2006/07 standen The Young Knives mit ihrem Debütalbum “Voices of Animals and Men” auf Platz 21 der britischen Charts und waren für den Mercury Prize nominiert. 2013 brauchten sie eine Kickstarter-Kampagne, um ihr viertes Studioalbum überhaupt finanzieren zu können. Ist “Sick Octave” der letzte klagende Abgesang des sogenannten Postpunk-Revivals?
“12345″. Auf diesen Namen lautet das Intro: Siebenundzwanzig Sekunden mehrstimmiges Kleinkinder-Zähl-Gebrabbel. Dann haut der Synth rein, hyperaktiv, tief, Marke 2007/09, Marke Editors. Diese waren – eleganter Übergang – damals auch für den Mercury Prize nominiert, ebenso wie die Young Knives mit ihrem Debütalbum “Voices of Animals and Men”. Als musikalisch versierte Poeten der Sozialkritik hat man sie gepriesen. Platz 21 in den Charts – und auch das Folgealbum “Superabundance” (2008) erreichte noch die Top-30. Danach ging es bergab. Die Young Knives, gegründet 1998, bereits zu Urzeiten des Garagerock- und Postpunk-Revivals mit kleinen Veröffentlichungen aktiv, schienen abdanken zu müssen. Ihr 2002er-Minialbum hiess “The Young Knives… Are Dead” und glänzte mit einer Mischung aus Scritti Politti in ihren Anfängen und den Libertines. Auflehnung! Revolution! Working-Class-Heroismus! Die Band war very much alive und blieb es noch bis cirka 2009. Dann erst begann die Grabesruhe.
Und heute?
Zwölftausend Pfund liessen sich die Jungs aus Leicestershire via Kickstarter überweisen, um “Sick Octave” produzieren zu können. “It’s our ripest album yet. It’s SICK OCTAVE and its both very cool and very unwell.” schreiben sie da. Reif: Was auch immer das heissen mag.
“Sick Octave” ist ein irritierendes Album. Die Songs sind vielschichtig, Mengen von Spuren übereinandergelegt, ein bisweilen trommelfellzertrümmerndes, bisweilen wunderbares Chaos. “All Tied Up” zum Beispiel: Es beginnt, wie es auch aufhört, mit brachialem, einakkordigem Gitarrengeschrammel und masochistischen Drums, krawallartig, geht über in den abgehackten Groove des Postpunk, windet sich, schichtet unterschiedlichste Gitarrenklänge, endet wiederum im Chaos. Viele der Songs funktionieren ähnlich.
Was ist davon zu halten?
Reife ist vielleicht gleichzusetzen mit Vielschichtigkeit, vielleicht aber auch mit Chaos, auf jeden Fall mit einem Befremden, das einen befällt. Postpunk-Revival: Ging’s da nicht einmal vorwiegend darum, die rasiermesserscharfen Gang-of-Four-Riffs und Ähnliche Geniestreiche ins 21. Jahrhundert zu transportieren? Doch. Bands wie Franz Ferdinand gelingt es auch heute noch, Bands wie The Young Knives müssen wohl auf der Strecke bleiben. Songs wie der Scritti-Politti-Klon “Marble Maze” oder das verrückt-energische “Green Island Red Raw” (Basssolo! Autohupe!) hätten Ende der 1970er für (Underground-)Furore gesorgt, wären 2006 mit offenen Armen empfangen worden – doch 2013 bleiben sie unbeachtet. So wunderbar vielschichtig chaotisch sie zuweilen auch sind.
Prognose: Ohne Kickstarter wird den Young Knives kein Album mehr vergönnt sein. Mit einer devoten Anhängerschaft, vielleicht noch einige. Doch die Öffentlichkeit wird kein Ohr mehr haben. Eigentlich schade. Doch sehen wir es ein: Das Erlöschen des letzten Postpunk-Revival-Teelichtleins war längst fällig. Zeit für etwas Neues!
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Bildquelle: NME http://www.nme.com/reviews/young-knives/14910 (Abgerufen: 14.11.2013).
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