Richard Adams - Unten am Fluß: Watership Down
„Unten am Fluß: Watership Down" von Richard Adams wurde 1972 veröffentlicht. Die Entstehung dieses internationalen Bestsellers geht auf eine Fahrt von London nach Stratford-upon-Avon (Shakespeares Geburtsort, mal so nebenbei) zurück, während derer Adams begann, seinen beiden 8- und 9-jährigen Töchtern eine Geschichte über Wildkaninchen zu erzählen, die fantastische Abenteuer bestanden. In den folgenden drei Wochen wurde die Geschichte immer länger, da Adams nun auch die Schulfahrten seiner Mädchen nutzte, um ihnen weitere Kapitel zu erzählen. Letztendlich überredeten ihn die beiden, aus seiner Geschichte ein Buch zu schreiben.
Ich persönlich bin mit der Geschichte in Form des Zeichentrickfilms von 1978 aufgewachsen, habe diesen aber nur ein einziges Mal gesehen, weil er mir als Kind fruchtbare Angst gemacht hat. Das Buch hat meine Mutter auf einem Flohmarkt erstanden; ich habe entschieden, es zu lesen, um meinen Eindruck aus Kindertagen möglicherweise zu korrigieren.
Wildkaninchen verlassen ihr Gehege nie. Es sei denn, ihnen bleibt keine andere Wahl. Als Hazel erfährt, dass sein Bruder Fiver fest überzeugt ist, dass ihrem Gehege in Sandleford ein schreckliches Schicksal bevorsteht, sucht er sofort das Oberkaninchen auf, um es davon zu überzeugen, wegzugehen. Dieses tut Fivers Befürchtungen als Unsinn ab, doch Hazel vertraut seinem Bruder. Noch in der gleichen Nacht schart er einige mutige Kaninchen um sich und kehrt Sandleford den Rücken. Gemeinsam wagen sie sich auf der Suche nach einer neuen Heimat in die Wildnis. So beginnt ihre Geschichte, in deren Verlauf sie lernen, dass das Leben auch für eine kleine Gruppe Kaninchen zahllose Abenteuer und Herausforderungen bereithält.
Ich finde es schwer, „Unten am Fluß" zu bewerten, wenn man in Betracht ziehen möchte, dass die Abenteuer der mutigen Wildkaninchen eigentlich eine Geschichte für Kinder darstellen. Richard Adams Erfolgsroman ist vieles, aber tatsächlich kindgerecht ist er nicht. Ganz im Gegenteil. Meiner Meinung nach ist die Geschichte äußerst erwachsen; eine überzeugende Metapher verschiedener Gesellschaftssysteme und Lebensweisen. Ich bezweifle, dass ich als Kind in der Lage gewesen wäre, die volle Tragweite des Buches zu begreifen. Adams behauptet zwar steif und fest, dass es ausschließlich von Kaninchen handelt, doch wenn ihr mich fragt, ist die Symbolik einfach nicht zu übersehen. Hazel, Fiver und ihre treuen Gefährten sind voll ausgearbeitete, individuelle, sympathische und vor allem erwachsene Charaktere. Sie sind nicht niedlich und werden nicht mit kindlichen Problemen konfrontiert, sondern mit der harten Realität eines erwachsenen Lebens. Natürlich setzen sie andere Schwerpunkte und Prioritäten als Menschen, aber sie stellen sich den Herausforderungen ihres Daseins als Kaninchen mit aller gebotener Ernsthaftigkeit. Mir gefiel genau das sehr gut, weil sie eben nicht übermäßig vermenschlicht sind. Dadurch wirkt die Geschichte trotz der tierischen Protagonisten realistisch; ein Eindruck, der darüber hinaus durch unfassbar detaillierte Umgebungs- und Naturbeschreibungen verstärkt wird. Adams muss Stunden damit zugebracht haben, jedes Gewächs in Hampshire botanisch korrekt zu benennen und zu beschreiben. Seine Akribie hat mich wirklich beeindruckt, ich gestehe aber, dass mir für diese extrem umfangreichen Ausführungen etwas die Geduld fehlt. Meinetwegen hätte er nicht ganz so stark ins Detail gehen müssen, obwohl ich verstehe, warum es ihm wichtig erschien. Natur spielt in der Kultur der Kaninchen eine unumstößliche Rolle, denn ihr Leben fällt und steht mit den Bedingungen ihrer Umgebung. Diese Kultur schildert Adam als vollständig entwickelt und eigenständig. Nicht nur integrierte er ein auf die Kaninchen zugeschnittenes Vokabular, er schenkte ihnen auch eigene Mythen und Legenden, die sie sich in diversen Szenen gegenseitig erzählen, um sich Mut zu machen und sich an ihre Wurzeln zu erinnern. Im Mittelpunkt dieser Geschichten steht stets das sagenumwobene Kaninchen El-ahrairah, der mit einem zahmen, trägen Käfigtier so gar nichts gemeinsam hat. Ich fand diese Geschichten wunderbar. Mir gefallen Binnenerzählungen immer gut, aber El-ahrairahs Abenteuer gaben diesem Roman etwas Besonderes und beeinflussten meine Empfindung des Spannungsbogens positiv, da dieser konstant flach gestaltet ist. „Unten am Fluß" strahlt Ruhe aus und beleuchtet einen Winkel unserer Welt, der mir so wohl sonst niemals gezeigt worden wäre, doch aufregend ist es nur selten.
Die Lektüre von „Unten am Fluß" hat meine Eindrücke der Geschichte definitiv verändert. Vor dem Lesen kroch immer eine diffuse, nicht greifbare alte Angst in mir hoch, wenn ich an den Film dachte. Jetzt weiß ich, dass Film und Buch sich unterscheiden und konnte das Kind in mir davon überzeugen, dass die Geschichte gar nicht so schlimm ist. Wirklich abgeholt hat mich „Unten am Fluß" dennoch nicht; es plätscherte eher über mich hinweg als dass es mich mitriss. Vielleicht lag es daran, dass ich für Nager im Allgemeinen nicht besonders viel übrighabe; vielleicht lag es an den ausgedehnten Naturbeschreibungen oder an der niedrigen Spannungskurve. Sicher weiß ich nur, dass mich die Abenteuer der Kaninchen nicht so tief berührt haben, wie ich es mir gewünscht hätte. „Unten am Fluß" ist nett und ein Klassiker, aber möglicherweise wäre es sinnvoller gewesen, dieses Buch bereits als Kind gemeinsam mit meinen Eltern zu lesen. Trotzdem kann ich es euch ohne Vorbehalt empfehlen, denn nur, weil meine emotionale Reaktion darauf etwas mangelhaft war, muss das für euch nicht genauso sein. Es ist ein gutes Buch, das meiner Meinung nach viele gesellschaftskritische Aspekte und grundlegende Werte wie Loyalität und Zusammenhalt thematisiert. Nur die Protagonisten haben eben etwas mehr Fell, als wir es sonst gewohnt sind.