Riga – Europäische Kulturhauptstadt 2014: Land der Lieder – Land der Bücher

Von Robert B. Fishman @RobertB_Fishman

mein Beitrag im Osteuropamagazin auf WDR 5

Von Robert B. Fishman



Lettlands Geschichte prägt das Programm

Mit einer Bücher- und Menschenkette ist Lettlands Hauptstadt Riga ins Europäische Kulturhauptsstadtjahr 2014 gestartet. Tausende hatten sich Mitte Januar am Freiheitsboulevard aufgereiht, um von Hand zu Hand die Büchersammlungen ihres Landes quer durch die Stadt in die 163 Millionen Euro teuere neue Nationalbibliothek zu reichen. Die lebende Bücherkette erinnerte an die Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius , mit der die drei baltischen Länder vor 25 Jahren ihre Unabhängigkeit von der untergehenden Sowjetunion verlangten. In rund 200 Veranstaltungen wird 2014 auf den reichen kulturellen Schatz der Ostsee-Anrainer aufmerksam gemacht.

Kultur als positive höhere Gewalt

“Unser Programm heißt Force Majeure, höhere Gewalt. Aber wir sprechen von einer positiven höheren Gewalt, die Kultur als positive höhere Gewalt und die kommt über uns als Individuen, als Einwohner von Riga.”

Erklärt Kulturhauptstadt-Sprecherin Anna Muhka. Lettlands bewegte Geschichte prägt das Land ebenso wie das Kulturhauptstadt-Programm.

Gints Grube führt durch das ehemalige Hauptquartier des KGB, ein von außen unauffälliges braun-graues Eckhaus in bester Lage an Rigas ehemaligem Lenin- und heutigen Freiheitsboulevard.

“Wir sind jetzt im KGB-Haus. Das wurde erst das KGB-Haus nach der Okkupation von Lettland 1940 eingerichtet; und das letzte. Mal war es in der Nazi-Zeit, 1942, für das Publikum geöffnet. Zu Propagandazwecken. Wegen der sowjetischen Barbareien, die hier passiert sind. Das hieß auch Eckhaus, hier ist diese Ecke, wo die Einwohner von Riga rein kamen, diese Kiste hier, ….  Die Kiste war dazu da, Berichte über andere Einwohner reinzuwerfen.”

Drinnen sieht es noch genau so aus, wie beim Abzug der Sowjets 1991:  Dunkle Holzvertäfelung, an der Decke hängen die Kugellampen aus den 60er Jahren, schlichte Holzstühle auf den blassen Steinfußböden, feuchte bräunlich-beige Tapeten im Flur verbreiten einen muffigen Geruch.

Grube leitet bei der Stiftung für die Europäische Kulturhauptstadt das Projekt Freiheitsboulevard, an dem das KGB-Haus liegt.

Das war hier die Kantine vom KGB. Wir werden hier eine Ausstellung einrichten, die heißt „Schicksalsmuseum“ und es werden persönliche Sachen von Rigas und Lettlands Einwohnern gesammelt, die ihrer Meinung nach ihr eigenes Schicksal im Kontext des 20. Jahrhunderts charakterisieren. Es wird mit den Sachen von Leuten eingerichtet. Eine andere Ausstellungsgeschichte heißt „Lettischer Koffer“, denn im Laufe des 20. Jahrhunderts gab es Emigrationswellen, das ist immer noch, heute, und in der Ausstellung werden die Sachen gezeigt, die Letten in ihrem Koffer eingepackt haben, wenn sie Lettland verlassen haben.

Vielen Letten ist die Geschichte ihres jungen Staates noch sehr nah, auch dem 42jährigen Gints Grube.

“Wir wohnen immer noch mit dem Gefühl, diese Geschehnisse sind nicht weit weg. Sie sind ziemlich tief in uns geblieben und das können wir als Trauma bezeichnen, wobei wir noch nicht über alle Themen diskutiert haben. Und nicht reflektiert. Wir sehen, dass die Kulturhauptstadt mit all diesen Ausstellungen und all diesen Objekten oder mit Büchern ein Impuls sein kann, wo alle diese Diskussionen und Reflektionen in Bewegung zu bringen.”

Die Aufarbeitung der Geschichte beginnt gerade erst.

“Nach der Wende 91 war es für uns sehr wichtig, über bestimmte Themen in der Geschichte Lettlands zu erzählen, zu forschen. Auch alles was die Okkupationszeit betrifft.  … Aber es gibt natürlich Themen: die Kollaboration oder die Teilnahme von manchen der Einwohner, die Kollaboration mit den Nazis hier. Und das sind Themen, über die wir eigentlich ziemlich offen reden müssen.”

Neben den schweren historischen Themen wendet sich das Kulturhauptstadtprogramm auch an die Gegenwart und die Zukunft. Kulturhauptstadt-Sprecherin Anna Muhka:

“In den Vororten wo die meisten Menschen wohnen, da sind sehr verkommene Innenhöfe. Seit wir als Stiftung 2014 tätig sind, fordern wir auf: Meldet euch bei uns, erzählt mal euren Traum von eurem Innenhof; braucht ihr Bänke für die älteren Bewohner, braucht ihr Spielplätze, Sandkästen, weil ihr viele Kinder habt. Das fördert dann auch gleichzeitig, dass die Nachbarn zusammenkommen. … plötzlich spürt man die Kraft, wie können gemeinsam etwas erreichen. Das ist für uns etwas sehr wichtiges als Bleibendes nach 2014.”

Redaktion: Rainer Krawitz