Auf Kathy Belham und ihren Mann wartet eine Pflicht, die für ihn unangenehm ist, für sie aber einen tieferen Schrecken birgt. Onkel Adrian, das schwarze Schaf der Familie, ist gestorben, und hinterlässt einen minderjährigen Stiefsohn, den die Belhams in den Schoß der Familie aufnehmen wollen. Was als Christenpflicht beginnt, endet jedoch in einem Duell von „Gut“ gegen „Böse“.
Als Kind musste Kathy einen Blick hinter die Maske des gebildeten, wenn auch exzentrischen Onkel Adrian werfen und erkennen, dass sich in ihm weitaus mehr versteckte als ein menschliches Wesen. Und nun reist sie mit ihrem Mann an den Ort, wo er starb, an einen Ort am Ende der Welt, wo ein Pfarrer mit festem Glauben und seine Gattin wenig willkommen sind. An einen Ort, an dem andere Regeln gelten und dunkle Rituale gefeiert werden.
Barbara Büchners „Familienritual“ ist ein Gruselroman in allerbester Tradition. Bereits im Prolog erfährt der Leser, an welchen Ort es Professor Adrian Petri in seiner Verderbtheit gezogen hat und aus welchem Grund: Er möchte die Krone des Dämonenfürsten erringen, die ein verstorbener Vorfahre der Einwohner lange Zeit trug und die nur in einem grausige Ritual gewonnen werden kann. Die Beschreibung der missgebildeten, inzuchtgeprägten Körper der Dorfbewohner, die giftige Atmosphäre, die amphibienhaften Kreaturen aus dem Höllenloch, und die Schilderung des Rituals selbst, das ohne Splatter auskommt, sind wegweisend für den Roman und schlicht und einfach großartig. Mit bildhaften Details erschafft Barbara Büchner hier eine giftige, verderbte Stimmung, die über dem ganzen Buch wie eine Blase liegt. Gerade weil im Vollzug des Rituals und auch in der restlichen Handlung nicht literweise Blut an Wände spritzt und Gedärme quellen, ist dies um so bemerkenswerter: Der wahre Horror liegt in der Angst vor der Angst.
Auch die Charaktere entstehen mit wenigen Strichen klar vor dem Auge des Lesers. Kathy, deren Angst vor Onkel Adrian sie beherrscht und die im Kampf um das Leben des verwaisten Cyril wächst; ihr weizengoldener und festgläubiger Ehemann, der zu Beginn in seinem unerschütterlichen Glauben an Gott etwas schlicht erscheint und der, mit Dingen jenseits des Begreifbaren konfrontiert, ebenfalls an der Herausforderung wächst; auch die Nebencharaktere wie der zurückgebliebene Cyril oder Jean-Marie, der schöne und dennoch seltsam abstoßende Narr, der sich zu den Belhams hingezogen fühlt wie die Motte zum Licht, sind hervorragend gezeichnet.
Auf zweihundert Seiten entsteht eine Geschichte, in der mich gegruselt und auch geekelt habe vor den Widerwärtigkeiten, die geschehen. Grusel, im angenehmsten Sinne dieses etwas altmodischen Wortes, man könnte es auch subtilen Horror nennen, braucht keine groben Effekte als Lese-Motor, im „Familienritual“ ist es vor allem die ungesunde und vergiftete, böse schillernde Stimmung, die antreibt. Auch ein eigentliches Rätsel wie „Wer verbirgt sich hinter der Maske des Bösen“ oder „Warum ist Onkel Adrian eigentlich so böse“ benötigt die Geschichte nicht, um ihre Wirkung zu entfalten. Sie ist eine Miniatur, in der es ganz schlicht um die Frage geht, wer am Ende siegen wird: das Gute oder das Böse. Und der Ausgang ist keineswegs klar.