Rezension: "Stanislaw Lem: Solaris" (ungekürzte Lesung von Hörbuch Hamburg)


Stanislaw Lem gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Science-Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts. Während seine Kollegen aus dem Westen sich vielfach mit der Eroberung des Weltalls beschäftigten, widmete sich der 1921 in Lwow geborene Arztsohn Lem kosmologischen Mysterien, absurden Gesellschaften und der Darstellung neuer kosmischer Gefilde voller Verrücktheiten und Katastrophen. Die Begegnungen mit dem Unsagbaren verbannt er dabei nicht selten mit satirischen Seitenhieben auf die Verhältnisse seiner Epoche, wie etwas in den Ijon-Tichy-Erzählungen Sternentagebücher (1973) oder Der futurologische Kongress (1974).
Lems berühmtestes Werk ist jedoch der Roman Solaris, der 1961 erstmals erschien, im Laufe der Zeit in 30 Sprachen übersetzt und bislang zweimal verfilmt wurde. 1972 nahm sich der russische Filmemacher Andrej Tarkowskij des Stoffes an und 2002 präsentierte Steven Soderbergh seine eigene Version der Geschichte - dieses Mal mit George Clooney in der Hauptrolle des Psychologen Kris Kelvin. Was es bislang jedoch nicht gab, war eine ungekürzte Lesung von Solaris in deutscher Sprache. Diese Lücke hat der Verlag Hörbuch Hamburg nun endlich mit einer Veröffentlichung geschlossen, die seit dem 11. Juli im Handel erhältlich ist.
In Solaris erzählt Stanislaw Lem von dem Planeten Solaris, der von einem Ozean bedeckt ist - einem Ozean, der auf die physikalischen Verhältnisse ebenso Einfluss zu nehmen scheint wie auf die Wissenschaftler, die ihn von der Raumstation aus untersuchen sollen. Der Psychologe Kris Kelvin wird geschickt, um die seltsamen Vorkommnisse zu klären, aber was ihn erwartet, übersteigt jegliche Vorstellungskraft, denn die Besatzung sieht sich unvermittelt mit Manifestationen von Personen aus ihrer Vergangenheit konfrontiert – allesamt Menschen, denen gegenüber die Forscher Schuldgefühle empfinden. In Kelvins Fall handelt es sich um seine vor vielen Jahren verstorbene Freundin Harey, an deren Suizid er sich eine Mitschuld gibt. Kelvin steht nun vor der Aufgabe, die Vorgänge stoppen, ehe er und alle anderen komplett den Verstand verlieren. Doch stellt sich ihm zugleich die Frage: Will er das überhaupt?
Gelesen wird das ungekürzte Hörbuch von Solaris von Detlef Bierstedt. Der Schauspieler und vielbeschäftigte Sprecher synchronisiert u.a. regelmäßig George Clooney (letztes Jahr z.B. in Gravity), womit auf den ersten Blick eine Verbindung zur Sonderbergh-Verfilmung des Stoffes gegeben ist. Auf den zweiten jedoch nicht, denn dieser Streifen gehört zu jenen, in denen Martin Umbach Clooney sprach. Nichtsdestotrotz ist Detlef Bierstedt die perfekte Wahl für diese Lesung, denn er verfügt nicht nur über sehr viel Erfahrung, sondern seine Stimme darüber hinaus auch über eine große Bandbreite an Klangfarben – wie geschaffen also dafür, die Atmosphäre, Spannung und Tiefe von Lems Werk optimal an das Ohr des Hörers zu transportieren. Auch gelingt es Bierstedt sehr gut, den einzelnen Figuren Charakter zu verleihen, indem er sie im Bezug auf Sprechtempo oder Betonungen individuell anlegt. Schon nach kurzer Zeit entsteht so der Eindruck, man würde unterschiedliche Personen reden hören, obwohl es immer die Stimme von Detlef Bierstedt ist, der man lauscht. Ein solches Talent zeichnet einen Sprecher der Oberklasse aus und mit solch einem hat man es in dieser Lesung unzweifelhaft zu tun. Da wundert es auch nicht mehr, dass sich diese Lesung trotz ihrer Länge und des inhaltlich anspruchsvollen Textes als durchaus kurzweilig beschreiben lässt.
Auf satte 525 Minuten Laufzeit kommt die ungekürzte Lesung von Solaris aus dem Hause Hörbuch Hamburg. Sie wird dabei sowohl als Download angeboten, wie auch auf CD. Wer sich für die anfassbare Version entscheidet, erhält Lems Klassiker platzsparend auf zwei MP3-CDs in einer stabilen aufklappbaren Papphülle. Auf ein Booklet wurde verzichtet, stattdessen finden sich einige kurze Informationen zum Autor und zu Detlef Bierstedt im Innenteil. Im Bezug auf Fotos der beiden Herren herrscht leider Fehlanzeige. An dieser Stelle wäre sicherlich mehr möglich und auch wünschenswert gewesen, denn über Stanislaw Lem, der 2006 in Krakau verstarb, ließe sich schon deutlich mehr sagen, als es in den achten Zeilen getan wurde, die ihm gewidmet sind. Und ausreichend Platz für Bildmaterial hätte es auch gegeben. Es schmerzt etwas, dass an diesem Ende gespart wurde.
Über Stanislaw Lem wird bis heute viel gesprochen, doch nur wenige haben seine Romane wirklich gelesen. Um in die Gedankenwelt des Polen aber tatsächlich einsteigen zu können, muss man an das Ursprungsmaterial heran, denn keine Adaption wird Lems Werken gerecht. Mit der ungekürzten Lesung von Solaris können nun auch jene diesen Klassiker der Science-Fiction für sich entdecken, die vor eine Lektüre bislang zurückgeschreckt sind. Da es auf den Inhalt ankommt und Detlef Bierstedt als Sprecher einen einwandfreien Job abliefert, kann man diese Produktion von Hörbuch Hamburg trotz der etwas lieblosen Verpackung absolut empfehlen.
Die Fakten:
Titel: Solaris (ungekürzte Lesung) Autor: Stanislaw Lem Gelesen von: Detlef Bierstedt Verlag: Hörbuch Hamburg Laufzeit: ca. 525 Minuten Format: MP3-CD, Download Erscheinungsjahr: 2014 ISBN: 978-3-89903-913-9 Preis (UVP): € 19,99 (CD), € 15,95 (Download) 

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