Schaut euch das an! Eine Zeitung. Wie retro ist das denn?
★★★☆☆
Connor, Risa und Lev sind Wandler. Das ist der erste von vielen neuen, unbekannten Begriffen mit denen man in diesem Buch konfrontiert wird. Im Alter 13 Jahren können Jugendliche laut Charta des Lebens umgewandelt werden, was nichts anderes bedeutet, als das problematische Jugendliche oder einfach die Kinder, die der Gesellschaft lästig werden geopfert werden sollen, um andere Menschen zu retten. Oder einfach zu verschönern, zu perfektionieren.
Wie genau das aussehen soll, darauf wird man sehr langsam über das komplette Buch hinweg vorbereitet und trotzdem ist es nicht weniger schockierend, als sich dann sämtliche Befürchtungen bewahrheiten. Dem bereits genannten Trio steht genau dieses Schicksal bevor.
Connor, weil er zu oft in Schlägereien verwickelt war, Risa, weil sie als Waisenkind zu teuer für den Staat wurde und Lev, weil man es von ihm als Zehntopfer so erwartet. Sie alle haben einen äußerst starken Charakter, was in dieser dystopischen Zukunft nicht unbedingt von Vorteil ist – zumindest nicht wenn man zwischen 13 und 18 Jahren alt ist. Denn sobald ein Mensch volljährig ist, darf er nicht mehr umgewandelt werden.
Von dieser Volljährig sind die drei Protagonisten allerdings noch weit entfernt und so beschließen sie, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Doch schon bald sind ihnen das System und der Staat dicht auf den Spuren; das Versteckspiel beginnt. Währenddessen lernt man als Leser diese dystopische Welt besser kennen und ist teilweise wirklich entsetzt, über die Fantasie und die Idee, die der Autor sich da ausgedacht hat.
Das Buch lebt nicht durch Gewalt. Es sind vielmehr die Eckpfeiler dieser Zukunftsvision, mit denen ich persönlich Probleme hatte. Ein dystopischer Roman funktioniert dann, wenn die Helden beginnen das System zu hinterfragen, wenn sie die Stimme erheben, wenn sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft erlangen. Doch wie soll die Zukunft in diesem Buch aussehen? Da sind Eltern, die ihre eigenen Kinder ohne zu zögern für eine Sache opfern, bei der sie selber nicht einmal genau wissen, was da während der Umwandlung mit ihren Kindern genau passiert.
Die Öffentlichkeit weiß von diesen Vorgehen der Regierung und dudelt sie, mehr noch, der Großteil scheint es zu befürworten. Sie selbst könnten schließlich einmal davon profitieren. Natürlich wird in Form der Protagonisten und auch einiger Nebenfiguren dagegen angekämpft und sämtliche Vergehen, die dieses System aufweist werden schonungslos aufgedeckt; doch wenn einem die Menschen, die einem am nächsten stehen schon so wenig wert sind, dann ist das in der Tat eine Welt, in der man sich fragen muss, ob es sich überhaupt lohnt weiterzuleben.
Sehr gelungen fand ich es, das die Jugendlichen im Buch einige grundlegende Dinge miteinander diskutieren, z.B. ab wann ein Mensch ein Mensch ist und dabei lediglich aus der Sicht eines verunsicherten Teenagers reden, die sich nicht sicher sind, ob ein Mensch überhaupt eine Seele haben kann, wenn er von niemanden geliebt wird. Und was passiert dann mit dieser Seele, wenn man umgewandelt wird? Der Autor greift zudem weitere Themen auf, die schon in der gegenwärtigen Zeit eine große Rolle spielen.
Sehr aktuell wäre da zum Beispiel das Thema Organspende, zu dem der Autor sich im Buch sehr klar und eindeutig äußert und jede Gegenargumentation töricht aussehen lässt. Gerade bei einem Jugendbuch, so finde ich, bewegt er sich da auf sehr dünnem Eis. Meinungen sollen gerade bei jungen Menschen gebildet und nicht aufgezwungen werden. Nichts anders will sein Buch doch im Grunde mitteilen: Dass man frei sein sollte, selbst über sein Leben zu entscheiden.
Ob die Ähnlichkeit der sogenannten Umwandlungscamps mit Konzentrationslagern aus dem Holocaust gewollt ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Gefallen hat es mir nicht. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Menschheit in Zukunft unfähig ist, auch nur das Geringste dazuzulernen. Im letzten Abschnitt folgt die Szene, auf die man das gesamte Buch vorbereitet wird.
Im Mittelpunkt steht eine Figur, die einem zuvor nicht einmal sonderlich sympathisch war und trotzdem stockt einem der Atem. Nicht auszumalen, wenn es eine der durchweg sehr überzeugenden und sympathischen Figuren gewesen wäre, mit denen man sich tatsächlich über mehr als 400 Seiten lang angefreundet hat.
Ich möchte nicht sagen, dass Vollendet ein schlechtes Buch ist. Im Gegenteil. Es werden dem Leser aber ein paar bittere Pillen in den Mund gesteckt, die man nicht einfach bedingungslos schlucken sollte. Man sollte dieses Buch mit Vorsicht genießen und sich dabei fragen, ob die Menschheit tatsächlich so tief sinken könnte und in wieweit man so ein Leben überhaupt haben wollen würde, wenn einem selbst die eigene Familie nichts mehr bedeutet. Meine Antwort wäre jedenfalls klar.