Rezo und die Folgen: Will Annegret Kramp-Karrenbauer die Meinungsfreiheit einschränken?

Ein Video erscheint, und die Republik gerät aus den Fugen. Ich möchte darüber schreiben und weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.

Als ich wenige Tage vor der Europawahl von dem inzwischen hinlänglich bekannten sogenannten “Zerstörungsvideo” von Rezo erfuhr, war ich interessiert. Rezo war mir vorher durch ein Lied aufgefallen mit dem Titel “Wenn Schulfächer rapper wären”. Er macht da allerhand spaß über Schulfächer, und er endet mit einem ernsten Lob für das Fach Geschichte. Das hat mich wirklich beeindruckt. Also habe ich mir das sogenannte Zerstörungsvideo angehört.

Obwohl ich die eingeblendeten Links und Graphiken und Bilder nicht sehen kann, konnte ich diesem Video gut folgen und merkte schnell, dass der so gern verspottete Youtuber extrem gut recherchiert hatte und den Zuhörerinnen und Zuhörern vermittelte, wie durch die Politik der CDU und der SPD der Klimaschutz negiert wird, Kriege geführt und gefördert werden und wie inkompetent selbst hohe Regierungsvertreter der großen parteien in ihren Ämtern oft sind. Gerade der klimapolitische Teil des Videos ist extrem gut durch Fakten belegt, und Rezo weist zurecht darauf hin, dass es hier nicht mehr um das Abwägen von Interessen und Meinungen gehen kann, sondern dass genau jetzt gehandelt werden muss. Er sprach zwar lässig und im typischen Rezo-Youtube-Slang, aber mit großer Ernsthaftigkeit und Eindringlichkeit.

Und wie reagierte die CDU?

Erst wurde Rezo wegen seiner blau gefärbten Haare lächerlich gemacht, dann wollte man einen erzkonservativen Youngster offensichtlich antworten lassen, was dann aber von den Parteioberen verhindert wurde.

Die Journalisten seriöser Blätter stürzten sich auf das Video, das ihnen die Quoten abzugreifen begann. Sie konnten zwar Rezos Recherche nicht widerlegen, versuchten aber, ihm mangelndes Verständnis für die politischen Prozesse zu unterstellen, frei nach Christian Lindner: Überlasst die Politik den Profis, die verstehen mehr davon. Abgesehen von dieser unerrträglichen Arroganz liefert diese Haltung eine gute Begründung für die Tatsache, dass viele Menschen der jungen Generation die heutigen PolitikerInnen nicht mehr ernst nehmen. Denn sie sind es schließlich, also die jungen Menschen, die auf der Seite der Profis stehen, der Wissenschaftler nämlich, die seit 1972 ein Umdenken in der Klimapolitik fordern!

Schließlich verfiel die CDU in ihrer Not auf eine neue Masche: Sie behauptete, Rezo habe zur “Zerstörung der CDU” in diesem Video aufgerufen. Natürlich hat er das nicht getan. Die Überschrift “Die Zerstörung von…” ist auf Youtube ein gängiges format, das so viel wie Bloßstellung bedeutet, erläutert Imre Grimm in einer ausgewogenen und guten Besprechung des Videos. Natürlich fehlten auch Anschuldigungen nicht, der Youtuber sei gekauft oder lasse sich von der Regierung bezahlen. Das Interessante ist, dass CDU- und AFD-Anhänger hier ins selbe Horn bliesen und die Merkel-regierung gegen die bösen, aufmüpfigen, ungehorsamen und auch noch jungen Youtuber verteidigten. Inzwischen erhält Rezo sogar Morddrohungen, was mich wirklich schockiert hat.

Natürlich kann man anderer Meinung sein als Rezo. Natürlich kann man seinen Sprachstil kritisieren, kann behaupten, er verstehe nicht, dass politische Entscheidungen Zeit brauchen. Man kann ihm Zuspitzung vorhalten, aber man wird wohl kaum Falschaussagen finden, höchstens in manchen Punkten eine vereinfachte Darstellung.

Dieses Video erreichte millionen Zuschauer. Ob es einen Einfluss auf die Europawahl hatte, kann man nicht mit Sicherheit sagen, doch es ist immerhin möglich.

Und jetzt, wo die Wahl nicht besonders gut für die CDU lief, reagiert die Vorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer mit einem Vorschlag, der sofort eine neuerliche Welle der Empörung in den sozialen Medien auslöste. Nach einer Sitzung der CDU-Führungsgremien sagte sie laut einem Zeitungsbericht, wenn 70 Zeitungsredaktionen vor einer Wahl dazu aufriefen, nicht CDU oder SPD zu wählen, würde dies als „klare Meinungsmache vor (der) Wahl“ eingestuft. Man müsse darüber reden: “Was sind Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten auch für den digitalen Bereich.” In der Debatte müssten auch die Auswirkungen auf die Demokratie eine Rolle spielen.

Da musste ich mir jetzt erst einmal die Ohren reiben. Was bitte fordert die CDU-Chefin da genau? Regeln aus dem analogen Bereich müssten auch für den digitalen Bereich gelten? Tun sie das nicht jetzt schon? In der Zeitschrift Telepolis des Heise-Verlags erläuterte der Medienrechtler Markus Kompa: “Offenbar glaubt die
Spitzenpolitikerin, dass es für Redaktionen in der analogen Welt solche “Regeln” gäbe. Das ist aber nicht der Fall. Jede Redaktion darf zum Boykott der CDU und SPD aufrufen, jedenfalls solange sie nicht für ein öffentlich-rechtliches Rundfunkhaus arbeitet.” Und etwas später: “Was für die Printwelt gilt, das gilt auch für die sogenannten “Neuen Medien”. Landesmedienanstalten sehen allerdings reichweitenstarke YouTuber mit redaktionell gestalteten Inhalten und Programmen inzwischen bisweilen als Rundfunkveranstalter im Sinne der Mediengesetze. Private Rundfunkveranstalter sind auf Programmgrundsätze der Landesmediengesetze verpflichtet, so dass diese eine gewisse Vielfalt der Meinungen bieten müssen. Aber selbst das Gebot, andere Meinungen zur Geltung zu bringen, schließt einen Boykottaufruf gegen eine Partei nicht aus.” Frau Kramp-Karrenbauer müsse für ihre Pläne ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen, das von allen 16 Bundesländern verabschiedet werden müsse, da Presserecht Ländersache sei. Der Fachanwalt fährt fort: “Es spricht allerdings viel dafür, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre, da es in den Wesensgehalt des Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes eingreifen würde. Denn fundamentaler Sinn und Zweck des Artikel 5 Abs. 1 GG ist die Kritik an der Obrigkeit, wie sie den Deutschen in bitterster Zeit verwehrt war. Eine Entscheidungshilfe zur vornehmsten
Bürgerpflicht, nämlich der Wahl oder Abwahl der Regierungsparteien, ist ausdrücklich erwünscht.
Rezo hat dem Grundgesetz genau das Geschenk gemacht, das es vor 70 Jahren bestellt hat.”

Annegret Kramk-Karrenbauer hat die Kritik an ihrem Vorschlag inzwischen auf Twitter zurückgewiesen. Sie schrieb: “Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten. Wenn einflussreiche Journalisten oder #Youtuber zum Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das eine Frage der politischen Kultur. Es sind gerade die Parteien der Mitte, die demokratische Werte jeden Tag verteidigen.”

Ich werde den Eindruck nicht los, dass Frau Kramk-Karrenbauer hier bewusst den Sachverhalt verdreht. Rezo hat in seinem Video ausdrücklich zum Wählen aufgerufen. Er riet seinen Followern lediglich weder CDU, noch SPD und schon gar nicht die AfD zu wählen. Hätte die CDU-Chefin sich mit dem Video auseinandergesetzt, hätte sie das wissen müssen. Desweiteren hat der Youtuber nicht zur Zerstörung der CDU aufgerufen, sondern betont, dass sich die CDU durch ihre Untätigkeit und Inkompetenz selbst zerstört. Und wie soll ich bitte den Satz interpretieren, dass man zwar nicht regulieren wolle, dass es aber für Wahlkampfzeiten Regeln brauche?

Somit muss ich annehmen, dass #AKK, wie sie in den sozialen Medien oft genannt wird, tatsächlich einen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung plant, sobald die CDU in gefahr gerät, so heftig kritisiert zu werden, dass sie möglicherweise Wahlen verlieren könnte. Dafür gibt es Indizien, beweisen kann ich es natürlich nicht. Die Ratlosigkeit, mit der die CDU auf die Vorhaltungen reagiert, der Schleuderkurs nach rechts, den sie in einigen Landesverbänden und zunehmend auch in der Bundespartei fährt, das alles weist darauf hin, dass ihr eine wirklich kritische Öffentlichkeit jenseits der oft zahmen öffentlich-rechtlichen Presse sehr unangenehm wäre. Wenn zu
Wahlkampfzeiten kritische und ablehnende, bisweilen auch zugespitzte Meinungen, die gegen die Regierung vorgebracht werden, künftig reguliert oder – pardon – mit Regeln versehen werden sollen, dann kommt das einer Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit gleich. Das ist der erste Schritt zur berühmten Orbanisierung Deutschlands, das ist der Beginn des Versuchs, die kritische Presse auszuschalten, um nicht von
Gleichschaltung sprechen zu müssen. Nur beginnt man, bevor man sich die öffentliche Presse mitsamt ihrer Verlagsmacht vornimmt, mit der Zähmung der kritischen Öffentlichkeit, die man früher nicht kannte, die sich höchstens mal in wütenden Leserbriefen äußerte, die durch Zeitungen und Rundfunkanstalten kanalisiert wurden.

Die CDU kann mit dem heutigen Maß an Meinungsfreiheit nicht umgehen, und dies erlaubt auch einen bestürzenden Einblick in den Siegeszug von rechts, den wir derzeit miterleben müssen. Dort sitzen Medienprofis, die sich ebenfalls die Zerstörung der freien Presse zum Ziel gesetzt haben, weil sie unangenehme Fragen stellen kann. Sie haben viel eher verstanden, wie man Meinungen sammelt, bündelt und manipuliert. Mit Einschränkungen und Verboten kommen wir da nicht weiter, wir spielen ihnen nur in die Hände. Wir müssen lernen, eine kritische Öffentlichkeit nicht nur auszuhalten, sondern zu schätzen, sie zu begrüßen. Solange keine strafrechtlich relevanten oder verfassungsfeindlichen Äußerungen getätigt werden, müssen wir froh sein um jedes öffentliche Engagement jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin.

Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Rezo kritisiert den Anschein, den die Politik der lezten Jahrzehnte erweckt, mit deutlichen Worten. Die CDU und die SPD unternehmen nichts gegen die Zerstörung des Planeten, obwohl sie zumindest ein wenig dagegen tun könnten. Doch sie wollen die Interessen kleiner, reicher Lobbygruppen nicht gefährden und haben Angst vor einschneidenden Maßnahmen. Damit setzen sie das Leben nachfolgender Generationen wissentlich aufs Spiel, denn die Wissenschaft sagt seit vielen Jahren, dass ein Umsteuern nötig ist. Die CDU kann eben nicht schlüssig darlegen, dass sie gute Gründe hatte, so zu handeln, und deshalb schmerzt die Kritik und tut weh. Und wenn man nichts substanzielles und inhaltlich einleuchtendes gegen die Kritik vorbringen kann, verlangt die Logik des Machterhalts eben, dass man die Meinung zähmt, wenn man sie vielleicht auch nicht vollkommen unterdrückt. Meiner Ansicht nach gibt es daran nichts zu beschönigen, die CDU bellt laut, weil sie hier ein getroffener Hund ist.

Die Vorschläge der CDU-Vorsitzenden laufen auf einen autoritären Staat hinaus, eine, wie der Politologe Yascha Mounk es nennt, illiberale Demokratie. Da kann Frau Kramp-Karrenbauer noch so sehr versuchen, ihre Äußerungen zu verwischen und zu komplizieren, bis sie gar nicht mehr verstanden werden. Ihr rechtskonservatives Staatsverständnis, ihre restriktive Gesellschaftsauffassung sind weithin bekannt, auch wenn sie dies im Alltag hinter jovialem Auftreten versteckt und ganz
offensichtlich menschlich sehr umgänglich und angenehm ist. Wir dürfen ihr den Einbruch in die grundgesetzlich geschützten Rechte nicht durchgehen lassen, ganz gleich, wie wir zu Rezos Meinung stehen. Wir müssen es da mit Voltaire halten, der versprach, sich mit seinem Leben dafür einzusetzen, dass man seine Meinung äußern darf, auch wenn er sie nicht teilte.

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