In den frühen Morgenstunden des ersten frostig klaren Oktobertages 1907 kam Jane Swain nach einem Monat der Rastlosigkeit endlich am Ziel ihrer Reise an.
In dem Landsitz Wainwood der adeligen Familie Goodall sorgt die Ankunft des neuen ägyptischen Dienstmädchens nicht nur bei dem Gesinde für Aufsehen - selbst für die Herrschaften selbst bleibt Jane Swain nicht unentdeckt, denn mit Jane kommt ein Geheimnis auf das riesige Anwesen und Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Neben Jane, die sich an die strenge Hirarchie der Dienstboten erst einmal gewöhnen muss, kommen jedoch noch andere unerwartete Gäste nach Wainwood: Colonel Feltham, der das Geheimnis um Jane noch weiter vertieft und der junge wie attraktive Erbe Lord Nyles, der nicht nur das Herz der entzückenden Claire höher schlagen lässt, sondern wunderlichweise auch das ihrer ungezähmten Schwester Penelope - sind doch beide im heiratsfähigen Alter. Über all den Besuchen und Feierlichkeiten hängt das Geheimnis wie dichter Nebel und schon bald werden vergangene zu gegenwärtigen Geheimnissen...
Der Auftakt der "Wainwood House" Reihe ist in eben jener gemütlicher Langatmigkeit geschrieben, die man von einem historischen Roman erwarten würde. Ganz der Schmöker gibt es lange verschachtelte Sätze in einer für das frühe 20. Jahrhundert angemessenen Sprache, die sich konstant durch das gesamte Buch zieht. So sorgt der ausführliche Schreibstil für eine kuschelige Atmosphäre, die sich gerne mal im Detail verliert - das gefällt sicherlich nicht jedem und auch mir waren einige Passagen schlicht zu langatmig beschrieben. Gerade durch den allwissenden Erzähler, der jede ständig die Sicht der jeweiligen Figur wechselt, ist anfangs durchaus ein wenig gewöhnungsbedürftig und sorgt stellenweise dafür, das man den Personen nicht ganz so nahe kommt, wie man es gerne hätte. Auf der einen Seite versprüht diese Art zu Schreiben aber auch einen ganz bestimmten Charme, was man dem Buch definitiv anerkennen muss und irgendwie passt diese kühle Distanz zu der Zeit, in der die Geschichte spielt. Würde ich das Buch zu einer Jahreszeit empfehlen müssen, wäre es der Winter - nicht nur, weil es größtenteils in ebendieser Jahreszeit spielt, sondern auch weil der Schreibstil einfach so ideal zu den kalten Tagen passt.
Hätte man mir vor einigen Jahren "Wainwood House: Rachels Geheimnis" unter die Nase gehalten, hätte ich vermutlich dankend abgelehnt. Historische (Jugend-)Romane sind nicht unbedingt mein Steckenpferd, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie es werden könnten, denn die Geschichte um Jane, Penny und Wainwood House hat mich so charmant und liebevoll unterhalten können, dass ich nach einiger Zeit des Eingewöhnens das Gefühl hatte, selbst durch die unzähligen Gänge des Herrenhauses zu stolzieren und all die Räume und verlorenen Winkel zu erforschen. Zwar kann man dem Auftakt der historischen Jugendbuchreihe einige kleine Längen nicht abreden, doch Sarah Stoffels schafft hier eine Familiensaga, die gerade durch die liebevollen Details eben den Charme erhält, den es so unglaublich warmherzig und familiär macht. Man liest dieses Buch und hat nicht das Gefühl unter Fremden zu sein, sondern alte Freunde wiederzutreffen, mit denen man länger keinen Kontakt hatte - und gerade dieses Detail hat den ersten Band von "Wainwood House" für mich so schön gemacht.
Es ist diese mystische, warme Atmosphäre, dieses Gefühl in einem Raum mit Kamin zu sitzen, in dem das Feuer behaglich knistert und eine angenehme Stimme erklingt, die einem vorliest, die "Wainwood House" ausmacht. Zwar gibt es auch spannende und sogar gruselige Momente, die letztlich alle zu einem großen Finale führen, doch für mich war weniger die Geschichte, als viel mehr das Kennenlernen der Figuren und der Zeit der Punkt, der dieses Buch so aufregend machte. Die kleinen Einblicke in die Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts und die Stellung der Frau, die Entwicklungen der Zeit und der Umgang mit andersartigen Menschen, waren einfach ungeheuer unterhaltsam, informativ und interessant. Die ganze Zeit über hat man tatsächlich das Gefühl, dass das, was geschieht, vor einigen Jahren wirklich so passiert sein könnte und diese Authentizität hat dem Buch noch einmal das gewisse Etwas verliehen. Dazu den ägyptisch-mystischen Einschlag, der immer wieder geschickt in das Geschehen eingebaut wurde - und schon hat Stoffers eine interessante und spannende Geschichte erschaffen!
Dabei sind es vor allen Dingen die verschiedenen Fäden und Verknüpfungen, die irgendwann zusammenlaufen, ineinander übergehen und sich verbinden, die überzeugen. Stoffers baut eine unterschwellige Spannung auf und streut immer wieder kleine Häppchen ein, die am Ende das große Ganze ergeben. So gibt es Abschnitte, die zwar etwas langatmiger sind, aber dennoch wichtige Informationen liefern - oder eben schöne Einblicke in das Leben einer Familie in dieser Zeit bieten, was mir - wie bereits erwähnt - mit am besten gefallen hat. Zwischendurch kündigen sich immer wieder Handlungsstränge und kleine Andeutungen an, die nicht immer fortgeführt werden, aber in den Folgebänden sicherlich noch wichtige Rollen spielen werden - so zum Beispiel Julians Schicksal (*SPOILER* und seine Beziehung zu Sam, die viel mehr ist, als man erst angenommen hat *SPOILER*), Pennys Beziehung zu Lord Nyles und auch Janes Geschichte wird sicherlich weiter erzählt werden.
Die Figuren sind sympathisch und facettenreich, wenn auch teils ein wenig stereotypisch - die hochnäsige Schwester beispielsweise, die alles besser kann und weiß als Penny. Hier treffen spannende Einfälle und altbekannte Gerüste aufeinander, die meistens zu überzeugen wissen. Allerdings fällt es ein wenig schwerer, die Figuren ins Leserherz zu schließen, denn die Perspektiven wechseln so häufig zwischen unzähligen Charakteren hin und her, dass man anfangs noch etwas verwirrt ist. Spätestens ab der Hälfte jedoch wird man Penny, Jane und Julian (die für mich die Protagonisten des Buches waren) in sein Herz geschlossen haben und ihnen nur das Beste wünschen. Man fiebert mit ihnen mit, zweifelt und grübelt und fühlt sich wie in einer kleinen, heimischen Familie, die ich gerne noch einmal besuchen möchte - und daher bin ich umso gespannter auf die Folgebände!
Wer noch eine passende Lektüre für die kalten Tage sucht, an denen man eingekuschelt am Fenster sitzt und dem Schneetreiben zusieht, sollte einen Blick auf "Wainwood House: Rachels Geheimnis" werfen. Dieser Auftakt (keine Angst, die Haupthandlung ist abgeschlossen!) bietet eine Menge Geheimnisse und Einblicke in eine besondere Zeit, die zu faszinieren weiß. Stoffers erschafft eine so liebevoll detaillierte und warmherzige Welt, in der man nur allzu gerne versinkt, die aber dennoch die ein oder andere Länge aufweist - was aber irgendwie auch wieder zum Buch passt. Ein interessanter und detaillierter Schreibstil, sowie ein allwissender Erzähler, der permanent die Perspektive der Figuren wechselt, sorgen für verschiedene Einblicke in die vielen Persönlichkeiten und Stände dieser Zeit. Garniert mit einem spannenden, wie abenteuerlichen Geheimnis hat "Wainwood House: Rachels Geheimnis" all das, was man sich von einem winterlichen Schmöker verspricht!
Sarah Stoffers, Jahrgang 1982, wuchs als Tochter zweier Journalisten in Hamburg und Schleswig-Holstein auf. Schon früh wusste sie, dass sie das Schreiben zu ihrem Beruf machen wollte. Für ihre Erzählungen erhielt sie bereits erste Auszeichnungen und Veröffentlichungen. Sie schrieb außerdem für Prinz, das Straßenmagazin Hinz&Kunzt und die Hamburger Morgenpost. Mit »Wainwood House - Rachels Geheimnis« legt Sarah Stoffers ihren ersten Jugendroman vor. [via cbj]
...mehr? *klick* und *klick*