Rezension: Yasmina Reza – Glücklich die Glücklichen (Hanser, 2014)

Seit 2001 verlegt Hanser die Romane der vor allem als Theaterautorin (“Der Gott des Gemetzels”, “Kunst”) bekannten Französin Yasmina Reza. “Glücklich die Glücklichen” ist dabei der sechste und neuste Streich: eine geschickt komponierte Parabel über die ewige Suche nach dem Glück, beleuchtet aus den Perspektiven achtzehn verschiedener Charaktere. Eine clevere Mischung aus Witz, Melancholie und Alltagskultur.

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Titel: Glücklich die Glücklichen
Original: Heureux les heureux (2013, Flammarion)
Autorin: Yasmina Reza
Übersetzung: Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel
Verlag: Hanser
ISBN: 978-3-446-24482-5
Umfang: 178 Seiten, gebunden m. Schutzumschlag

Man kennt das aus Rezas klaustrophobischem Stück “Der Gott des Gemetzels”, das durch Roman Polanski 2011 zu Hollywood-Ehren kam: Es beginnt ganz harmlos, trivial, scheinbar belanglos, und steigert sich kontinuierlich, steigert sich hinein in Offenbarungen der schrecklichsten menschlichen Abgründe. So auch “Glücklich die Glücklichen”: Alles beginnt an der Käsetheke. Robert Toscano und seine Frau Odile kaufen ein. Dabei erzählt Robert aus der Ich-Perspektive: jedes der kurzen Kapitel ist mit dem Namen einer Person übertitelt, die es erzählt. Hier also Robert. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, ist unglücklich. Sein Schwiegervater Ernest sagt, man müsse “den Anspruch auf das Glück auf das Minimum reduzieren”, sein Freund Lionel und seine Frau Pascaline haben sich “koste es, was es wolle, im ehelichen Wohlergehen eingerichtet.” Das ist nicht Roberts Plan, lieber schweigt er. Seine Ehe ist der “Krieg zweier stummer Widersacher”, man fühlt sich an Simenons “Die Katze” erinnert.

Kapitel für Kapitel kommen andere Personen zu Wort. Beliebige Personen, denkt man, doch irgendwie sind sie alle miteinander verbunden, sei es als Patienten des selben Arztes, als Liebhaber, als Lebensretter. Mit einer klugen Mischung aus Witz und Melancholie erzählt Yasmina Reza: so muss man bei der Geschichte von Jacob, dem Sohn von Pascaline und Lionel, der in einer Psychiatrischen sitzt, weil er sich für Céline Dion hält, lachen und weinen gleichzeitig, so absurd und so himmeltraurig ist der Gedanke.

Und all die unterschiedlichen Figuren, von jung bis alt, sind auf der Suche nach dem (Liebes)Glück, und haben es in seiner vollkommenen Gestalt noch nicht finden können. Ernest und Jeannette etwa, Odiles Eltern, sind sich zutiefst fremd. Sie glaubt, nur als sein Dekor fungieren zu müssen, er führt “eine Ehe, wo alles gleich zur Gerichtsverhandlung wird”. Durch die häufigen Perspektivenwechsel, dadurch, dass beinahe alle zentralen Figuren als Ich ihr Wörtchen mitreden dürfen, tritt der Widersinn offen zutage: Würden sie doch bloss einmal offen miteinander reden…

Es gibt getriebene Figuren wie den schwulen Krebsarzt Chemla (“Ich habe keine Zeit mehr, meinem Leben ein Ziel zu geben.”), der die Traurigkeit der Liebe sucht; es gibt Enttäuschte, die sich der Erinnerungen entledigen wollen, wie Hélène, die Frau eines Kartenspielers (“Gefühle sind etwas Erschreckendes. Am liebsten hätte ich, dass das Leben einfach weitergeht und alles nach und nach ausgelöscht wird.”); und schliesslich gibt es Schicksalsergebene wie Luc Condamine, der sagt:

“Du kannst in der Liebe nicht glücklich sein, wenn du nicht zum Glücklichsein veranlagt bist.”

Er ist der Typ, den auch der Titel des Buches bzw. das Gedicht von Jorge Luis Borges, dem er entlehnt ist, zu einem gewissen Grad repräsentiert. Dieses lautet:

“Felices los amados y los amantes y los que pueden
prescindir del amor.
Felices los felices.”

(“Glücklich die Geliebten und die Liebenden
und die auf die Liebe verzichten können.
Glücklich die Glücklichen.”)

Glücklich die, die zum Glück veranlagt sind. Doch nicht alle sind es. Und für manche braucht es erst ein Un-Glück, dass sie sich des Glücks bewusst werden. Yasmina Rezas Roman führt diese subtilen Unterschiede wunderbar vor. 

Es ist ein typisch französischer (Liebes)roman (ganz nach Marilyn Yalom), könnte man sagen. Im Mittelpunkt der meisten verhandelten Liebesgeschichten steht das Fremdgehen, Frauen wie Männer nehmen sich Liebhaber / sind Liebhaber, beinahe jede Ehe erscheint hintertrieben von mindestens einem Seitensprung. Es gibt brutale Leidenschaft, Eifersucht, bezahlte Liebe, betrügende Eheleute, die von ihren Liebhabern ihrerseits betrogen werden, und so weiter. Ein zügelloser Umgang mit amourösen Angelegenheiten, wie er so oft der französischen Literatur eigen ist. Und über all dem dräut immer diese eine unbeantwortbare Frage nach dem Glück. Wenn im letzten Kapitel der alte zittrige Jean sich nochmals zu Wort melden darf und eine Art Gleichnis auftischt von einem an der Schnur zappelnden Fisch, der wieder freigelassen wird und einem Fischer, der zum andern sagt: “Zwei Titanen”, dann…. ja dann mussjeder Leser, jede Leserin für sich selbst entscheiden, was denn damit nun ausgesagt sein soll, ob und wie die Geschichte bei der eigenen Suche nach dem Glück hilfreich ist.

Yasmina Reza hat ein humorvolles, geistreiches, melancholisches, rührendes, lebensechtes Buch geschrieben, das – glücklich machen kann.



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