Die Schraube in Cinders Fußgelenk war verrostet, der Schlitz zur Mulde zermalmt.
Marissa Meyers Schreibstil ist simpel wie faszinierend. Simpel, weil er sich merklich an ein
jugendliches Publikum richtet und sich daher zwar angenehm lesen lässt, insgesamt aber doch sehr einfach gehalten ist und faszinierend, weil er eine ganze neue Welt bereithält, die dem Leser nicht nur atmosphärisch gesehen so einiges liefert, sondern auch mit vielen Begriffen um sich wirft, die man als Laie nicht unbedingt direkt zuordnen kann. Auf den ersten Seiten des Buches habe ich mich gefühlt wie auf einem bunten Marktplatz (wo man sich im übrigen auf den ersten Seiten auch tatsächlich befindet!), auf dem es an jeder Ecke neues zu sehen gibt, das man nicht zuordnen und verstehen kann, einen aber doch wahnsinnig anspricht: Androiden, Cyborgs, Netlinks und Neu-Peking beispielsweise. Sich daran zu gewöhnen, fällt allerdings überhaupt nicht schwer - Meyer hat eine unglaublich eindringliche Art den Leser so an das Geschehen heranzuführen, als wäre es ganz natürlich - und absolut realistisch. Ja, fast so, als wüsste doch jeder, wie es in Neu-Peking zugeht und was momentan in deren Regierung so los ist. Meyer schreibt einfach leicht und flüssig und dabei dennoch anspruchsvoll und atmosphärisch dicht - eine tolle Mischung, die die Seiten nur so fliegen lässt!
Märchenadaptionen sind immer eine ganz simple und nette Angelegenheit: Man liest sie, fühlt sich an das Märchen erinnert, an das sie angelehnt sind und vergisst sie am nächsten Tag wieder. Aus den Augen, aus dem Sinn. Da muss schon mehr her, als lediglich eine in die Gegenwart gepflanzte, aufgewärmte Erzählung eines bekannten Märchens. Dieses "Mehr" serviert "Wie Monde so silbern" mit einer solchen Leichtigkeit an Authentizität und Natürlichkeit, dass es fast an ein Wunder grenzt, eine so bekannte Geschichte wie Cinderella glaubwürdig in der fernen Zukunft erzählen zu können, ohne dass diese dabei lächerlich wirken würde. Denn die Welt von "Wie Monde so silbern" ist nicht etwa die Gegenwart, sondern eine futuristische, weit entfernte Zeit nach dem vierten Weltkrieg in einem ganz neuen Zeitalter. Cinderella in Science Fiction? Wie soll das gehen? Meyer zeigt es mit einer originell, wie charmant erzählten Geschichte, die stellenweise sicherlich vage an das originale Märchen erinnert, aber dennoch komplett neu erzählt ist und eine ganz besondere Eigenständigkeit an den Tag legt, die dafür sorgt, dass man trotz allem nie weiß, was als nächstes geschieht.
Dabei hat das Buch einen ganz besonderen Charme, gerade den, den es so unglaublich andersartig und besonders macht, und eine Atmosphäre, die ich von Science Fiction (in dem Genre bewege ich mich nicht sonderlich oft!) absolut nicht gewohnt bin. Zwar versprühen die ersten Seiten noch die typische Kälte einer fernen Zukunft, doch irgendwann - ohne, dass ich es richtig gemerkt hätte - bekam die Geschichte für mich den Charme einer High Fantasy Geschichte und erinnerte mich zeitweise der Atmosphäre wegen (manchmal aber sogar auch thematisch) an die Reihe von Kristin Cashore! Das mag an den politischen Diskussionen liegen, die in dem Buch eine wichtige Rolle spielen und mir besonders gut gefallen haben, oder auch einfach daran, dass "Wie Monde so silbern" eine ähnlich starke Heldin bietet, wie man es von Cashore gewohnt ist. Cinder ist, zuerst ungewohnt und neuartig, eine ganz besondere Persönlichkeit, die sich fernab von dem typischen Jugendbuchklischees bewegt und mir mit der Zeit besonders ans Herz gewachsen ist. Meyers Figuren bieten alle ein gewisses Maß an Charakterstärke und Eigenständigkeit, sodass jede Charaktere etwas Neues und Faszinierendes bietet - Androidinnen, die ihre eigene Persönlichkeit haben und manchmal vergessen, dass sie Roboter und keine Menschen sind, Prinzen mit Charme und eine Stiefmutter zum Fürchten.
Doch neben all diesen schon sehr positiven Attributen, kommen die vielen Thematiken hinzu, die "Wie Monde so silbern" ganz nebensächlich behandelt: ist man als Cyborg überhaupt noch ein Mensch? Können Androiden Gefühle haben? Dazu kommen die politischen Verhältnisse, die Lunarier, die ebenfalls extrem interessant waren und über die wir in den kommenden Bänden hoffentlich noch viel mehr erfahren werden und die kleine Liebesgeschichte, die sich ganz natürlich und leise am Rand entwickelt und eigentlich gar keine richtige Liebesgeschichte ist. Warum? Weil es keine kitschigen Liebesbekundungen gibt und dabei dennoch sehr prickelnd beschrieben ist und weil sie immer noch sehr offen ist und sich noch alles ändern könnte. Das Ende ist nämlich ein ganz schön fieser Cliffhanger, auch im Bezug auf die Liebesgeschichte und lässt mich mit hohen Erwartungen
und freudiger Hoffnung auf den nächsten Band zurück - endlich mal wieder ein Fall von "Ich muss unbedingt weiterlesen"! Auch die anderen Bindungen und Verhältnisse sind jedoch sehr emotional und glaubwürdig beschrieben, sodass man den Hauptfiguren ständig mitfiebern muss und sich kaum von der Geschichte lösen kann.
Neben dem vielen Lob gibt es aber auch kleine Kritikpunkte, die im Gesamtbild aber dann doch kaum ins Gewicht fallen. So durchschaut man die Geschichte als "geübter" Leser sicherlich sehr schnell, es gibt auch einfach zu viele Hinweise, die schon erahnen lassen, wo das alles hinführt und während es der Leser längst erraten hat, braucht das Buch tatsächlich bis zu den letzten Seiten um das Geheimnis aufzulösen, was dann doch ein wenig ernüchternd ist und keinen Überraschungseffekt mehr bietet. Außerdem hätte ich mir hier und da noch ein paar Erklärungen mehr gewünscht, mehr Informationen zum Hintergrund und einzelne Begriffserklärungen, die dazu geführt hätten, dass man sich alles noch besser vorstellen kann - hier hoffe ich allerdings auch wieder auf die Folgebände, die anscheinend zwar den Handlungsstrang weiterführen, aber die Sichtweisen anderer Figuren aufgreifen. Nach diesem absoluten Highlight bin ich jedenfalls mehr als gespannt und kann nur sagen, dass es jeder mit "Wie Monde so silbern" versuchen sollte, der mal etwas ganz anderes lesen möchte und sich genretechnisch gerne überraschen und in eine andere Welt entführen lässt.
Monde sind silbern und dieses Buch ist golden, denn in meinem Regal hat die Geschichte um Cinder absoluten Goldstatus. Charmant wie originell greift Meyer das Märchen Cinderella in einer futuristischen Welt auf und verbindet Science Fiction Elemente mit dem Charme eines High Fantasy Abenteuers. Dazu gibt es unglaublich sympathische Figuren und eine Atmosphäre, die mich nicht mehr loslassen konnte. Trotz kleiner Kritik im Bezug auf die Durchschaubarkeit der Geschichte, ließ die Spannung zu keinem Zeitpunkt nach und steigt mit einigen Überraschungsmomenten immer wieder ein kleines Stückchen. Dieses Buch hält so viel Charme und so viel Neues bereit, dass man sich einfach nicht von der Geschichte lösen kann - ja, die Seiten fliegen nur so dahin. Wer eine unglaublich faszinierende Mischung aus Science Fiction, Märchen und dem Charme von High Fantasy lesen möchte, sollte sich "Wie Monde so silbern" nicht entgehen lassen!
Marissa Meyer wurde in Tacoma, Washingtion, geboren und studierte an der Pacific Lutheran University. Sie liebt Fantasy, Grimms Märchen und Jane Austen. Sie hat Kreatives Schreiben mit dem Schwerpunkt Kinderliteratur studiert und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Katzen in Tacoma. Die vier Bände der "Luna-Chroniken" sind ihr Debüt als Schriftstellerin. Der zweite Band "Wie Blut so rot" wird im Januar 2014 in Deutschland erscheinen. [via Carlsen]
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Es wird außerdem noch ein vierter Teil erscheinen, dessen Titel, Cover und Erscheinungsdatum bisher aber noch nicht bekannt sind