Er hasste es, wenn die Dinge nicht nach Plan liefen. Wenn das Betäubungsmittel falsch dosiert war. Oder die Auserwählten sich in letzter Sekunde wehrten und den Zugang aus dem Arm rissen. "Bitte nischt...nein", lallte sein Mandant. Der Doktor bevorzugte diese Bezeichnung. Auserwählt war zu hochtrabend, und Patient klang irgendwie falsch in seinen Ohren, denn wirklich krank waren die wenigsten, die er behandelte.
"Passagier 23" - Sebastian Fitzek [S. 7]
Wer Thriller mag und keine Angst vor großen Schockmomenten hat, liest heutzutage einen Fitzek. Denn Sebastian Fitzek gehört mit zu den großen Autoren im Genre. Spätestens nach seinen großen Erfolgen mit „Das Kind“ und „Der Seelenbrecher“, stehen die Fans bei ihm Schlange, voller Blutdurst auf mehr. Obwohl er äußerlich nicht danach aussieht, schreibt er Geschichten, die es in sich haben. Vor dem Lesen, während des Lesens und auch nach des Lesen, schaut man sich als Leser, ganz verstohlen in seiner Umgebung um, darauf wartend, dass der Killer gleich aus der eigenen Küche springt und einen mit einem blutverschmierten Messer durch die Wohnung jagt. Einen Fitzek zu lesen bedeutet: Gänsehaut haben. Bedeutet Angst vor dem Menschen zu bekommen, der mit einem das Bett teilt. Bedeutet Panik zu bekommen, beim kleinsten Knacken, das man in seiner Wohnung vernimmt. Ohne Zweifel: Der deutsche Autor gehört zu den ganz großen Schockmeistern.
Deshalb war ich auch so aufgeregt, als ich im Buchladen zu „Passagier 23“ griff und fast nach Hause rannte, nur um endlich in einer neuen Geschichte des Autors zu versinken. Ich hatte besonders hohe Erwartungen, denn die vorherigen Schätze, die ich von ihm gelesen hatte („Der Augensammler“ & „Der Augenjäger“) hatten mir Wort wörtlich den Schlaf geraubt. Vielleicht war ich aufgrund der hohen Erwartung schließlich so enttäuscht. Denn obwohl die Buchidee an sich viel Potential in sich trägt, konnte Sebastian Fitzek sie nicht in den Monsters-Schlund verwandeln, wie er es sonst tut.
Was eine spannende und beängstigende Idee: Menschen verschwinden auf See. Und dabei handelt es sich nicht einmal nur um eine Idee, dieser Fakt stimmt nämlich mit der Realität überein. Durchschnittlich verschwindet jeder 23. Passagier auf einer Bootsreise. Deshalb auch der Titel „Passagier 23“. Denn in der Geschichte geht es nicht nur um auf See verschwundene Passagiere, sondern zusätzlich um einen Passagier, der nach Jahren wieder auftaucht – gruselig! Wie bereits erwähnt schafft es Herr Fitzek leider nicht, diese Idee genauso gruselig auszubauen.
Es beginnt bereits bei den Figuren. Jede von ihnen, auch der Protagonist, bleibt während der ganzen Geschichte fast charakterlos. Lediglich Konturen werden gezeichnet, was dem Leser jedoch nicht hilft, eine Sympathie oder aber auch Abneigung gegen diverse Personen aufzubauen. Dies ist in dieser Weise schlimm, da man meistens nur in eine Geschichte findet, wenn man in sie hinein schlüpfen kann. Die Buchfiguren bieten sich an dieser Stelle immer besonders an. Bei „Passagier 23“ passiert dies, meiner Meinung nach jedoch nicht. Stets war ich eine Armlänge von Gefühlen und Geschehen entfernt. Ich war und blieb ein Beobachter, auf einem anderen Schiff, auf einem weit entfernten Leuchtturm. Der Schreibstil des Autoren schaffte es zwar an einigen Stellen eine kleine Brücke zu bauen, ein Rettungsboot nach mir auszusenden, jedoch trieben mich meine Schritte und die Wellen nie ganz ans Ziel.
Selbst der Spannungsbogen, mit der Frage: „Wer ist der Täter?“, konnten mich diesmal nicht ködern. Bereits ziemlich gegen Anfang des Thrillers, hatte ich eine grobe Ahnung davon, wer oder was sein Unwesen auf der „Sultan oft he Seas“ treibt und siehe da, ich sollte recht behalten.
Was bleibt, ist ein Nachgeschmack. Wer was auf Thriller und große Schockmomente hält, der liest einen Fitzek – soweit, so gut. Jedoch bitte nicht unbedingt „Passagier 23“. Denn wer hier auf große Überraschungsmomente, einen besonders grausamen und verachtenswerten Täter und ausgereifte Figuren wartet – die man gerne noch in weiteren Werken als Schausteller sehen würde – wird hier enttäuscht – so wie. Denn dieser Geschichte fehlt es besonders an einem: An Tiefe, an Perspektive & an Farbe.
Das Buch in Worten: schemenhaft, farblos, trist, vorhersehbar
Eingestellt von Tintentraeume am 9/28/2015 11:44:00 vorm.