Dabei ist die Hintergrundidee doch eigentlich vielversprechend und voller Potenzial und im Nachhinein (und wenn man spoilern darf) schnell erklärt, doch Lynn Raven baut sich ein solch großes Labyrinth, eine derart große und unbekannte Welt, die sich selbst einfach nicht standhalten kann. Sie HÄTTE atmosphärisch sein können, wenn all die Besonderheiten dieser Welt tatsächlich beschrieben und erklärt worden wären - was macht die eine Baumart so besonders? Was unterscheidet sie von unserer Welt? Worin unterscheiden sich die Völker? Wie ist das Land eingeteilt? Einiges davon hätte man mit einer Karte sicherlich schon einmal deutlicher machen können, denn die fehlt hier gänzlich, obwohl sie mir besonders sinnvoll erschienen wäre. Anderes, wie beispielsweise die Baum- und Tierarten, die mich unglaublich interessiert hätten, hätte man einfach näher beschreiben müssen. Hierfür hätte man ein paar unnütze Handlungsstränge weglassen können, deren Ausbleiben die Spannung eventuell sogar hätten steigern können. Ihr seit: ein großes "Hätte", denn leider erfüllt "Seelenkuss" wenige dieser Anforderungen. Es bleibt ein unglaubwürdiger und blasser Weltentwurf, der wenig von sich zu überzeugen weiß.
Ähnlich geht es mir mit den Figuren, die zwar alle irgendwie besonders sind, aber keine Chemie haben und auch sonst sehr blass wirken. Allen voran Darejan, die zwar nicht auf den Mund gefallen ist, auf mich aber relativ einfältig und naiv wirkte. Was aber tatsächlich negativ auffiel, war ihre Beschreibung. Dem Leser wird vor die Füße geknallt, dass sie Armflossen und Kiemennarben hat. Schwarze Haare und Perlmutthaut. Das war's. Ein wenig mehr Hintergrund und Geschichte hätte dem Buch hier wirklich gut getan und womöglich auch meine Bindung zu den Figuren gefestigt. Einzig gut gelungen war hier der "Gefangene" (ich nenne ihn mal so, weil man im Buch erst gegen Ende erfährt, wie er wirklich heißt). Seine Verwirrung und Gebrochenheit wurde sehr gut transportiert und mich hat durchweg interessiert, was mit ihm geschehen ist - und was noch geschehen wird. Er war ein interessanter Charakter mit vielen Details und Facetten und gerade seine Vergangenheit, die kurz (aber immerhin) aufgegriffen wird, hat mich sehr gebannt. Die Beziehung zwischen ihm und Darejan, die sich bis zum Ende hin eher als Hass (ohne Liebe) bezeichnen lässt, hat mir gerade rückblickend gut gefallen, kam aber leider etwas zu kurz.
Dieses Buch hätte episch werden können, ist aber leider nur ein Schatten dessen, was es sein sollte. Es liest sich durchweg verworren, überfordert mit zu vielen Namen und Begriffen und erzählt eine im Grunde so simple Geschichte, die unnötig in die Länge gezogen und überzogen beschrieben wurde, dass es mich beinahe wundert, wie komplex sie schlussendlich wirkt. Und "wirkt" ist hier das Schlüsselwort, denn so komplex ist sie wirklich nicht. Dieses Buch hätte enorm atmosphärisch werden können, aber Raven verschenkt das riesen Potenzial, das es gegeben hätte und lässt den Leser enttäuscht und irgendwie leer zurück. Obwohl ich hier doch anmerken muss, dass die Geschichte rückblickend mehr wirkt. Während des Lesens habe ich mich oft gefragt, wann es denn endlich losgeht und mich dabei ertappt, wie meine Augen immer wieder zu der Seitenzahl gewandert sind, am Ende hatte ich dann das nüchternde Gefühl, gerade etwas gelesen zu haben, was sehr viel hätte werden können, leider aber nicht in seinem ganzen Potenzial genutzt wurde. Sehr schade!
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