Riskante Kletterpartie – Ein Abenteuer im Dovestone Reservoir

Von Feder

“In Yorkshire gibt`s eigentlich keine Seen”, war der erste Satz, der in mir so etwas wie leichte Enttäuschung auslöste, als ich meinen Engländer nach dem allgemeinen Wasseraufkommen seiner Heimat befragte. Und das, wo ich doch ein absoluter Bootsfan bin, das heißt vielmehr Gummi- als Motorboot, aber dennoch. Mindestens ein ausgedehnter Tag auf dem Wasser ist im Sommer ein absolutes Muss. Na ja, leider musste ich feststellen, dass es tatsächlich der Wahrheit entspricht, jedenfalls was Badeseen angeht. Da muss man tatsächlich schon ins örtliche Schwimmbad gehen, um dem beliebten Planschvergnügen nachzugehen. Outdoor-Schwimmen ist hier eher nicht so angesagt, was daran liegen mag, dass man ohnehin im Laufe des Tages nass wird ohne Regenschirm und sich dafür nicht extra in einen See setzen muss.

Baden verboten!
Und dennoch, als wir die ersten Male durch die nordenglische Landschaft fahren, erblicke ich eine Menge an glitzernden Seen und verdächtige meinen Engländer prompt, gemeine Falschinformationen gestreut zu haben. Etwas voreilig freue ich mich, dass sich hier jemand nur einen üblen Scherz mit mir erlaubt hat.

“Das sind Reservoirs, Wasserspeicher, aus denen sich die Wasserversorgung der Umgebung speist. Da kann man nicht drin baden. Nirgends.” Okay, ich verstehe ja die Notwendigkeit einer solchen Anlage, aber dass man diese Reservoirs dann auch noch so attraktiv gestaltet, mit hübschen Parkanlagen, ewig langen Fußwegen, kleinen Stränden und einladenden Picknickflächen, das ist doch wirklich hundsgemein. Da sitzt man also im Schweiße seines Angesichts (ja gut, bei englischen 20 Grad) bei gefüllter Pastete und Apfelcider auf der handgecrafteten Patchworkdecke, den Bikini griffbereit und blickt sehnsüchtig aufs kühlende Nass. Und dann bist du bereit, dich wollüstig mit den Fluten zu vereinen, läufst ans Ufer, setzt an, und kurz bevor du mit einem gekonnten Jauchzer hineingleiten willst, springt dir ein Schild entgegen: “Baden verboten!” Fies.

Ab und zu scheinen zumindest Boote erlaubt zu sein, jedenfalls habe ich ein paar davon schon entdeckt. Dass Badende die Wasservorräte verunreinigen könnten, wie man als Grund für die Restriktion annehmen könnte, scheint mir nahezu ausgeschlossen, bedenkt man, wie viele Hunde darin täglich herumtollen oder gar ihr Geschäft verrichten (alles schon selbst beobachtet).

Auch ist der Schwimmerbetrieb zwar für Otto Normalverbraucher nahezu überall verboten, aber solche Events wie der UK Ironman oder andere Wettbewerbe finden für gewöhnlich in Reservoirs statt. Es ist wohl wahrscheinlicher, dass es schlicht und einfach um ein paar ernstzunehmende Sicherheitsbedenken geht wie gefährliche Pumpvorrichtungen, die unterschätzte Tiefe, eiskalte Temperaturen und die begrenzten Ausstiegsmöglichkeiten. Wie dem auch sei, der Fuß bleibt auf dem Land. Zum schlichten Spazierengehen und am Ufer kontemplieren jedenfalls eignen sich Reservoirs ganz wunderbar.

Das Dovestone Reservoire
So zum Beispiel das zauberhaft schöne Dovestone Reservoir im Peak Distrikt in den South Pennines. Inmitten des Chew Valleys in der Region Greater Manchester reihen sich gleich drei große Reservoirs aneinander: das Dovestone Reservoir, das Yeoman Hey und das Greenfield Reservoir. Drumherum schlängeln sich breite Wanderpfade, die teilweise durch Mischwald führen und von denen aus man die offene Moorlandschaft von Saddelworth erkunden oder imposante Felsschluchten hinaufklettern kann.An einem mit wolkigen Abschnitten durchsetzten Sonnentag wirkt das Tal durch den überirdischen Lichtwechsel besonders atmosphärisch. Wenn die Schatten der Wolken langsam über die Hügel ziehen, stellt sich Gänsehaut ein und ich erschauere bei diesem prähistorisch anmutenden Schauspiel regelmäßig vor Ehrfurcht. Bisher habe ich hier an den gut ausgeschilderten Rundgängen nur wenige Menschen gesehen, und an manchen Abschnitten ist man gar vollkommen allein unterwegs. In diesen Momenten füllt sich das Herz mit einer angenehmen Ohnmacht angesichts der rauen Schönheit dieser Kulisse.

Doch das idyllische Tal ist überschattet von einem tragischen Vorfall, der sich am 27. August 1857 hier ereignet hat. Der Parlamentsabgeordnete und äußerst erfolgreiche Ingenieur James Platt, der gemeinsam mit seinem Bruder John, der an der Südseite des Reservoirs ein Jagdanwesen bauen ließ (Ashway House), hier regelmäßig auf Moorhuhnjagd ging, kam bei einem Jagdunfall zu Tode. Ein Schuss hatte sich, so lautet der Zeugenbericht, aus seiner eigenen Waffe gelöst und den Jäger so schwer verwundet, dass er kurz darauf verstarb. Ein Gedenkstein in der Nähe des ehemaligen Anwesens erinnert noch heute an sein Schicksal. Doch das Bild trüben kann diese tragische Geschichte heute kaum.

Von der Abenteuerlust gepackt
Ich kann gar nicht sagen, welcher Abschnitt der Drei-Seen-Kette mir am besten gefällt, denn während der südliche Teil einer äußerst charmant hergerichteten Parkanlage gleicht, in dem das Reservoir ruhig vor sich hin plätschert, besticht das andere Ende durch abenteuerliche Geröllhänge und reißende Wasserfälle, an denen man nach Herzenslust von Fels zu Fels klettern kann. Je nachdem wie mutig man ist und wie gut man gefrühstückt hat.

Doch eines steht fest: Alles passiert hier auf eigene Gefahr. Das heißt, es ist von Vorteil nicht an Selbstüberschätzung zu leiden und seine Grenzen gut und sorgfältig zu bemessen, sonst purzelt es sich schneller als man denkt nach unten weg.

Wie auch immer, wir haben dick belegte Bagel gefrühstückt und fühlen uns stark genug, es mit jeder Herausforderung aufzunehmen, die sich uns da ganz unverfroren in den Weg stellen will. Wir wählen die rechte, etwas holperige Uferseite für unsere Wanderung und stoßen schon bald auf das erste Hindernis. Der Pfad endet und mein Engländer samt Schwesterchen und ich müssen eine Entscheidung treffen. Überqueren wir wagemutig einen kleinen Bach mit mäßiger Strömung auf glipschigen Steinen, die halb unter Wasser liegen, riskieren ein kurzes Bad oder kehren wir um? Ganz in unserer Nähe hampelt bereits ein anderes Wanderpärchen unentschieden in der Gegend herum. Er ein ziemlich hochgewachsener sportlich wirkender Zeitgenosse in rotem regenfestem Anorack, sie auch nicht untrainiert wirkend in leichten Turnschuh und Hiking-Klamotte. “Ich weiß nicht, ob wir hier rübergehn können”, wirft er uns mit schwankendem Eifer entgegen. Wir nehmen das Hindernis erstmal näher in Augenschein, planen im Team. Es ist schnell klar: Wir riskieren lieber `ne nasse Socke als unseren Ruf. Also auf geht`s. Wir bilden eine Kette, fassen uns zu dritt an den Händen und geleiten uns gegenseitig sicher ans andere Ufer, eine Taktik, die mein Engländer im Nachhinein vielleicht nicht ganz zu Unrecht so bespöttelt: “Das war ziemlich schlau von uns. Wäre einer gefallen, lägen wir jetzt alle im Wasser.” Tja Glück gehabt.
Jetzt allerdings sind wir ziemlich übermütig und lassen das Sportlerpärchen, das sich immernoch zögernd am Flussrand herumdrückt, mit stolzen Gesichtern hinter uns.

Am Ende des dritten Reservoirs quillt ein reißender Wasserfall laut tosend aus einer steilen Geröllschlucht hervor. Ohne zu zögern, beginnen wir den Aufstieg, fühlen uns unbezwingbar. Wir hüpfen von Felsen zu Felsen, klettern per Räuberleiter immer höher hinauf, unter uns der tobende Strom. Je höher wir uns hinaufschieben, destso lauter wird der Herzschlag. Ein falscher Schritt und die Tiefe hat uns. Hm, mir wird etwas mulmig zumute, doch es ist einfach zu aufregend, um jetzt schon die Flinte ins Korn zu werfen. Doch da erreiche ich als Erste den Endpunkt unserer Reise, vor mir sehe ich nur noch eisige Fluten und keinen trockenen Stein mehr, um darauf weiter vorwärts zu klimmen. “Endstation Leute”, rufe ich meinen englischen Kompagnions zu. Doch da erwacht das Pfadfinderherz in meinem Engländer. Der rast an mir vorbei und schlägt vor, die Seiten zu wechseln.
Die andere Hangseite scheint weiter nach oben hin begehbar zu sein, doch dazu müssen wir zunächst den Wasserfall überqueren. Der einzige Stein, der hinüberführt, ist vom Wasser rutschig gewaschen. Wir halten uns gegenseitig fest, um nicht in die Tiefe zu rutschen. Wir gelangen wohlbehalten zu einer Mittelinsel, schieben uns auf allen Vieren nach vorn. Ich sitze auf einem ziemlich glatten Felsen fest, der mich nach unten gleiten lässt. Meine Hände suchen vergeblich nach Halt und ich rutsche bedächtig nahe an den Abgrund heran. Von allen Seiten greifen Hände nach mir und ich erlange allmählich wieder Sicherheit. Ich spüre, dass es allmählich ernsthaft gefährlich wird.

Kniffliger Aufstieg.

Als wir wieder auf allen Vieren stehen, blicken wir auf eine weitere Wasserkluft. Unmöglich können wir den Strom hier überqueren, zu weit ist das andere Ufer entfernt. Ein Sprung dort hinüber wäre reiner Wahnsinn. Also lassen wir das und entscheiden, den Rückzug anzutreten. Der allerdings ist nicht weniger schlimm. Wir müssen einen tiefen Felsspalt überspringen. Mein Herz rast und droht förmlich auseinanderzubersten. Ich blicke in den engen Spalt und fühle mich kurzzeitig gelähmt, unfähig eine Entscheidung zu treffen. Dann wende ich mich ab, hole tief Luft, versuche mich einen Gang tiefer zu bringen. Als Letzte setze ich schießlich meinen Fuß auf den rutschigen, steil abfallenden Felsen vor mir, lasse mich langsam hinübergleiten. Mein Engländer hält meinen rechten Fuß sicher umschlossen, neben mir rutscht sein Schwesterchen vorsichtig voran. Zentimeter um Zentimeter robben wir vorwärts, bis wir wieder sicher stehen können. Zu dritt atmen wir auf, pusten uns die Beklemmung von der Seele. Hier oben weht ein eisiger Wind, der sein Übriges tut.

Der Abstieg fällt leicht, beinah beschwingten Fußes erreichen wir den Fuß des Felsmassivs und teilen uns am Ufer des Reservoirs unseren wohlverdienten Snack. Wir sind ziemlich froh, dass wir trotz der abenteuerlichen Verlockung nicht allzu unüberlegt gehandelt haben und sicher wieder am Boden angelangt sind. An diesem Tag, hier zwischen den unerbittlichen Felsen im Dovestone Reservoir habe ich eindrucksvoll erfahren, wie wichtig es sein kann aufeinander zu bauen und zu vertrauen, Freunden und sich selbst.

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