Rilke beginnt im Zuge seiner Vorarbeiten für seine Rodin-Monographie (die einer der besten Essays der deutschen Literatur sein soll – was mich doch endlich zum Lesen anregen sollte!) den Briefwechsel mit einigen sehr devoten und ehrerbietigen Briefen. Rilke schreibt durchgehend ausführlicher als Rodin, der oft nur knapp und durch die Hand eines Sekretärs antworten lässt. Klar, Rodin ist nicht der Schriftsteller und kann sich solche Kürze leisten.
Rilke wird von Rodin herzlich eingeladen und besucht den Bildhauer tatsächlich, woraus sich eine Freundschaft entwickelt.
Rodins “Sekretär”
Bei einem zweiten, längeren Paris-Aufenthalt bietet Rodin Rilke an, ihm gegen Kost, Logis und ein Entgelt zwei Stunden am Tag bei seiner Korrespondenz behilflich zu sein. Rilke nimmt das Angebot an, das ihn in großzügiger Weise aus der finanziellen Misere befreit, sodass er sich den Aufenthalt bei dem geliebten Meister leisten kann.
Ein echter Sekretär im engeren Sinne war er nie. Zunächst fehlen ihm sogar die nötigen Französischkenntnisse, um wirklich gute Briefe schreiben zu können.
Für den verehrten Meister tut Rilke alles, er beklagt sich daher nicht, als die Korrespondenz-Arbeit immer mehr überhand nimmt und ihm bald überhaupt keine Zeit mehr zu eigener schriftstellerischer Arbeit lässt. Immer mehr fühlt er sich eingeengt.
Nebenher besteht übrigens auch eine Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Rodin und Rilkes Frau Clara, die ebenfalls ihre Höhen und Tiefen kennt. Clara Rilke-Westhoff führt mit Rilke nur eine lose Ehe, die beiden Künstler haben ihren eigenen Lebensrhythmus, der ihnen nicht gestattet, eine gemeinsame Bleibe zu teilen. Sie sehen sich in Paris aber des öfteren, Rilke wohnt dann in einem Atelier, das Clara gerade nicht mehr braucht, usw.
Der berühmte Bruch
Fünf Monate nach seiner “Anstellung” kommt es zu dem berühmten Bruch mit Rodin. Rilke hat einen Brief selbstständig beantwortet, den Rodin doch lieber vorgelegt bekommen hätte.
Möglicherweise hat Rodin auch gespürt, dass sich Rilke schon sehr beengt fühlte. Es kam jedenfalls zum abrupten Bruch, Rilke zieht nach Paris und leidet unter der Trennung so sehr, wie er dadurch auch erleichtert ist. Einige Wochen Funkstille. Alle Anfragen bezüglich etwaiger Anbahnung von Kontakten, die an Rilke herangetragen werden, muss dieser ausweichend und abschlägig beantworten. Ein im Grunde peinlicher Zustand.
Schließlich meldet sich Rodin wieder mit einem sehr netten, ja fast reuigen Brief, und Rilke geht erfreut darauf ein. Somit ist die Freundschaft bald wieder hergestellt, ohne die Belastungen der Sekretärstätigkeit, die Rilke nicht wieder aufnimmt. Er wohnt jetzt in Paris, reist wieder viel, mietet sich schließlich im Hotel Biron, einem Barockpalais, ein, wo dann sogar Rodin eine große Wohnung bezieht, in der er aber selten anzutreffen ist und die ihm mehr als Schausaal für seine Plastiken dient. So kommt es also neuerlich zu einer Art Nachbarschaft. Rodin ist gelegentlich bei Rilke und plaudert mit ihm.
Allerdings macht sich bei Rilke eine Desillusionierung breit, denn Rodin erweist sich im Alter als ein nur allzu menschlicher Künstler, der auf die Umgarnung einer schönen Amerikanerin hereinfällt (die Rilke Rodin gegenüber zwar höflich mit Grüßen bedenkt, gegenüber anderen aber als höchst üblen Einfluss auf Rodin brandmarkt; als sie von der Bildfläche verschwindet, ist er sehr erleichtert). Überhaupt ist Rodin launisch, ja wirr, den weiblichen Reizen erlegen.
Zu einem neuerlichen Bruch kommt es kurz vor Rodins Tod. Für eine Prachtausgabe der Rodin-Monographie Rilkes im Insel-Verlag sollen Abbildungen gemeinsam mit Rodin ausgesucht werden. Harry Graf Kessler soll dies übernehmen. Als dieser jedoch untätig bleibt, nimmt Anton Kippenberg, der Leiter des Insel-Verlags, die Sache selbst in die Hand, fährt nach Paris, sucht mit Rilke und Rodin die Fotos aus und reist befriedigt zurück. Was er nicht weiß: Rodin hat zur gleichen Zeit auch mit dem überraschend doch aktiv gewordenen Kessler ebenfalls Bilder ausgesucht, aber davon nichts verlauten lassen. Nun zieht Rodin seine Kippenberg-Auswahl zurück und brüskiert damit diesen und Rilke. Das ist nun zu viel. Dazu kommt die Enttäuschung, die Rodin Clara Rilke bereitet, indem er ihr zuerst mehr oder weniger verspricht, für ein Portrait zu sitzen und diese Zusage dann doch zurückzieht. Damit ist für Rilke die Beziehung zu Ende. Es kommt zu keinem weiteren Briefwechsel zwischen den beiden. Rodin stirbt 1917. Das Hotel Biron wird zu einem Rodin-Museum gemacht, was es noch heute ist.
Der Briefwechsel wird durch alle schriftlichen Äußerungen Rilkes und einiger seiner Briefpartner zum Thema Rodin ergänzt, was den Band zu einer umfassenden Dokumentation dieser Beziehung macht.
Einige geradezu absurde Druckfehler gibt es. Vielleicht sind sie der Grund, warum der schöne Band als Mängelexemplar verramscht wurde.
Rainer Maria Rilke – Auguste Rodin: Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit Rodin. Mit Abbildungen. Herausgegeben von Rätus Lück. Insel Verlag, Frankfurt 2001. 426 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai: Skizze der Balzac-Statue im Garten des Musée Rodin, Paris.
P.S.: Da ich in einem großen Leseprojekt stecke, kann ich derzeit nichts Neues posten. Daher greife ich als Ausweg auf ältere und dennoch – hoffentlich – interessante Rezensionen zurück. Diese stammt von 2004.