladakhs erreichen Höhen von über 7000 m und selbst die Täler liegen auf über 3500 Metern.
Die Region gehört zum indischen Bundesstaates Jammu und Kashmir. Sie besteht aus den Verwaltungsdistrikten Kargil und Leh. Das Gebiet ist mit 270.000 Einwohnern nur sehr dünn besiedelt und stellt eine extrem trockene Landschaft dar. Die zwei vorgelagerten Hauptketten des Himalaya im Süden verhindern größtenteils, dass der Monsun bis nach Ladakh vordringt.
eine surreale Steinwüste
Der Niederschlagsmangel wird durch Bewässerung ausgeglichen. In den Flusstälern wurden fruchtbare Oasen geschaffen. Hier werden Getreide und Gemüse angebaut. Die Oasen sind meist Eigentum von Klöstern und werden von diesen bewirtschaftet. Die Klöster sind daher verhältnismäßig reich, zumal sie auch Spenden erhalten und Einnahmen aus dem Tourismus erzielen. Generell stellt der Tourismus heute die wichtigste Einnahmequelle für die Ladakhis dar.
das Kloster Tikse
„Über Jahrhunderte genoss Ladakh eine stabile, landwirtschaftlich geprägte Autonomie, basierend auf dem Anbau von Gerste, Weizen und Erbsen, sowie der Viehwirtschaft von Yaks, Dzo, Kühen, Schafen und Ziegen. Auf Höhen zwischen 3000 bis 4300 Meter ist die Vegetationsperiode auf einige wenige Monate beschränkt; die Herden sind klein und Wasser knapp. Wie in Spiti und Zanskar haben die Ladakhi daher eine kleinmaßstäbliche Landwirtschaft entwickelt, die perfekt an ihre besonderen Lebensumstände angepasst ist. Das Land wird durch ein ausgeklügeltes System von Kanälen urbar gemacht, indem sie das Schmelzwasser von den Gletschern auf die Schwemmterrassen der Täler leiten.“
(aus Peter van Ham: „Indiens Tibet – Tibets Indien“ – ein wundervoller Bildband mit reichhaltigen Informationen über die Kulturen des Westhimalaya)
Das Indus-Tal
Dieses Ökosystem ist jedoch massiv vom Klimawandel bedroht.Jüngere Expeditionen haben belegt, wie massiv die Niederschläge in Ladakh in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Nach Berichten der örtlichen Bevölkerung sind zahlreiche Seen in den letzten Jahrzehnten ausgetrocknet und zu Salzseen geworden, in denen keine Fische mehr leben und aus denen Nutztiere nicht mehr trinken können. Ladakh ist durch massiven Wassermangel bedroht. Das Abschmelzen der Gletscher ist eine Katastrophe und verstärkt diesen Mangel weiter; gleichzeitig sind die Niederschläge unberechenbarer geworden und wenn es einmal regnet, dann ungewohnt heftig. Der völlig ausgetrocknete Boden kann das Wasser nicht aufnehmen und es kommt zu Überschwemmungen und regelrechten Sturmfluten, die 2010 einen ganzen Stadtteil von Leh dem Erdboden gleichgemacht hat.
Eine weitere schwere Belastung stellt die verworrene politische Lage dar. Wenn man die wunderschöne Landschaft mit ihrer friedvollen Kultur und den gastfreundlichen Menschen betrachtet, kann man Das kaum glauben. Doch die Region ist von geopolitischer Bedeutung.
Denn der Kaschmir-Konflikt strahlt auch in den Osten des Bundesstaates aus. Zudem sind neben den pakistanisch-indischen-Beziehungen auch die zwischen China und Indien seit Langem sehr angespannt. China hält die Region Aksai-Chin seit den 60ern besetzt, als es zu einem kurzen aber heftigen Krieg zwischen den beiden Großmächten kam. Sie ist für die chinesische Regierung von besonderer Bedeutung, da sie an die autonomen Regionen Tibet und Xinjiang grenzt. Im Nordwesten stehen sich die Armeen Pakistans und Indiens am Siachen-Gletscher auf 6000 Metern gegenüber. Die Militärpräsenz in Ladakh ist unübersehbar.
Zugleich isoliert dieser Umstand die Region noch weiter:
„In der Vergangenheit profitierten die Ladakhi sehr von der Lage ihres Landes am Schnittpunkt wichtiger Handelswege zwischen Indien und Zentralasien. Sie erhoben Zölle auf alle Waren, die ihre Grenzen auf dem Weg nach Turkestan, Tibet, Punjab, Kaschmir und Baltistan passierten. Eine Minderheit der Ladakhi verdingte sich als reisende Kaufleute, Karawanenhändler und Kuriere im Handel mit Textilien, Teppichen, Färbemitteln und auch Drogen zwischen dem Punjab und Sinkiang (Xinjiang). Seit der Schließung der Grenzen ist der internationale Handel komplett zum Erliegen gekommen.“ aus Peter van Ham: „Indiens Tibet – Tibets Indien“
Der Austausch mit den benachbarten Regionen hat Ladakh immer geprägt. Sowohl muslimische, buddhisitische als auch hinduistische Einflüsse waren einflussreich. Der Handel mit Tibet und Zentralasien stellte die Lebensgrundlage der Menschen dar und war ein wichtiger Träger für den Kulturaustausch. Ich hoffe sehr, dass sich die Grenzen wieder öffnen und Frieden einkehrt!
das Industal in herbstlichen Farben und Schleierwolken - fast unwirklich schön...
Die Tierwelt hat viel gemein mit der Zentralasiens und Tibets. Zugvögel (Gänse und Kraniche) verbringen den Sommer an den Seen im kühleren Ladakh. Auch Geier und Adler sind hier beheimatet. Zudem finden sich Antilopen, Gazellen, Steinböcke und der seltene Schneeleopard. Sie trotzen Temperaturen von unter -40 Grad im Winter und trockenen und heißen Sommern. Ich selbst habe in Ladakh nur eine Woche verbracht und doch gehört diese Erfahrung zu den intensivsten meines Lebens. Neben der unglaublichen Mondlandschaften, waren es die herbstlichen Farben, die schneebedeckten und imposanten Gipfel, der mächtige Indus sowie die Klöster mit ihrem reichen kulturellen Erbe, die mich beeindruckt haben.
wenn das keine Mondlandschaft ist...
Auch die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Ladakhis habe ich in lebhafter Erinnerung. Im Norden der Hauptstadt Leh mit seinen verwinkelten Gassen und seinen vielfältigen Bewohnern liegt ein weiteres Kleinod – das Nubra-Tal. Hier gibt es eine Sandwüste und Kamele (was für ein Kontrast!), die noch von der langen Karawanentradition zwischen Indien und Zentralasien zeugen. Leider musste ich auf dem Pass kehrt machen, da sich ein heftiger Sturm ankündigte. Doch der Blick von diesem Pass bleibt unvergesslich:
weiter Blick über Ladakh vom Kardhung-La-Pass auf 5600 Metern
Ein letzter Höhepunkt stellte der Besuch einer Zeremonie im bekanntesten Kloster Tikse dar:
Ein riesiger Thanka (ein Rollbild mit religiösen Motiven)
Ein in Trance befindliches Orakel siegt im Ritual über die Dämonen
Leider war mein Aufenthalt zeitlich sehr begrenzt. Bei meiner Abreise war es bereits bitterkalt und in meinem Gasthaus wurde das Wasser abgestellt, da die Rohre sonst geplatzt wären. Die Straßen nach Kaschmir oder Manali waren inzwischen unpassierbar und so blieb nur die Abreise mit dem Flugzeug. Die Aussicht über die Gipfel des hohen Himalaya war atemberaubend.
Meine Faszination für den Himalaya ist ungebrochen; und so freue ich mich schon auf den nächsten Besuch. Dann möchte ich Zanskar und Spiti besuchen und diesmal nach Nubra vorstoßen. Auch die Region Mustang in Nepal reizt mich sehr.
der Zusammenfluss von Indus und Zanskar weist die Richtung für meine nächste Begegnung...
Weiter Impressionen aus dem Himalaya:
Die Khumbu-Region und der Mt. Everest in Nepal
Der Manali-Leh-Highway
Kaschmir