Rezension: „Weihnachten in der DDR“ (Constantin Hoffmann)

Erstellt am 27. November 2016 von Maxmustermann

Im Netz ist der Journalist Constantin Hoffmann immer wieder auf die Frage gestoßen: Wie war eigentlich Weihnachten in der DDR? Auf der Suche nach Antworten interviewte er u. a. die Geschäftsführer bekannter DDR-Betriebe, Künstler wie den Sänger Frank Schöbel und den ehemaligen SED-Funktionär und Kulturminister Dietmar Keller.

Doch geben die ehemaligen Zonenkinder auch differenzierte Antworten oder verklären sie die Weihnachszeit hinter dem antifaschistischen Schutzwall?

Die Bedeutung von Weihnachten

Die Geburt Jesu ist für Christen der Tag, an dem Gott als Mensch auf die Welt kam. Zwar ist Ostern das wichtigste Fest des Glaubens, doch berichten nicht ohne Grund zwei der vier Evangelien von diesem Wendepunkt innerhalb der Religion.

Für den Markt ist Weihnachten vor allem eines: eine hervorragende Möglichkeit, Kasse zu machen. Ostern natürlich auch. Genau wie die Fußball-WM, -EM, Olympia, Halloween, die Winterolympiade, das Oktoberfest, Erntedank, Silvester, der Tag der Deutschen Einheit, der Reformationstag etc.

Den kommerziellen Weihnachtswahn(sinn) bekommen wir spätestens Ende August zu spüren. Während wir bei 35 Grad im Schatten Sonnenmilch und Sorbet auf das Kassenband legen, schmelzen die Dominosteine und Lebkuchenherzen in den Auslagen der Discounter vor sich in.

Zeitgleich appellieren die ersten Werbespots an unser Gewissen. Man solle sich doch wenigstens dieses Jahr rechtzeitig um Geschenke kümmern.

Kommerz – wen juckt’s?

Weihnachten ist in unseren Breiten ein kommerzielles Fest. Der Privatismus, der Rückzug in die eigene Familie also, geht Hand in Hand mit der Überflussgesellschaft. Wenigstens drei Tage lang möchte man die Welt und ihr Lärmen zusammen mit der Kälte aussperren.

Zwar ließen sich in der DDR Weihnachtsgänse nicht im Discounter bis 22 Uhr einkaufen. Doch war, wie Zeitzeugen berichten, der Zusammenhalt untereinander stärker. War deshalb früher alles besser?

Oh du fröhliche …

Mehrmals wurde ich beim Lesen den Eindruck nicht los, dass einige Interviewpartner die DDR-Vergangenheit verklären.

„Wir leben ja heute in einer total anderen Zeit, in einer Zeit des Wohlstands. Weihnachten in der DDR, das war Beschränkung. Und das meine ich jetzt auch positiv, weil das Augenmerk nicht so stark wie heute auf den Konsum gerichtet war. Es ist doch Wahnsinn, was Kinder heute alles kriegen “ – Peter Schreier

Die gute alte Zeit also, in der man natürlich nicht gern ein vielfältiges Warenangebot genossen hätte.

Kampf um die Herzen

Weihnachten ist im europäischen Kulturraum fest verankert – das wusste auch die DDR-Führung. Konnte sie mit Maßnahmen wie der Sprengung der symbolträchtigen Universitätskirche in Leipzig die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft vorantreiben, ließ sich Weihnachten nicht einfach aus dem Kalender tilgen.

So blieb nur die Umdeutung des christlichen Festes auf mehreren Ebenen. Engel wurden zur Jahresendflügelfigur ein Beweis für die tatsächliche Verwendung dieses Wortes ist jedoch bis heute nicht erbracht, es könnte sich ebenso gut um Satire handeln.

Wo die geflügelte Jahresendfigur auch ihren Ursprung haben mag – sprachliche Verrenkungen wie diese haben sich bei der damaligen Bevölkerung nicht durchgesetzt. Nichtsdestotrotz sollten auch neue Weihnachtslieder für sozialistische Stimmung unter dem Baum sorgen. Dass diese ideologische Einflussnahme wenig Erfolg hatte, sehen in der Rückschau auch ehemalige Parteikader so.

Der politische Funktionär Dietmar Keller findet im Nachhinein klare Worte:

„Wir, die wir an den Sozialismus glaubten, hatten ein falsches Menschenbild. Wir glaubten, dass der Mensch vom Staat grundsätzlich umzuformen sei, nach dem Geschmack der Politik. Wir blendeten aus, dass der Mensch ein Individuum ist und bleibt. Dann man versuchen muss, ihn als Individuum zu zerstören. Da ist das christliche Menschenbild unserem, dem linken, weit überlegen.“

Zur Eskalation kam es trotzdem nicht, denn:

„Die Genossen wollten zu Weihnachten keinen Ärger haben. Sie wussten: Weihnachten ist den Menschen heilig. Wenn man sich schon das ganze Jahr ärgert, will man wenigstens zu Weihnachten mal Ruhe haben.“

Weihnachten als Mythos schlechthin

Jesus wurde am 24. Dezember geboren, die heiligen drei Könige folgten dem Stern von Bethlehem und in eine Weihnachtskrippe gehören natürlich Ochs und Esel – alles falsch, meint Pastor und Publizist Samuel Diekmann. Und zeigt, dass unser heutiges Bild von Weihnachten ebenfalls ein illusorisches ist.

Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft wurde Jesus von Nazareth nämlich im März geboren. Und nirgends in der Bibel ist von drei Königen die Rede. Ochs und Esel tauchten erst ab dem 9. Jahrhundert im Pseudo-Matthäusevangelium auf, usw.

Lieber nicht nachfragen

Würden wir die Riten und Feste unserer Gesellschaft genauer hinterfragen, bliebe wohl wenig von dem, was die Kindheit von Millionen Menschen entscheidend geprägt hat und bis heute prägt. All die Bräuche – der Weihnachtsmann an der Wohnungstür, mit Süßigkeiten befüllte Pappteller, die geschmückte Tanne im Wohnzimmer – wir möchten gern daran glauben, dass sie eine Bedeutung haben.

Für unser persönliches Erleben ist das auch so, die Fakten sind hierbei zweitrangig. Auch das wird deutlich beim Lesen von Weihnachten in der DDR. Diese typisch menschliche Verklärung kann natürlich die politische Dimension, mit der das kirchliche Weihnachtsfest seitens der SED demontiert wurde, nicht relativieren.

Heute und in Zukunft müssen die Dinge beim Namen genannt, muss der Ostalgie mit klaren Fakten begegnet werden, um ein möglichst unverfälschtes historisches Erbe weiterzureichen. Ähnlicher Ansicht ist auch die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in einem Interview für „Politische Studien“:

Politische Studien: Manche Politiker und Bürger sind der Meinung, man müsse irgendwann die Vergangenheit ruhen lassen. Zumindest die der zweiten deutschen Diktatur.

Vera Lengsfeld: Da frage ich: warum? Eine Diktatur ist eine Diktatur. Und bei der ersten deutschen Diktatur würde auch niemand sagen, das muss jetzt mal ruhen und wir wollen nicht mehr darüber reden. Es gibt aber keinen Grund, warum über die zweite deutsche Diktatur nicht auch noch geredet werden muss. Wenn man wirklich etwas tun will für die Beständigkeit der Demokratie, dann muss man darüber reden, warum es möglich sein konnte, dass in einem Teil Deutschlands gleich nach dem Nationalsozialismus wieder eine Diktatur errichtet werden konnte.

Die Verharmlosung  ist der erste Schritt zur Lüge. Wie sonst, wenn nicht durch die ehrliche und offene Benennung der Vergangenheit, sollen nachfolgende Generationen ein authentisches Bild des DDR-Systems erhalten?

So wäre die Voranstellung politischer Personen im Buch ein deutliches Zeichen gewesen. Leider kommen die wirklich spannenden Interviewpartner wie Rainer Eppelmann oder der bereits erwähnte Dietmar Keller erst ganz zum Schluss zu Wort. Will der Verlag seine Zielgruppe womöglich ein bisschen zu sehr schonen?

Fazit

Hoffmanns Buch zeigt mehrere Facetten der ehemaligen DDR: Einerseits die süßlichen, nostalgischen Erinnerungen, aber auch die alltäglichen Hürden zu Zeiten der Planwirtschaft. Geschichte am Beispiel von Weihnachten aufzuarbeiten, bleibt ein schwieriges Unterfangen, dem Hoffmann sich durch verschiedenste Blickwinkel annähert.

HOFFMANN, CONSTANTIN: Weihnachten in der DDR. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2016, 112 S., 14,95 €

Der Autor:

Constantin Hoffmann wurde 1956 in Magdeburg geboren und wuchs zu DDR-Zeiten in einem Pfarrhaus auf, bis er 1981 in die BRD floh. Heute arbeitet Hoffmann als Redakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig. Sein erstes Buch Ich musste raus erschien ebenfalls im Mitteldeutschen Verlag.