Blue Sargent wusste mittlerweile schon gar nicht mehr, wie oft ihr gesagt worden war, dass sie ihrer wahren Liebe den Tod bringen würde.
Seit sie denken kann, weiß Blue Sargent, dass sie ihre wahre Liebe umbringen würde. Jede Wahrsagerin, die sie je trifft, sagt dasselbe und auch ihre Familie, die nur aus Frauen mit übersinnlichen Verbindungen besteht, glaubt an diese Prophezeiung. Jedes Jahr im April am Abend vor dem Martinstag empfängt Blue mit ihrer Mutter die Seelen derer, die bald sterben werden. Bisher hat Blue die Geister nie gesehen, doch dieses Mal ist es anders: in der Dunkelheit erkennt sie einen Jungen, der ihr nichts als seinen Namen hinterlässt - Gansey.Auch Ganseys Leben ist von Magie getrieben - seit Jahren sucht er die Ley-Linie, auf der ein mächtiger König begraben liegen soll...
Man kann über Maggie Stiefvater sagen was man will, aber die Frau kann es einfach: Schreiben! In jedem neuen Buch
scheint sie ihren Stil ein wenig abzuändern und mit den Worten zu experimentieren und so wirkt auch "Wen der Rabe ruft" deutlich ausgereifter und niveauvoller als ihre vorigen Werke. Ihre eigene Note bleibt jedoch und so ist auch der Auftakt der Raven Boys eine faszinierend magische Mischung aus Poesie, Humor und einigen ausufernden Beschreibungen, die sich dieses Mal teils ein wenig in die Länge zogen. Der Stil an sich war zwar genial, leider dauerte es dieses Mal ein wenig sich tatsächlich in der Erzählung zu verlieren und so dümpeln die ersten Seiten ein wenig vor sich hin. Atmosphärisch beweist sie allerdings wieder ihr Können, denn die Geschichte ist sehr düster und teils (im positiven Sinne) fast schon esoterisch angehaucht.
Es gibt Autoren, bei denen kauft und liest man prinzipiell alles, was sie veröffentlichen. Obwohl Maggie Stiefvaters Bücher mich nicht alles restlos begeistern konnten, ist sie definitiv eine solche Autorin und auch, wenn mich "Wen der Rabe ruft" nicht hundertprozentig überzeugen konnte, wird das so bleiben. Stiefvater ist zwar für mich nicht unbedingt ein Garant für gute Bücher, aber wenn nicht das, dann zumindest für eine unglaubliche Originalität, die sie auch in dieser Lektüre einmal mehr beweist. Ich kenne wenig Jugendliteratur, die derart eigenständig und innovativ ist, wie die von Stiefvater und das liegt nicht nur an ihrer unkitschigen Art mit Liebe umzugehen, sondern auch an ihrer Themenwahl, die sich meistens von anderen Büchern des Genres abhebt. So nähert sie sich auch in "Wen der Rabe ruft" einem Thema, das in der Jugendliteratur völlig unbenutzt und unverbraucht daherkommt.
Ein originelles Thema ist aber leider nicht alles und so beginnt die Geschichte für mich eher zäh und langatmig. Die ersten zweihundert Seiten sind ein reinstes Chaos an Namen, Orten und Worten, die man nicht zu richtig einzuordnen weiß. Alles scheint verworren und durcheinander und als Leser habe ich mich oft so gefühlt, als wüsste die Autorin selbst nicht, wo sie den roten Faden versteckt hat. Es gibt derart viele Figuren und Perspektiven, dass man manchmal ganz schön durcheinander kommt und nicht so wirklich weiß, wohin das alles denn nun führen soll. Wohin es letztendlich führt? Nun, ich würde sagen "Wen der Rabe ruft" lässt sich vor allen Dingen als Einführung in die Geschichte ansehen, denn für mich war es nur ein kurzer Einblick (auch wenn ich lange an dem Buch gelesen habe), der erst auf den letzten Seiten an Fahrt aufgenommen hat und so richtig spannend wurde. Essenzielle Frage bleiben ungeklärt, was bei einer vierteiligen Reihe zu erwarten ist und daher ist "Wen der Rabe ruft" für mich nicht mehr als ein langer Prolog, der extrem viel Luft nach oben lässt.
Was Stiefvater trotz allem kann, ist das Erschaffen plastischer und dreidimensionaler Figuren. Allen voran ist Blue meine Lieblingsfigur, einfach weil sie so fabelhaft eigenständig ist und eine große Portion Charakterstärke abbekommen hat. Besonders gut gefallen hat mir ihre verrückte Familie. Die ganze Idee mit dem Wahrsagen und dieser mystische Touch, der dauerhaft über ihr und dem Haus liegt, in dem sie lebt, aber auch in der ganzen Stadt, war faszinierend gut dargestellt und ungemein
atmosphärisch. Enttäuschend hingegen fand ich die Raven Boys, die mir bisher alle ein wenig suspekt sind - gerade Gansey habe ich die meiste Zeit über als sehr merkwürdig empfunden. Gänzlich unsympathisch war mir leider auch Adam, dessen Schicksal ich zwar verstanden habe, das mich aber leider nicht wirklich berühren konnte. Interessant waren dafür Ronan und Noah, die bis zum Ende hin unnahbar und geheimnisvoll wirken - gerade was Noah angeht kommt da noch die ein oder andere Überraschung, die jedoch ab Mitte des Buchs klar sein dürften.
Kennt ihr das, wenn ihr ein Buch lest und es eigentlich nicht besonders mögt, die Geschichte dann aber mit dem Zuklappen der letzten Seite irgendwie vermisst? So in etwa geht es mir gerade, denn obwohl ich während des Lesens oft wirklich sehr gelangweilt war, hat mich das Buch auf eine Art fasziniert, wie wohl nur Maggie Stiefvater es schaffen kann. Ich fand das Buch nicht schlecht, aber es hat mich auch nicht so vom Hocker gerissen wie "Rot wie das Meer" und ich glaube einfach, dass da noch so einiges kommen wird in den Folgebänden, weswegen "Wen der Rabe ruft" bei mir ein bisschen schlechter wegkommt - das spricht aber in keinster Weise gegen das Buch, denn was Innovativität angeht, kann kaum ein Autor Stiefvater das Wasser reichen. Daher würde ich sagen: Ausprobieren und nicht bei den ersten hundert bis zweihundert Seiten aufgeben. Zwischendurch wird es nämlich durchaus ziemlich unheimlich - und atmosphärisch ist die Geschichte ja ohnehin.
Was auch immer Maggie Stiefvater schreibt - lesen muss ich es, auch wenn "Wen der Rabe ruft" nicht unbedingt eins meiner Lieblingsbücher von ihr ist. Die Geschichte liest sich wie ein langer Prolog und während man lange darauf wartet, dass etwas geschieht, lernt man zumindest die (wie immer) toll gestalteten Figuren kennen. Mit einer unglaublich phantastischen und mystischen Atmosphäre erschafft Stiefvater eine düstere, wie faszinierende Welt, in der es sehr viel Luft nach oben gibt. Es braucht seine Weile ehe man mit den vielen Namen, Orten und Fremdworten etwas anfangen kann, aber wenn es so weit ist, wird die Geschichte unheimlich und schön zugleich. Ein interessanter, wenn auch nicht hundertprozentig überzeugender Auftakt zu der Raven Boys Reihe. Unbedingt ausprobieren!
(c) Robert Severi
Maggie Stiefvater, geboren 1981, hatte glücklicherweise immer Schwierigkeiten, ihren Hang zu Tagträumereien und Selbstgesprächen mit ihren Jobs zu vereinbaren. Anstatt also als Kellnerin, Kalligraphielehrerin oder technische Redakteurin zu arbeiten, versuchte sie es mit der Kunst. Heute lebt die New York Times-Bestsellerautorin in den Bergen Virginias, ist verheiratet, hütet zwei kleine Kinder sowie zwei neurotische Hunde und hofiert eine verrückte Katze. [via Script5]...mehr? *klick* [deutsche Seite] & *klick* [Originalseite]