Rezension: Sophie Coulombeau – Nach allem, was passiert ist (Kein & Aber 2014)

Der Debütroman der jungen Britin Sophie Coulombeau, Gewinnerin des Route Young Author Awards 2011, ist ein moralisch und rechtlich verzwicktes Teenagerdrama, von den Beteiligten aus retrospektiver Sicht erzählt. Im Zentrum der Handlung: vier Vierzehnjährige, die beschliessen, in einem gemeinsamen Ritual (Originaltitel: “Rites”) ihre Unschuld zu verlieren…

“Als ich vierzehn war, habe ich etwas Schreckliches getan. Wenigstens behaupten das einige.”

So lauten die ersten beiden Sätze des Romans. Der Sprechende ist Damien, einer der vier Jugendlichen. Wie alle in diesem Roman in stets kurzen Kapiteln zu Wort kommenden Zeugen, spricht er zu einem nicht identifizierten, stummen Interviewer.

coulombeau

Titel: Nach allem, was passiert ist
Original: Rites (2012)
Autorin: Sophie Coulombeau
Übersetzung: Simone Jakob
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5690-9
Umfang: Klappenbroschur, 256 Seiten

Als sie vierzehn waren, haben Damien, seine Freundin Lizzie sowie das Paar Nick und Rachel, die ein unzertrennliches pubertäres Vierergespann bildeten, den Entschluss gefasst, es sei nun an der Zeit, Sex zu haben. Um diesen Plan in die Tat umzusetzen, galt es, etliche innere und äussere Hindernisse zu überwinden, etwa Rachels einsamen Vater und Lizzies gestrenge Mutter, die ihrerseits eine Affäre hatten. Dann aber auch, besonders im Falle von Rachel, das alle Handlungen als störendes Hintergrundgeräusch begleitende katholische Schuldbewusstsein, das in Form von Father Creevey auch personifiziert auftritt.

Den Jugendlichen gelingt es, ein Hotelzimmer zu mieten und sich an einem vereinbarten Abend dort miteinander zu treffen. Sie betrinken und bekiffen sich und haben Sex: Damien mit Lizzie, Nick mit Rachel in nebeneinander stehenden Betten. Was schief läuft: noch während ihres Übergangsrituals stellt sich heraus, dass sich Damien und Rachel lieben. Und Lizzies “Nein” geht im allgemeinen Rausch unter, beziehungsweise wird nur von Nick gehört – oder doch nicht…?

Der ganze Roman ist auf dieses eine Ereignis, diesen etwas seltsamen Übergangsritus der vier Teenager, zugespitzt. Die Nacherzählung der Szene ist für das grosse Brimborium, das darum veranstaltet wird, reichlich spröde, so dass ich das erste Statement von Nick zu beherzigen gewillt war, der sagt:

“Warum so ernst? Ist doch nichts Schlimmes. Junge trifft Mädchen, die Natur nimmt ihren Lauf, die Eltern kommen dahinter, zack, Klaps auf die Hand, das wars. Ja, wir waren ziemlich jung, aber so was kommt jeden Tag vor.”

Dies scheint zwar angesichts des Geschehenen auch leicht verharmlosend, jedoch näher an der Wahrheit zu liegen, als etwa Damiens Nacherzählungen, die grössten Wert auf die theatralische Geste legen. Ja, diese Wahrheit: sie ist eigentlich die Hauptfigur in diesem Roman. So was wie die Wahrheit gibt es im Grunde gar nicht, so behauptet Damien an einer Stelle. Und tatsächlich lässt die Konstruktion des Texts, diese Konzentration auf subjektive Meinungen, die sich – teils aus mangelhafter Erinnerung, teils wohl auch aus Bosheit – so häufig widersprechen, auch den Leser den Begriff der Wahrheit in Frage stellen.

Wem soll man Glauben schenken? Father Creevey, der ja doch immerhin katholischer Pfarrer ist, dann wiederum aber auch eine unverbesserliche eitle Klatschbase? Rachel, die sehr viel zu sagen hat, am “objektivsten” wirkt, aber auch hinterlistige eigensinnige Motive zu haben scheint? Lizzie, die als eigentlich zentrale Informantin, sehr wenig preisgibt, ihre Meinungswechsel nicht ausführlich kommentiert? Damien, der sich als tragischen Helden stilisiert? Nick, der einen eher lockeren, gut gelaunten Umgangston anschlägt? Allen? Niemandem?

Dieses Spiel mit der Wahrheit und das ständige Hin-und-Her der unterschiedlichen Perspektiven machen Coulombeaus Debüt zu einer spannenden, anregenden Lektüre. Die erzählte Geschichte, die per se soviel Aufhebens nicht wert wäre, bietet mit ihren ethisch-moralischen Zwickmühlen eine solide Grundlage für das von der Autorin clever inszenierte Spiel. Insgesamt legt die mittlerweile 28-jährige Britin einen stilsicheren Erstling von ausgereifter erzählerischer Finesse vor, der durch die oft eher banalen Plots kaum getrübt wird.


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