Rezi: Die Stadt der verschwundenen Kinder

Von Jimmy

AutorIn: Caragh O'Brien
Titel: Die Stadt der verschwundenen Kinder
Band:Teil I einer Trilogie
Verlag: Heyne fliegt
Genre: Jugendbuch
ISBN: 978-3-453-52800-0
Erscheinungsjahr: 2011
Seitenanzahl: 462
Altersempfehlung: 14
Kaufpreis: 16,99€
Krümelanzahl: 3
Hier kannst du mich kaufen!
Erster Satz:

Im Halblich der ärmlichen Hütte zwang sich die Frau, ein letztes, qalvolles Mal zu pressen, und das Baby glitt heraus, in Gaias griffbereite Hände.


Inhalt:
400 Jahre nach unserer Zeit ist das Leben der Menschen gezeichnet von Entbehrung und Rationierung. Die Lebensmittel sind knapp bemessen und Kleidungsstücke gelten als Luxusgüter. In dieser Welt wächst die 16jährige Gaia heran. Ihr Vater ein einfacher Schneider, ihre Mutter eine loyale Hebamme. Von ihr lernt Gaia das Handwerk des Entbindens und begibt sich somit in die Hände der Enklave. Die fordert nämlich von jedem Sektor die Babys der ersten drei Geburten im Monat. Als Gaias Eltern plötzlich von der Enklave verhaftet werden, muss Gaia diese Aufgabe allein bewältigen und gibt die Babys am Eingang der großen Mauer ab. Nur wenn sie diesen Dienst erbringt, kann sie sicher sein; nur dann erhält sie ausreichend Schutz und Verpflegung von der Enklave. Doch der Sicherheit zum Trotz fasst Gaia einen gefährlichen Entschluss. Sie möchte ihre Eltern finden. Und vor allem möchte sie wissen, was mit den Kindern jenseits der Mauern geschehen...
 


Meine Buchgeschichte:
Lange, lange musste ich grübeln, welches Buch ich für das Genre Science Fiction innerhalb der Rebuy Challenge 2014 lesen würde. Letztendlich habe ich mich für dieses Buch entschieden. Zum einen, weil es ohnehin schon in meinem Regal stand und ich hoffe, mithilfe der Challenge meinen SUB abbauen zu können, zum anderen, weil es nicht allzu klischeehaft dem Bereich Science Fiction zu zuordnen ist. Solche Kinder zwischen den Stühlen finde ich häufig interessanter als Geschichten, die sich eindeutig in eine Schublade stecken lassen. 


Meine Meinung:
Wie zwei ausdruckslose Porzellanpuppen starren die Gesichter einander entgegen. Sie wirken leblos und lassen das Cover auf eine angenehme Weise nebulös und rätselhaft anmuten. Auch die silbrigen Punkte ergeben einen Sinn, sofern man dem Buch eine Chance gibt. Ich habe dies getan, obwohl es bereits lange Zeit in meinem Regal auf diesen einen Moment warten musste. Um die Verstrickungen zwischen den Sektoren und der Enklave, also der Stadt hinter der Mauer, zu verdeutlichen, findet sich zu Beginn des Romans eine kleine Karte zur Übersicht. Die Aufmerksamkeit finde ich wirklich nett, so ist man dem Verlauf der Geschichte gleich ein Stück näher. Außerdem neige ich persönlich dazu, beim Lesen immer wieder zu so einer Karte zurück zu blättern, um Verbindungen herzustellen und an Gelesenes wieder anzuknüpfen. Grundsätzlich fiel es mir leicht, der Geschichte zu folgen, die Karte hätte ich also nicht zwingend gebraucht. .. Schnell musste ich feststellen, dass es sich bei diesem Titel mehr um dystopische Fantasy als um richtige Science Fiction handelt. Die Geschichte spielt zwar in ferner Zukunft, wartet ansonsten jedoch mit keinerlei futuristischen Elementen auf. Die Besonderheiten, an denen sich die Enklave erfreuen kann, bestehen etwa aus Computern oder gewissen Fortschritten in der Genforschung. Das ist ein Stand der Technik, den wir heute bereits überschritten haben. Somit spiegelt das Geschehen um Gaia herum zwar eine Welt der Zukunft wieder, gleichzeitig aber auch ein Leben der Vergangenheit aus heutiger Sicht. Es tauchen keine bemerkenswerten Ideen auf, die sich Caragh O'Brien in ihr Buch gedacht hätte. Lediglich das alte Schema der zersprengten Gesellschaft und der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich wird thematisiert. Dafür wird dieses Miteinander jedoch gekonnt dargestellt und die Logik innerhalb der Enklave hat für mich auch funktioniert. Der Vollständigkeit halber möchte ich auch gerne erwähnen, dass mir der Buchtitel etwas irreführend empfand. In diesem Buch geht es nicht um einen Ort, wohin Kinder verschwinden. Die Figuren in der Geschichte wissen allesamt, wohin die Babys gebracht werden. Von einem Verschwinden kann hier also nicht die Rede sein. Ja, der Titel klingt mysteriös und lädt zum Nachdenken ein. Doch meiner Meinung nach verwirrt er auf den ersten Blick und gibt nicht den Inhalt nach Außen wieder.Der Erzähler verfolgt einen sehr linearen Stil und bringt sich selbst selten aus der Ruhe. Dabei profitiert er in jedem Fall von der ruhigen Stimme O'Briens. Sie gibt einen sanften Ton an und lässt ihre Figuren und deren Aktionen regelrecht dahingleiten. Sie kennzeichnet eine einfache Sprache, die schnörkellos und leicht verständlich rüberkommt. Nach meinem Geschmack hätte es an einigen Stellen gerne etwas verschnörkelter sein können. Hin und wieder stolperte ich über unangenehme Wortwiederholungen oder störte ich mich an einem unpassend lockeren Tonfall für die jeweilige Situation. Manches Mal missfielen mir auch gewisse Satzstellungen oder Formulierungen, aber ich bin mir sicher, dass das zu großen Teilen an der Übersetzung lag.
"Der Kopf des Jungen hüpfte auf vertraute Art, seine fleckige Haut bekam etwas Farbe, und mit einem Rudern seiner Arme stieß er seinen ersten, klagenden Schrei der Empörung aus: Empörung darüber, am Leben zu sei
n." (S. 110)


 Die Handlung für sich hat mir gut gefallen. Ich konnte mich prima in die Figuren hineinversetzen und hatte für tatsächlich jeden Charakter Verständnis, was durchaus sehr selten ist. Am meisten wird dem Leser natürlich die tapfere Gaia nahe gebracht. Ein ums andere Mal empfand ich sie statt mutig jedoch als trotzig und statt vorausschauend als naiv. In meinen Augen ist sie ein junges Mädchen, das zu schnell in eine verantwortungsvolle Erwachsenenrolle hineingedrückt wurde. Ich weiß nicht, ob dies beabsichtigt war, jedoch hatte ich verstärkt das Gefühl, als sei sie den Anforderungen ihrer Rolle nicht gewachsen. So stellt sie sich hin und möchte der Welt erklären, dass sie ungerecht und hochgradig unverschämt sei. Zumindest erweckte sie diesen Eindruck bei mir. Während mich dieser Charakterzug anfangs noch abschreckte, begegnete ich ihm im Verlauf der Geschichte zunehmend positiver. Ich lernte Gaia besser kennen und damit lernte ich auch, mit ihren Defiziten umzugehen. Kleine Kanten und Macken gestalten einen Protagonisten ja erst richtig interessant. Und so ließ ich die das ängstliche Kind einfach etwas verträumt und gutgläubig sein, damit sie im nächsten Moment die mutige und vorwurfsvolle Heldin mimen konnte. Was mir zudem überaus sympathisch war, ist die stille Liebesgeschichte, die sich nach einigen Seiten anbahnte. Gaia muss ständig an das ungewisse Schicksal ihrer Eltern und erst recht das der vielen Babys denken. Da ist kein Platz in ihrem Kopf für ein großes Verliebtsein. Aber ein kleines Kribbeln, das ist erlaubt. Und so ist dem Leser auch schnell klar, wohin Gaias Gedanken immer wieder mal abdriften, ohne dass es zu schnulzig werden würde oder die Liebe sich zu sehr in den Vordergrund drängen würde. Vielleicht ist im zweiten Band der Trilogie ewas mehr Platz für die sonnigen Gefühle in Gaias Herzen. Der Auftakt allerdings bleibt größtenteilt klamm und beengend. Mit einem infernalischen Ende, das sämtliche Fragen offen lässt und nahzeu zum Weiterlesen zwingt, verlassen wir die Enklave, die Sektoren darum und damit Gaia fürs Erste.
Mein Fazit:
Leider konnte ich der Protagonistin ihre Rolle nicht so ganz abnehmen und so bekam ich einen eher nüchternen Eindruck vom ersten Band der Trilogie. Ich vergebe ~ 3 Krümel ~, dennoch bin ich gewillt, mich auch dem zweiten Band zu widmen.
Jimmy