|Rezension| "Silber: Das erste Buch der Träume" von Kerstin Gier


 Der Hund schnüffelte an meinem Koffer.
Die fünfzehnjährige Liv Silber war noch nie wirklich irgendwo zu Hause. Ihre Mutter ist Professorin und nimmt beinahe jedes Jahr einen neuen Lehrauftrag in einem anderen Land an, sodass Liv und ihre Schwester Mia ständig irgendwo neu sind. Als die Familie schließlich nach London zu dem neuen Freund der Mutter zieht, ändert sich schlagartig alles. In Livs Träumen taucht plötzlich überall eine grüne Tür mit einem Eidechsenknauf auf und die vier blonden Jungs aus ihrer neuen Schule kommen viel zu oft darin vor. Noch dazu wissen sie Dinge, die Liv nur im Traum zu ihnen gesagt hat. Rätselverliebt und neugierig wie sie aber nun einmal eben ist, versucht Liv herauszufinden, was hinter all den Geheimnissen steckt und lernt dabei nicht nur eine völlig neue Welt kennen, sondern deckt noch dazu einige Fragen auf, die lieber ungeklärt geblieben wären…
Kerstin Gier hat einen Schreibstil, der „nur aus rosa Zuckerwatte besteht“ (S. 191), so fluffig, leicht und süß, dass man so manches Mal fast Zahnschmerzen bekommen könnte. Denn so unterhaltsam er auch sein mag, insgesamt ist er doch ganz schön platt und oberflächlich – natürlich absolut logisch und verständlich bei einem Jugendbuch, das aus der Sicht einer fünfzehnjährigen geschrieben ist. Dennoch fehlte mir oft ein wenig mehr Tiefe, wenn auch die Geschichte an sich sehr detailverliebt und liebevoll beschrieben wurde und eine konstant dichte Atmosphäre aufrecht erhält. Das Buch liest sich weg, wie Zuckerwatte sich essen lässt: Schnell und auf der Zunge zergehend! Hier und da noch ein wenig bitterzarte Schokolade und Vanillekipferl für den Kitsch, ist die Geschichte leicht lesbar und unterhaltsam. 
Auf ein neues Jugendbuch von Kerstin Gier hat die Fangemeinde wohl schon lange gewartet, denn so wie sich, direkt nach Erscheinen des Buches, jeder auf „Silber: Das erste Buch der Träume“ gestürzt hat, verging mir erst einmal die Lust darauf. Gut gehyped bedeutet

Livs Traumtür

ja bekanntlich nicht immer gut gelesen, weswegen das Buch noch eine Weile in meinem Regal Staub ansetzen musste – völlig zu Unrecht natürlich -, denn mit dem Buch um Liv Silber und ihre Träume zeigt Gier einmal mehr, dass sie unterhaltsame Jugendbücher mit Fantasyelementen schreiben kann, die zugegebenermaßen nicht immer auf der literarischen Höhe sind (das wollen sie ja auch nicht sein!), aber dennoch immer den Nerv der Zeit treffen und zwischendurch auch ganz schön gruselig werden können.
Bevor ich erzähle, dass Liv Silber die typische, aber sympathische Gier-Protagonistin ist, die gerne mal als graue Maus bezeichnen wird, aber insgeheim natürlich die wunderschöne Blondine ist, eine kurze Frage: Warum werden die Jugendbuch-Protagonistinnen immer jünger? Ich hätte erwartet, dass Liv siebzehn ist, aber nix da: Frische Fünfzehn ist sie und noch dazu natürlich intelligent und liebenswert, dabei noch eine große Schaufel Humor. Der Klischees bedient sich Gier wie eh und je und die Anlehnung an das amerikanische (bzw. britische) Teenieleben merkt man der Geschichte auch ziemlich oft an, was ich eigentlich ziemlich schade finde. Auch in Deutschland hätte man eine schöne Traumgeschichte auf die Beine stellen können, gerade auch weil Frau Gier ja aus Deutschland kommt, aber gut, mit London habe ich natürlich keine Probleme.

Die Figuren sind durchweg sympathisch, wenn auch in „gieriger“ Manier zuckerwattig und
vorhersehbar. Durch die Detailverliebtheit gibt es allerdings so einiges zu entdecken und das ist eines der Dinge, die ich an „Silber“ so mochte: Man geht gemeinsam mit Liv auf Rätseltour. Man darf selber knobeln und überlegen und wird nicht prompt und ungalant auf Hinweise geschubst – die baut Frau Gier selber gerne und beiläufig ein, was einfach Spaß macht und die Geschichte konstant spannend hält. Dafür sorgt übrigens auch der clever gestaltete Tittle-Tattle-Blog, dessen Einträge immer mal wieder zwischen den Kapiteln zu finden sind und Klatsch und Tratsch über die Schule weitergeben. So streut die Autorin öfters mal Geschichten und verdächtige Zusatzinformationen aus, die man einfach so aufsaugen kann. Besonders ist auch, dass ebendieser Blog tatsächlich im Internet zu finden ist und so natürlich eine gewisse Glaubwürdigkeit aufrecht erhält.
Besonders gefallen hat mir auch die bisher relativ vergessene Thematik: Träume. Und zwar nicht mit Nachtmahren oder anderen Fabelwesen (bisher zumindest), sondern schlicht und einfach Träume. Vielleicht ist es diese
simple Idee, die „Silber“ derart ungezwungen macht, denn man hat selten das Gefühl, dass einem irgendwelche sinnlosen Informationen um die Ohren geknallt werden. Alles scheint schlüssig und gerade die Traumwelt, die Gier geschaffen hat, hat mich enorm fasziniert. Die Idee mit dem Korridor und den Türen ist im wahrsten Sinne des Wortes phantastisch und scheint noch viel mehr zu bergen, als man im ersten Teil erahnen kann – ich bin enorm gespannt, was dieses bisher unbekannte Etwas ist, das sein Unwesen in dem Korridor treibt.
Neben all diesen Dingen bekommt man aber auch viel Altbekanntes. Die Liebesgeschichte, der Ball und einige kitschige Szenen sind tatsächlich vorhersehbar und vorprogrammiert, sodass man oft dramatisch aufseufzen  muss. Manchmal ist diese Extraportion „Das kennt man schon“ aber auch ganz angenehm und so schafft es „Silber“ da doch relativ human zu bleiben, auch wenn Gier einige Szenen und Momente und im Grunde auch ihre komplette Stoy selbst fast schon perfekt beschreibt: "Aber vielleicht [...] war [es] gar nicht der übliche Highschool-Mist mit der intriganten blonden Cheerleaderin, dem charmanten, aber oberflächlichen Footballkapitän und der armen, wunderschönen Außenseiterin mit dem goldenen Herzen" (S. 16) - doch das ist es ("Mist" ist da natürlich übertrieben!) und das ist nicht einmal böse gemeint – es ist einfach ihr Stil und den muss man mögen. Ich tu’s, auch wenn ich oft lächelnd die Augen verdreht habe.
„Wer in einem silbernen Bett schläft, hat goldene Träume“ – ob Liv Silbers Bett silbern ist, weiß ich nicht (ihr Nachname ist es auf jeden Fall), aber ihre Träume sind tatsächlich golden. Und nicht nur die, auch „Silber: Das erste Buch der Träume“ ist ein kleiner Goldschatz, in dem man kiloweise Zuckerwatte, eimerweise Humor und eine Menge Spannung und Detailverliebtheit finden kann. Nette Unterhaltung, die sich mit dem Thema Träume beschäftigt und dabei auf diese zuckersüße Art und Weise phantastische Elemente mit Realität und den typischen Teenieproblemen vereint. Der (fast) perfekte Schmöker zum Träumen, der meistens ein wahrer Pageturner, zwischenzeitlich extrem kitschiges Geplänkel und insgesamt ein toller Auftakt zu einer interessanten Trilogie ist. Mehr davon!


Kerstin Gier wurde 1966 in der Nähe von Bergisch Gladbach geboren. Bereits als Kind wollte sie Schriftstellerin werden. Sie studierte Germanistik, Musikwissenschaften und Anglistik, wechselte dann allerdings zu den Fächern Betriebspädagogik und Kommunikationspychologie, worin sie auch ihren Abschluss machte. Nach dem Studium arbeitete sie unter anderem als Sekretärin und gab Kurse am Familienbildungswerk. 1995 begann sie schließlich mit dem Schreiben und veröffentlichte 1996 ihren Debütroman "Männer und andere Katastrophen". Er wurde später mit Heike Makatsch in der Hauptrolle verfilmt. Es folgten zahlreiche weitere (Frauen-)Romane, aber auch Fantasy- und Jungendbücher. Besonders bekannt ist die Edelstein-Trilogie Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün. Auch die "Mütter-Mafia" war ein großer Erfolg bei den Leserinnen. Kerstin Gier veröffentlichte ebenfalls Werke unter den Pseudonymen Sophie Bérard und Jule Brand. [via Lovelybooks]
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