Carsten Schloter ist tot. Vielleicht sagt Ihnen der Name nichts, obwohl er aus Deutschland stammte. Schloter war CEO des Schweizer Telekommunikationsanbieters Swisscom.
Carsten Schloter CEO Swisscom
Carsten Schloter begann seine Karriere beim deutschen Service-Provider Debitel, wo ich ihm ein paar Mal persönlich begegnete. Er beeindruckte mich durch seine Präsenz und Fachkenntnis, ganz ohne Starallüren, wie man sie bei manchen CEOs mitunter antrifft.
Das Unternehmen Debitel war einst vom Automobil-Hersteller Daimler Benz und der Handelskette Metro gegründet worden. Eines Tages beschloss die Metro auszusteigen und auf einmal gehörte die Debitel eine Zeit lang der Schweizer Swisscom, die sich als dienstältester Mobilfunkanbieter mit GSM-Technologie und seinen Nachfolgern (wie UMTS und LTE) beschäftigt und eine Weile im Ausland umsehen durfte, bis es den Anteilseignern (dem Schweizer Bund) unheimlich wurde und sie alle Auslandsengagements Ihres Vorzeigeunternehmen beenden ließen, darunter waren einige interessante Dinge. So war der Kauf eines irischen Mobilfunkers fast spruchreif gewesen. Schloter soll auch kurz vor dem Kauf einer völlig unbekannten Firma mit Namen “Google” gestanden haben.
Der Reihe nach: Carsten Schloter wuchs zweisprachig in Paris auf, ein wichtiger Grundstein für seine spätere Karriere. Folglich startete er bei Debitel in Frankreich. Ja, verschiedene deutsche Service-Provider waren eine Zeitlang richtig europäisch aufgestellt, Dekratel in Frankreich, Debitel in Frankreich und den Niederlanden, alles längst Geschichte.
Der Standard ist zwar europäisch, aber die Märkte waren und sind national weiter nach Außen ziemlich abgeschottet. Oder können Sie als Deutscher in Frankreich ohne französische Bankverbindung oder offizielle Wohnungsadresse einen Mobilfunkvertrag abschließen? Vergessen Sie es. Nicht mal die Bestellung einer Prepaid-Karte ist vom Ausland aus möglich, umgekehrt in Deutschland geht das übrigens auch nicht.
Zurück zu Schloter. Der damalige Swisscom CEO Jens Alder, so wissen es Eingeweihte, rief öfters in Stuttgart bei Debitel an, um sich den (deutschen) Mobilfunkmarkt erklären zu lassen, vermutlich wird er dabei auch Carsten Schloter an der Strippe gehabt haben, jedenfalls irgendwann ging der mehrsprachige Schloter in die mehrsprachige Schweiz (es gibt vier offizielle Landessprachen) und wurde dort CEO.
Seine Mitarbeiter berichten, daß er einen ungewöhnlichen offenen Führungstil an den Tag legte. Auf Schloters ausdrücklichen Wunsch waren bei Swisscom alle perdu mit dem Chef, das war bei einem ehemaligen Staatskonzern ein absolutes Novum. Schloter war immer ansprechbar, hatte immer ein offenes Ohr und er machte die Swisscom fit, die sich vom Inhaber gewünscht nur auf die Schweiz konzentrieren durfte, wo die Unbillen des Weltmarktes mit wenig Verzögerung spürbar wurden.
Nun ist der Wettbewerb in der Schweiz vergleichweise harmlos. Es gibt nur drei Mobilfunkanbieter (inkl. der Swisscom), wobei die Konkurrenten sich – mal flapsig gesprochen – ungeschickt anstellen. Sie sind oft teurer, schwerfälliger als der einstige Staatsmonopolist, der von Zeit zu Zeit die Preise senkt und den Konkurrenten klar macht, wo es lang geht.
Mag sein, daß viele Schweizer die Marktliberalisierung noch nicht mitbekommen haben, für sie gibt es die PTT (Post Telefon Telegraf, vergleichbar hierzulande mit der ehemaligen Deutschen Bundespost). Mag sein, daß viele Schweizer Bürger mit der 1A Netzqualität und dem in Regel exzellenten Kundenservice einfach zufrieden sind und nie verstanden haben, wofür Marktliberalisierung gut war.
Swisscom wurde unter Schloter von einer reinen Telefongesellschaft, die Leitungen legt und Anschlüsse verkauft, zu einem integrierten Systemhaus. Die SCIS (Swisscom IT Services) ist in den letzten Jahren massiv gewachsen. Sie bieten beispielsweise das Outsourcing von SAP-Umgebungen an.
Das Schweizer Bluewin TV ist die Schweizer Version von T-Entertain. Der Start sei holprig bis gruselig gewesen, berichten Szene-Kenner, heute ist es eines der besten Angebote in der Schweiz überhaupt.
In Sachen Glasfaser hat Schloter massiv dazu beigetragen, dass der Glasfaser-Ausbau in der Schweiz wirklich voran geht und nicht nur totdiskutiert wird.
Alles in Allem: Schloter hat einen zweifellos guten Job gemacht. Er war permanent im Einsatz, aber sein Privatleben scheint dabei etwas gelitten zu haben. Schloter starb mit 49 Jahren. Die Schweizer Polizei vermutet Suizid, heisst es dazu in einer offiziellen Medienmitteilung.
Einen Moment innehalten
Beim Lesen solcher Nachrichten sitzt man einen Moment still da und denkt vielleicht, hier läuft irgend etwas schief.
Das irrsinnige Tempo an Innovationen von Geräten, Produkten, Diensten, kann das ein einzelner Mensch, können wir das überhaupt noch aushalten? Wäre da nicht ein Gang ruhiger angesagt?
Stimmt die Life/Work Balance in unserer Wirtschaft noch?
Doch ist es nicht so: Wer “gefühlt 5 Minuten nicht aufpasst”, gerät in Vergessenheit? Auch wenn Sie kein Top-Manager sind, lassen wir uns nicht von Facebook, Twitter & Co. permanent irgendwie stressen, weil wir dazugehören wollen?
Sollten wir solche traurigen Vorgänge nicht einmal zum Anlass nehmen, über uns, unser Tun, unsere Ziele nachzudenken?