|Rezension| "Über ein Mädchen" von Joanne Horniman



Heute Morgen bin ich aufgewacht und musste an sie denken.
Die neunzehnjährige Anna wohnt alleine in einer Wohnung und arbeitet in einer Buchhandlung. Sie liebt Literatur und Musik, doch was keiner weiß: In Wirklichkeit ist sie einsam und schämt sich für ihre Andersartigkeit, denn Anna mag Mädchen - und das ist keine Laune. Als sie auf einem Konzert die junge und schöne Musikerin Flynn kennenlernt, steht ihre Welt Kopf. Sofort weiß sie, dass Flynn anders ist als die anderen und dass sie das Mädchen mit der weißen Gitarre und den schwarzen Haaren unbedingt kennenlernen muss. Schon bald laufen sich die beiden öfter über den Weg und die prickelnde Spannung, die zwischen ihnen liegt, wird schon bald zu einer tiefen Liebe, die von Geheimnissen und Angst lebt. Anna jedoch will alles oder nichts und muss schon bald erfahren, dass Liebe manchmal nicht genug ist...
Wenn ein Buch wie ein akustisches Liebeslied klingt, kann der Schreibstil nur poetisch und wunderschön sein - und genau das ist er. Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Es ist anders! Es spricht mit unglaublich leisen und sanften Tönen zu seinem Leser, flüstert seine Worte, haucht sie beinahe. Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive von Anna geschrieben und beleuchtet daher intensiv ihre Gedanken und ihr Leben, sodass das Buch sehr von dem Innenleben der Protagonistin lebt und verträumt und nachdenklich daherkommt. Gerade das ist es jedoch, was die schöne Atmosphäre des Buches ausmacht, durch die man die Wärme Australiens beinahe zu spüren glaubt - zusammen mit dem zuerst gewöhnungsbedürftigen, aber dann blumigen Schreibstil, der teils sehr indirekt formuliert, ergibt sich ein ganz leises, ruhiges Liebeslied in Form eines Buches, dass nicht nur von Außen eine tolle Figur macht.
Gleichgeschlechtliche Liebe ist wohl eines der aktuellsten Themen auf der Welt, obwohl es eigentlich völlig selbstverständlich und kein Diskussionsstoff oder gar Tabuthema sein sollte. Und obwohl die Thematik derart polarisiert, wird sie dennoch viel zu oft totgeschwiegen - umso schöner, dass Bücher manchmal mehr sagen, als tausend Worte und umso besser, dass Bücher sich auch an Themen herantrauen, die nicht hundertprozentig von der Gesellschaft angenommen werden können. In "Über ein Mädchen" wird die Liebe zwischen zwei Mädchen behandelt und das auf eine faszinierend sanfte und leise Art und Weise. Als ich das erste Mal gehört habe, dass es in dem Buch um eine lesbische Liebesgeschichte geht, musste ich unfreiwillig direkt an diverse Männerphantasien denken, weil ich das Gefühl habe, dass die Liebe zwischen zwei Frauen immer nur auf so etwas herabgesetzt wird - was ich im Übrigen ziemlich schade finde. Daher war ich sehr gespannt, wie die Autorin die Thematik umsetzt und wurde positiv überrascht!
Was das Buch nämlich derart einzigartig und besonders macht ist die Selbstverständlichkeit, die sich durch das ganze Buch zieht und oft nur sehr selten zu finden ist. Die Protagonistin erwähnt in ihren inneren Monologen nicht ständig, dass sie homosexuell ist, sondern "denkt" einfach drauf los, so wie es jeder andere Protagonist in jedem anderen Buch auch gemacht hätte. Ihre Liebe zum gleichen Geschlecht wird auf den ersten Seiten nicht erwähnt, wodurch die Tatsache einfach sehr authentisch und als selbstverständlich hingenommen wird. Doch nicht nur mit der sexuellen Neigung geht die Autorin in einer solch angenehmen Art und Weise um, auch die Sexualität selbst steht im Mittelpunkt ihres Werkes, wird aber absolut diskret behandelt und so, dass man trotz weniger Beschreibungen immer weiß, was gerade zwischen den Protagonistinnen geschieht. Diese Ruhe und Gelassanheit im Bezug zu den jeweiligen Themen, hat die Herangehensweise einfach ungemein vereinfacht und mich völlig unvoreingenommen lesen lassen.
Wie auch schon der Schreibstil und die Geschichte insgesamt, sind auch die Protagonistinnen als ruhige und nachdenkliche Personen anzusehen, die mit leisen Tönen zu punkten wissen. Anna ist sehr schüchtern und zweifelt oft an sich und ihre Neigung. Man merkt, dass sie sich noch nicht selbst gefunden oder akzeptiert hat und trotzdem ist sie eine eigenständige und sympathische Persönlichkeit, die einem schnell ans Herz wächst und im Laufe der Geschichte viel reflektiert und sich dementsprechend entwickelt. Flynn hingegen ist eigenwillig, spontan und aufgedreht, verbirgt aber merklich ein großes Geheimnis und scheint gerade wegen ihrer Eigenwilligkeit auch noch nicht zu wissen, wo sie eigentlich hingehört. Durch ihre geheimnisvolle Art wirkt sie oft sehr distanziert, was dafür sorgt, dass man sie kaum durchschaut und keinen richtigen Bezug zu ihr aufbauen kann. Insgesamt blieben die Figuren nämlich trotz allem ein wenig blass, was an der geringen Seitenzahl des Buches liegen könnte. Es wirkte teils so, als würde die Autorin versuchen, viel Inhalt auf wenige Seiten zu quetschen, was leider nicht immer ganz geglückt ist.
Die Liebesgeschichte zwischen Anna und Flynn entwickelt sich ziemlich schnell, dafür aber auch ziemlich authentisch. Man spürt die Elektrizität zwischen den beiden und diese unterschwellige Anspannung, was dafür gesorgt hat, dass ich unglaublich mitgebangt habe und die Liebe zwischen Anna und Flynn absolut verstehen konnte. Das Hin und Her von Flynn allerdings hat nach einer Zeit schon ein wenig genervt und Anna tat mir schon bald sehr Leid, weil es so wirkte, als würde Flynn sie nur benutzen. Gegen Ende klärt sich Flynns Art zwar ein wenig auf, dennoch bleibt dieser fade Beigeschmack erhalten.
Neben der gleichgeschlechtlichen Liebe behandelt das Buch jedoch auch andere Thematiken, die der Geschichte die nötige Ernsthaftigkeit und Tiefe verleihen. Im Grunde geht es nämlich nicht hauptsächlich um Annas sexuelle Einstellung, sondern viel mehr um ihr Leben und wie sie damit fertig wird bzw. es meistert. Es geht um Selbstfindung, Familie, Trennung und Verlust und gerade durch die bereits genannte Selbstverständlichkeit wird dem Leser verdeutlicht, dass Personen mit einer anderen sexuellen Neigung ebenfalls ganz normale Menschen mit Höhen und Tiefen und denselben Problemen sind. Das Leben wird ihnen zusätzlich oft unnötigerweise schwerer gemacht, als es sein könnte, was man gut an Anna sehen kann, die zwar zu ihrer Neigung steht, aber dennoch Angst davor hat und oft an sich zweifelt. Gerade weil das Buch so viele Themen beinhaltet und in die Tiefe geht, habe ich mir noch mehr davon erhofft - mehr Seiten, noch mehr Inhalt -, aber leider endet das Buch viel zu schnell mit einem realistischen, aber dennoch unbefriedigendem Ende.
Diese besondere Lebensgeschichte erzählt in leisen Tönen "über ein Mädchen", dass sich selbst finden muss und behandelt Themen wie Sexualität, gleichgeschlechtliche Liebe, Verlust und geht dabei so einfühlsam, sanft und leise auf das Leben selbst ein, dass man meinen könnte, Anna zu kennen. Trotz kleiner Schwächen und inhaltlicher Kürze verliebt man sich selbst ein wenig in die Geschichte, in die Teekanne Lavinia, in die Katzen, in die See und in Anna und ihre Nachdenklichkeit. Obwohl die Geschichte durch leise Töne besticht, wirkt es manchmal so, als würde sie einem lauthals ins Gesicht schreien und dieses Zusammenspiel und die Selbstverständlichkeit, mit der erzählt wird, hat "Über ein Mädchen" so besonders und lesenswert gemacht. Eine vielfältige, sanfte, wunderschön geschriebene und leider viel zu kurze Geschichte, die wie aus dem Leben gegriffen wirkt, und einfühlsam auf pikante Themen eingeht! Leise, schreiende Töne können so wunderschön sein!

Joanne Horniman hat als Lektorin, Lehrerin und Künstlerin gearbeitet und schreibt, seit sie sechs Jahre alt ist. Sie hat zahlreiche Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht und wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Mit ihrem Mann, einer Katze namens Tom und vielen Hühnern und Enten bewohnt sie ein Haus mit Werkstatt und großem Gemüsegarten in der Nähe von Lismore im Südwesten Australiens. [via Carlsen]
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Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplares bedanke ich mir sehr herzlich bei

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