Rezension: Utopia Terrana (p.machinery/SCFD)


Obwohl der Start der Buchreihe AndroSF erst knapp zweieinhalb Jahre zurückliegt, stellt die frisch erschienene Anthologie Utopia Terrana bereits den fünfzehnten Beitrag zu dieser bemerkenswerten Reihe dar, die der Verlag p.machinery für den Science Fiction Club Deutschland (SFCD) publiziert. Der hohe Output ist dabei nicht nur ein Beleg für das große Engagement von Verlagschef Michael Haitel, sondern auch ein Beweis für die Lebendigkeit der deutschsprachigen SF-Literaturszene insgesamt. Denn ohne die zahlreichen produktiven Autorinnen und Autoren wäre eine so rasche Erscheinungsfolge bereits im Ansatz gar nicht denkbar. Utopia Terrana versammelt auf 106 Seiten vier Erzählungen, in denen Autor C. J. Knittel, Jahrgang 1981, einen Blick auf die mögliche Zukunft der Menschheit wirft. Illustriert wird jede Geschichte dabei von einer stimmungsvollen Zeichnung, beigesteuert von Christopher Neumann.
Den Einstieg in die Anthologie bildet Reise ins Jahr 2000, eine eindeutige Hommage an den SF-Klassiker Die Zeitmaschine von H. G. Wells, wobei Knittel sich außerdem noch bei Die Reise zum Mittelpunkt der Erde eines gewissen Jules Verne bedient hat. Wie im Roman des großen französischen Schriftstellers, wird die Geschichte aus der Perspektive des Neffen eines Wissenschaftlers erzählt, der im Hamburg des neunzehnten Jahrhunderts lebt. Bei Verne hört er auf den Namen Otto Lidenbrock, der Erzähler bei Knittel stellt seinen Onkel als Otto Mann vor, betont jedoch, dass es sich dabei um eine Pseudonym handle. Den wahren Namen wolle er aus Gründen der Diskretion verschweigen. Die Handlung beginnt im Jahre 1895, also dem gleichen Jahr, in welchem Wells seinen wegweisenden Roman zum ersten Mal veröffentlichte, worauf auch Bezug genommen wird. Otto Mann hat eine Zeitmaschine gebaut und unternimmt mit seinem Neffen eine Reise durch mehrere Epochen, unter anderem ins Jahr 2000. Wer das Original kennt bzw. dessen Verfilmung gesehen hat, kann problemlos viele Elemente identifizieren, die Übernahmen aus dem legendären Zeitreiseroman darstellen oder als modernisierte Varianten daherkommen. So bietet Knittel eine zeitgemäße Erklärung für das Entstehen der Morlocks an, wenngleich er diese in seiner Geschichte so nicht bezeichnet. Der Story mangelt es leider über weite Strecken an Eigenständigkeit, denn erst gegen Ende schwimmt sich Knittel von seinem Vorbild frei und wartet mit einem eigenständigen Finale auf, das auch durchaus überzeugen kann. Insgesamt hinterlässt Reise ins Jahr 2000 aber einen zwiespältigen Eindruck.
Rezension: Utopia Terrana (p.machinery/SCFD) Über die Möglichkeit zur Zeitreise verfügen auch jene Außerirdischen, die unserem Sonnensystem in der Erzählung Der Letzte seiner Art einen Besuch abstatten. Als sie feststellen, dass die Erde verschwunden ist, machen sie eine Zeitreise, um die Ursache zu ergründen, die ihnen schnell klar wird. Sie bringen einen Menschen an Bord ihres Schiffes und verlangen anschließend von ihm, sie davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, in die Geschichte einzugreifen, um der Menschheit eine zweite Chance zu geben. C. J. Knittel nutzt in dieser Story die Gelegenheit, unterschiedliche Zukunftsszenarien durchzuspielen und verdeutlicht in diesem Zusammenhang sehr schön, dass es der Mensch durchaus selbst in der Hand hat, was aus seiner Gattung und dem Planten Erde wird. Das Finale ist sehr spannend und der Ausgang der Geschichte für den Leser bis zuletzt nicht absehbar. Ein sehr gelungener Beitrag zur dieser Geschichtensammlung.
Eine gänzlich andere Richtung schlägt Knittel dann mit Das Wort Hermes' ein. Japanische Wissenschaftler haben ein künstliches intelligentes Wesen mit menschlichem Antlitz geschaffen, welches sie Anthropoid nennen. Dieses haben sie anschließend auf Weltreise geschickt. Nun ist ihre Schöpfung nach 50 Jahren wieder zurück und berichtet davon, was es in den zurückliegenden Jahrzehnten über das Wesen des Menschen gelernt hat. Sicher, die Ausführungen des Anthropoiden enthalten sehr viele Wahrheiten, wenn er den Homo Sapiens als eine komplexe Spezies voller Widersprüche beschreibt, gesteuert von urzeitlichen Trieben und oftmals nicht zu naheliegendem rationalen Verhalten fähig. Die seitenlangen emotionslosen und daher distanzierten Monologe des künstlichen Weltenbummlers wirken auf den Leser allerdings recht ermüdend, vor allem auch deshalb, weil wirklich neue Erkenntnisse nicht zutage gefördert werden. Der Versuch, den Plot durch formale Kniffe etwas aufzupeppen, indem man ihn als Brief eines Wissenschaftlers an einen anderen präsentiert, bleibt wirkungslos. Das Wort Hermes' hat zwar nur knapp 20 Seiten Umfang, doch diese kommen einem wie eine Ewigkeit vor.
Das Quartett an Geschichten vervollständigt dann die Erzählung Die Geister von Wega C. Im Zentrum der Handlung steht ein Ingenieur, der auf einem fernen Planten den Aufbau einer menschlichen Siedlung vorantreiben soll und es dabei mit zwei äußerst gefährlichen Exemplaren einer Tierart zu tun bekommt, bei der Menschen offenbar ganz oben auf dem Speiseplan stehen. Inspiriert wurde die Story von den Erlebnissen des Briten John Henry Patterson, der 1898 in Afrika eine Eisenbahnstrecke errichten sollte, wobei zwei Löwen den Bautrupp immer wieder attackierten. Patterson nahm den Kampf gegen sie auf und schrieb darüber später das Buch Die Menschenfresser von Tsavo, welches 1996 unter dem Titel Der Geist und die Dunkelheit mit Val Kilmer und Michael Douglas in den Hauptrollen verfilmt wurde. Dass diese Geschichte wesentlich besser funktioniert als Reise in Jahr 2000, obwohl auch hier das Vorbild mehr als offensichtlich ist, liegt schlicht daran, dass Knittel es jetzt schafft, sich frühzeitig von seiner Inspiration zu lösen und eigene Wege zu einzuschlagen. So wird der menschliche Expansionsdrang durchaus kritisch bewertet und dabei die Frage aufgeworfen, ob es nicht vielleicht sogar besser wäre, die Natur würde sich gegenüber den Kolonisten durchsetzen. Neben der atmosphärisch dichten Schilderung der Ereignisse ist es vor allem dieser Aspekt, der aus Die Geister von Wega C das Highlight dieses Bandes macht.
Mit Utopia Terrana empfiehlt sich C. J. Knittel seinen Lesern als Autor variantenreicher Geschichten. Dass er packend erzählen kann, bewies er schon mit seinem Beitrag Die Geächteten von Canopus 3, welcher seinerzeit Teil des Story Center 2010 der Reihe AndroSF war (siehe Rezension). Nun bekommt das Publikum in dieser Anthologie weitere Kostproben seines Könnens. Nicht alle Beiträge mögen durchweg gelungen sein, doch weit überwiegend bieten sie kurzweilige und spannende Unterhaltung. Knittel scheint immer dann in seinem Element, wenn ihn seine Geschichten in die Weiten des Weltalls führen und sich ihm die Gelegenheit bietet, die Handlungsweisen seiner Protagonisten kritisch zu begleiten und zu hinterfragen. Von diesen Plots hätte man gerne mehrere in diesem Band vorgefunden, der mit 106 Seiten und vier Erzählungen doch recht übersichtlich ausgefallen ist.
Unterm Strich zählt aber nicht die Masse, sondern die Qualität. Was das angeht, so hat Utopia Terrana in diesem Punkt durchaus einiges in petto.  
Die Fakten:
Titel: Utopia Terrana      Erschienen als Band 15 der Reihe AndroSF Verlag: p.machinery für den SFCD Herausgeber: Michael Haitel Autor: C. J. Knittel Umfang: 106 Seiten
Format: Taschenbuch Erscheinungsjahr: 2011 Preis: 6,90 Euro ISBN: 978 3 942533 23 2

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