Rezension | Walled City von Ryan Graudin

Von Paperdreams @xGoldmarie

Rowohlt Rotfuchs | Hardcover | 432 Seiten | €16,99 | The Walled City | Katharina Naumann (Übers.) | Kaufen?

Jin schlägt sich als Junge verkleidet durch die Straßen von Hak Nam, stets auf der Suche nach ihrer großen Schwester Mei Yee, die an ein Bordell verkauft wurde. Währenddessen erlebt diese im Quartier der Bruderschaft des Roten Drachen täglich die Hölle auf Erden und versucht alles, um sich nicht brechen zu lassen. Als eines Tages der fremde Junge Dai vor ihrem Fenster steht und ihr mit einer Muschel die Freiheit verspricht, schöpft sie neue Hoffnung. Doch Dai hat andere Probleme, denn seine Zeit läuft ab - entweder er liefert Longwai, den Anführer der Bruderschaft, aus oder er landet selbst hinter Gitter. Drei Jugendliche, die in der Walled City ums schiere Überleben kämpfen - im Hintergrund stets die Zeit, die immer knapper wird...

Mit diesem Gedanken im Hintergrund - nämlich dem, dass es die Walled City tatsächlich gegeben hat und dass sie ein Nest für Drogenhandel und Prostitution war - liest sich die Geschichte um Jin, Dai und Mei Yee auf eine noch grausamere Art und Weise. Ryan Graudins "Walled City" ist eine düstere und schreckliche Geschichte, die zwar (wie in den Anmerkungen erwähnt) keinen historischen Wert hat, insgesamt aber die Zustände des realen Vorbilds wiederspiegelt und eine Handlung um drei Jugendlich webt, die bis zum Ende spannend, vielschichtig und rasant bleibt. Bildgewaltig und auf eine raue Art poetisch erzählt Graudin von Themen wie Prostitution, Gewalt, Drogenhandel und Korruption, von verschiedenen menschlichen Schicksalen, Abgründen, Schuld, Familie, Freundschaft, Dunkelheit und Angst. Und vor allen Dingen von Hoffnung. Immer wieder von Hoffnung.
"Mut und Hoffnung gedeihen nicht an einem Ort wie diesem. Longwai zermalmt sie zu Staub unter seinen Sohlen." Seite 311
Die Geschichte ist in drei verschiedene Perspektiven gegliedert, aus denen mehr oder weniger abwechselnd erzählt wird und die in der Ich-Form verfasst sind, sodass man den Schrecken stets hautnah mit erlebt. Direkt zu Beginn wird man ins eiskalte Wasser geworfen und direkt in das Geschehen hinein katapultiert - und dieses Gefühl verliert man auch bis zum Ende nicht. Walled City ist rasant, zieht immer wieder mächtig im Tempo an, ohne dabei zu platt zu wirken. Ryan Graudin (übrigens weiblich) schafft es mit Bravur Action und nachdenkliche Szenen miteinander zu verbinden, sodass man  das Gefühl eines realen Szenarios nie völlig verliert. Walled City ist nichts für schwache Nerven - die Dinge werden zwar nicht bis ins kleinste Detail beschrieben, doch vielleicht ist das beinahe noch schlimmer. Schließlich ist das Schicksal von Mei Yee, die in einem Bordell wie ein Objekt gehalten wird, kein Einzelschicksal und Menschenhandel durchaus knallharte und aktuelle Realität.
"Jahre voller leerer Tüten und hohler Ecken. Monate voller Dunkelheit und Schwärze. Nächte voller zitternder Feuchtigkeit und toter Ratten, die über einem Lagerfeuer braten. Tage voller Rennen und Stechen und Rennen und Stechen und Rennen." Seite 330
Die Figuren sind allesamt sehr faszinierend - sie alle verfolgen ein bestimmtes Ziel, wobei Mei Yee bis zu einem bestimmten Punkt die passivste Figur ist, um die sich das Geschehen insgesamt dennoch dreht. Sie ist die Verbindung, die alles zusammen hält. Graudin schafft es hier einen Fokus zu legen und dennoch die Einzelschicksale nicht aus den Augen zu lassen, sodass neben der Befreiung von Mei Yee auch die Freundschaft zwischen Jin und Dai, die zarten Gefühle zwischen Mei Yee und Dai und die schwesterliche Verbindung zwischen Jin und Mei Yee nicht aus den Augen gelassen wird. Graudins Sprache ist dabei stets sehr metaphorisch und facettenreiche, wechselt von temporeich bis hin zu leise und langsam. Dadurch entsteht eine dichte und vor allen Dingen sehr düstere Atmosphäre, die den Leser immer mit dem Schlimmsten rechnen lässt. Rasender Herzschlag und schwitzende Hände sind bei dieser Lektüre eindeutig keine Seltenheit - doch genau das, sowie die charakterstarken Figuren und deren Entwicklungen, die kleinen Details wie die Straßenkatze Chma oder die Beschreibung der Walled City machen dieses Buch zu einem kleinen Meisterwerk.
Am Ende gibt es zudem Bilder der realen Walled City, sowie einige Erklärungen, die der Geschichte noch einmal einen besonderen Beigeschmack geben, den man lange Zeit nicht los wird. Walled City ist definitiv keine leichte Lektüre, doch sie ist wichtig, macht nachdenklich und erinnert an ein Ghetto voller Grausamkeiten - aber eben auch mit Hoffnung. Eine klare Leseempfehlung für alle, die düstere Geschichten voller Spannung und Tempo mögen!