Der Fernseher hat den Radio schon längst gekillt. Was also schreiben wir denn noch überhaupt über „TV On the Radio“? Wir sollten doch vielmehr über einen Twitter-Instragram-Roboter schreiben, der eigene Sounds produziert? Wir schreiben dennoch über diese „veralteten“ Medienformen, weil sie der Name für die seit 2001 bestehende Band aus Brooklyn ist. Seit gestern kann man sich das neue TV on the Radio Album „Seeds“ online anhören (hier: via iTunes), welches wir hier teilen und bereits besprechen möchten.
KLEINES FLIMMERNDES BAND-PORTRAIT:
TV On The Radio haben häufige Mitgliedwechsel erlebt, die Gründungsmitglieder – Tunde Adebimpe (Gesang und Loops) und David Andrew Sitek (Gitarre) – sind jedoch nach wie vor dabei. Zweiter Sänger ist Kyp Malone und das Schlagzeug wird von Jaleel Bunton besetzt. Jedoch sind die meisten Mitglieder Multiinstrumentalisten und involvieren ausserdem vielfach Gastmusiker. Die Band – deren Stil eine breitgefächerte Mischung aus Avantgarde, Electro, Post Punk und Psychedelia ist – ist unter anderem bekannt für ihre Kollaborationen. So sang David Bowie die Backingvocals zu ihrem Lied „Province“. Und auf dem Solo-Album von David Sitek namens „Maximum Balloon“ (2010) wirkten befreundete Musiker mit wie Karen O (von den Yeah Yeah Yeah´s) oder David Byrne.
Die Verwurzelung in der guten alten Musik ist sowohl in den erwähnten Kollaborationen sichtbar als auch im musikalischen Stil: TV on the Radio haben viele Idole. Dazu gehören einflussreiche Musikgrössen wie Bad Brains, Earth Wind & Fire, Brian Eno, Prince und viele mehr. Wie klingt also ein Album einer derart couragierten Band, bei deren musikalischen Waghalsigkeiten man stets mit Überraschungen zu rechnen hat? Was spriesst dieses Mal aus dem Boden?
“SEEDS” – WIR ERNTEN ! DAS REVIEW.
Bereits drei Vorab-Singles sind seit Monaten bekannt: „Happy Idiot“ (welches übrigens auch in unserer Wavebuzz-Oktober-Playlist zu finden ist, „Careful You“ und (das beinahe gleichnamige) “Could You”. Bereits an diesen drei Nummern erkennt der aufmerksame Hörer die schwunghafte, zu erwartende Bandbreite von „Seeds“: Die erste Single „Happy Idiot“ ist am 2. September erschienen und wohl (da lest ihr recht) einer der besten Tracks des Jahres! Der Text, welcher voller frohlockender Verzweiflung sich spiralenhaft einem Abgrund zuwendet harmoniert bestens mit den hyperaktiven Arrangements. Das Musikvideo dazu… beinhält ein Auto (darin sitzt der Schauspieler Paul Reubens), eine Wüste, eine Band im Hintergrund, und eine Cheerleaderin (Karen Gillan):
“Stuck in the shade
Where there’s no sunshine
I don’t wanna play
With them other kids in the sun.”
“Could You” gab es bisher als Live-Aufnahme eines TV on the Radio Auftrittes in Santa Barbara. “Careful You” gibt es daher schon etwas länger. Die wabernde, verschwommene Verträumtheit touchiert den Hörsinn in den zwei Sprachen Englisch und Französisch. Sehr kanadisch von den Amis.
TRACK BY TRACK: “SEEDS” ALS “STATUS QUO” INNERHALB DES SCHAFFENS VON TV ON THE RADIO?
Bei solch starken Singles ist die metaphorische Erwartungslatte hochgesteckt. Der Opener „Quartz“ ist ein happy-clappy, mit Triangel besetzter Opener, der Gospel-Elemente beherbergt. Danach kommen die drei bereits bekannten Singles. Der nächste Track „Test Pilot“ verwendet das Bild eines Testpilotes für tiefe Philosophie über Lebensverhältnisse. Das Lied selbst ist charakterisiert von regelmässig-lethargischen Drums und sehr hohem Gesang. Das auf „Test Pilot“ folgende „Love Stained“ ist zunächst – analog zum vorangegangenen Track – minimalistisch gehalten. Der Minimalismus wird spätestens ab der Song-Mitte aufgehoben, wo Zikaden-hafte Electro-Geräusche den Hintergrund benebeln. „Ride“ ist typisches 6:29 Minuten-langes Aufbau-Stück, bei dem man zunächst am liebsten abschalten möchte und man möchte es… noch weiterhin. Bisher ist „Ride“ das nichtssagendste Lied auf „Seeds“: Es versprüht künstlichen 80s-Pop-Charme und kleckert etwas dabei. Das Intro von „Right Now“ ist von einem Xylophon unterstützt, die Melodie ist ebenfalls nett (die klar verständlichen Lyrics singen „Status Quo“, wobei es wohl nicht um die Band gehen sollte). Bei „Winter“ werden die bisher zaghaft eingesetzten E-Gitarren eingesetzt und kurz konnte man etwas in der Wüste sehen. Oasis.
Bei „Lazerray“ kommt dann aber der Punkt, den ich bislang nicht auszusprechen wagte: Das Album kommt bald zu einem Ende und vermochte weder durch spannende Arrangements noch durch musikalische Neuerungen zu beeindrucken. Nicht vergleichbar mit dem Moment, als „Happy Idiot“ das erste Mal vernommen wurde. „Lazerray“ ist ein kleines Rock-Stück mit lieber Melodie, geeignet für das Pub bei einem Bier. Alles ganz nett, ja. Und dann? „Here comes trouble“. Ja. JA! Zwei Lieder vor Schluss ist „Trouble“ eine sehr angenehme Mitsing-Nummer, die sich sogleich mit dem Herzen vereint. Der Album-Closer „Seeds“ schliesst mit einem Liebesgeschichtlein („I always wonder how your gypsy heart would feel like“). Choral und atmosphärisch mit vielen Gesangsschichten wird ein Album verabschiedet, bei dem die Hoffnung im Keim erstickt wurde. Als freudige Idiotin kann ich bisweilen zweieinhalb von zwölf Songs meine Liebe geben.
KEEP BUZZIN
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