|Rezension| "Silber: Das zweite Buch der Träume" von Kerstin Gier

| FJB | Hardcover | 416 Seiten | €19,99 | Amazon |


 Charles hatte es mir wirklich schwergemacht, seine Tür zu finden: Sie war mit einem lebensgroßen Foto von ihm selbst bedruckt, breit grinsend in einem blütenweißen Kittel, auf dessen Brusttasche "Dr. med. dent. Charles Spencer" stand, und darunter: "Der Beste, den Sie für Ihre Zähne bekommen können."
Das aktive Träumen aufgeben kommt für Liv Silber nicht in Frage - stattdessen hat sie wieder allerhand zu tun, im Traum, aber auch in der Realität. Nicht genug, dass Bocker (das Biest in Ocker, oder auch Florence' und Graysons Großmutter) der Silberfamilie unangenehm auf die Pelle rückt und Secrecy pikante Details über Livs Leben weiß, die sonst nie jemand erfahren hat, auch die Traumwelt scheint nicht mehr sicher zu sein. Unheimliches Rascheln und merkwürdige Gestalten tummeln sich plötzlich in den unendlichen Korridoren, doch auch Henry, Livs Freund, scheint so einige Geheimnisse zu hüten, die der Beziehung ganz und gar nicht gut tun. Und dann wäre da noch jemand in der Traumwelt, der eine offene Rechnung mit Liv hat...
Es ist sicherlich nicht alles Gold, was glänzt - nicht einmal Silber, meistens. Dem zweiten Buch der Träume kann man diese kleine Imperfektion aber irgendwie doch verzeihen, denn obwohl sich die Geschichte um Liv Silber stellenweise zieht wie Vanillekipferlteig (ok, schlechter Vergleich!) und die großen Wendungen nicht unbedingt "Aha"-Ausrufe zur Folge hatten, hat "Silber: Das zweite Buch der Träume" eine ganz besondere Eigenschaft, die schon der erste Band mit auffälliger Leichtigkeit zu präsentieren weiß: Herzenswärme! Und während man wegen mancher doch so klischeebehafteter Wendung theatralisch die Augen verdreht, verliebt man sich doch in kleinen Schritten in die zuckersüße Geschichte, in die liebevollen Details und die humorvollen und witzig-skurrilen Situationen. Wenn man Kerstin Gier eines zusprechen kann, ist es nämlich wohl ihr Talent in so ziemlich jede Szene irgendeine witzige Begebenheit einzubauen - und sei es nur ein Name (Mr Snuggles!). Und so ergibt sich aus einer zuckerwattesüßen, bunten, geheimnisvollen und herzenswarmen Welt eine imperfekte Geschichte, die das Herz erwärmt.

Dabei ist das zweite Buch der Träume nun wirklich nicht originell, wenn man Auflösungen und Wendungen betrachtet. Ganz im Gegenteil: irgendwie ahnt man das meiste, noch bevor es überhaupt erwähnt wird. Dennoch erschafft Gier mit den Traumkorridoren eine ganz besondere Atmosphäre, die geheimnisvoll und heimelig zugleich scheint. Dazu kommt Giers gutes Figurenkonzept, das gerade bei Figuren wie Lottie, Grayson und Liv wieder gut funktioniert - dafür fehlt meine Sympathie bei Henry leider ein wenig, aber vielleicht klärt sich das, wenn man endlich von ihm noch mehr erfährt. Im Nachfolgeband sind die Informationen jedenfalls dürftig und bieten nur wieder einiges an Spekulationsmaterial, das den Leser zeitweise wirklich auf die Palme bringt. Gerade auch, weil Liv einfach trotzdem nicht von ihm lassen kann. Zu schade, dass man sich vermutlich auch hier nicht trauen wird, mal eine andere Richtung einzuschlagen, als die ewig vorgegebenen Beziehungskonstrukte - ich lasse mich allerdings auch gern eines Besseren belehren, sollte das dritte Buch der Träume in der Hinsicht eine überraschende Wendung nehmen.

Ansonsten liest sich das Buch wie der typische Lückenbüßerband und bleibt, abgesehen von einigen kleinen Szenen, eher fad. Wer nervenaufreibende Spannung und Humor zum kringelig lachen erwartet, wird wohl enttäuscht werden. Wer zwischendurch aber gerne einmal schmunzelt und die ruhige Atmosphäre mag, wird aber sicherlich auf seine Kosten kommen. Schlecht ist das Buch sicherlich nicht - nur einfach eben ruhig. So ruhig, dass selbst die Höhepunkte nicht unbedingt dazu beitragen, dass das Buch mehr Tempo erhält, einfach, weil sich irgendwie vieles wiederholt und man schon ahnt, wie das ganze ausgehen könnte. Das ändert aber irgendwie doch nichts, an den liebevoll gezeichneten Figuren und der Liebe zum Detail - der Tittle-Tattle-Blog beispielsweise, dessen InhaberIN noch immer nicht ermittelt wurde. Frau Gier verspricht im Nachwort allerdings, dass man es spätestens am Ende des dritten Bands wissen wird - immer diese Hinhalterei!
Außen hui - Innen... herzenswarm. Nicht Pfui, aber auch kein Knaller. "Silber: Das zweite Buch der Träume" bestätigt nur, was ich vom ersten Band bereits dachte: Eine nette Geschichte für Zwischendurch mit herzigen Figuren und einer ganz warmen und wohligen Atmosphäre, in der man sich einfach nur zu Hause fühlen kann. Imperfektionen verzeiht man der Geschichte tatsächlich gerne - und das sind sicherlich nicht wenige, aber auch nicht so viele, dass die Geschichte schlecht wäre. Sie ist einfach nur ruhig und fließt ein wenig dahin, wie heiße Schokolade an einem kalten Tag. Und so verliebt man sich dann doch wieder in das zweite Buch der Träume, ganz gleich, wie viele Schwächen die Geschichte am Ende hat. Von mir gibt es eine verträumte Leseempfehlung!
 

Olivier Favre (c)

Kerstin Gier wurde 1966 in der Nähe von Bergisch Gladbach geboren. Bereits als Kind wollte sie Schriftstellerin werden. Sie studierte Germanistik, Musikwissenschaften und Anglistik, wechselte dann allerdings zu den Fächern Betriebspädagogik und Kommunikationspychologie, worin sie auch ihren Abschluss machte. Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem als Sekretärin und gab Kurse am Familienbildungswerk. 1995 begann sie schließlich mit dem Schreiben und veröffentlichte 1996 ihren Debütroman "Männer und andere Katastrophen". Er wurde später mit Heike Makatsch in der Hauptrolle verfilmt. Es folgten zahlreiche weitere (Frauen-)Romane, aber auch Fantasy- und Jungendbücher. Besonders bekannt ist die Edelstein-Trilogie Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün. Auch die "Mütter-Mafia" war ein großer Erfolg bei den Leserinnen. Kerstin Gier veröffentlichte ebenfalls Werke unter den Pseudonymen Sophie Bérard und Jule Brand.   [via Lovelybooks]
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