Casey blickte zwischen den Ohren ihres Pferdes hindurch auf das Hindernis - wie ein Scharfschütze, der sein Ziel ins Visier nimmt.
Die fünfzehnjährige Casey Blue träumt davon eines Tages eine berühmte Vielseitigkeitsreiterin zu sein, die beim internationalen Wettbewerb Badminton teilnimmt, doch mit ihrer sozialen Stellung in einem der ärmsten Viertel Londons kämpft sie mit diesem Traum gegen Windmühlen. In ihrer Freizeit arbeitet sie als Aushilfe auf der Hope Lane Ranch, doch die hiesigen Pferde haben alle nicht das, was sie sucht. Als sie schließlich eines Abends mit ihrem Vater einen silbergrauen Hengst vorm Schlachter rettet und das magere und misshandelte Tier unter Anstrengung wieder aufpäppelt, scheint ihr Traum in greifbare Nähe zu rücken. Schon bald jedoch muss Casey feststellen, dass nicht nur die Springhindernisse hoch sind, sondern auch ihr ständig Stolpersteine in den Weg gelegt werden...
"One Dollar Horse" ist wohl das, was man gemeinhin als Schmöker bezeichnen würde, was einerseits an der gemütlich-familiären Atmosphäre, andererseits an den ziemlich direkten moralischen Botschaften liegen dürfte. Es ist eines dieser Bücher, die besonders warmherzig und liebevoll geschrieben sind und in diesem Fall auch ziemlich "feierlich". Vergleichbare Schreibweisen bietet wohl vor allen Dingen Nicholas Sparks, da es einfach sehr direkt und ohne Umschweife und im geringen Maße auch kitschig beschrieben ist. Das kann durchaus unterhaltsam sein, man muss eben nur Lust darauf haben und sich darauf einlassen können. So betrachtet bietet "One Dollar Horse" ein einfaches und jugendliches Leseerlebnis, betrachtet man allerdings die teilweise sehr mangelhafte Übersetzung sieht das schon ganz anders aus. Man merkt dem Schreibstil stellenweise leider oft an, dass er ein wenig unachtsam übersetzt wurde: Syntaxfehler und ungeschickt übersetzte Sprichworte sind da oft zu finden. Sehr schade, denn das hat der Geschichte oft den Lesefluss genommen.
"Ein Pferdebuch? Das ist doch nur was für junge Mädchen!", könnten böse Zungen jetzt vermuten, aber: Falsch gedacht! Natürlich, weiblich und Pferdefan sollte man schon sein, wenn man es mit "One Dollar Horse" versuchen möchte, aber von "jung" hat nie jemand gesprochen, obwohl ich zugegebenermaßen schon etwas skeptisch war, ob mir das Buch um die fünfzehnjährige (und gegen Ende siebzehnjährige) Casey gefallen würde. Meine Skepsis hat sich - wie so oft - als unbegründet erwiesen, denn auch wenn man dem Buch durchaus anmerkt, dass es für eine jüngere und weibliche Zielgruppe geschrieben wurde, so ändert das nichts an der Tatsache, dass man es auch mit einundzwanzig noch lesen und lieben kann. "One Dollar Horse" hat genau das, was "Der Pferdeflüsterer" (Ich kenne nur den Film) auch hatte: Charme, Wärme und diese unverkennbare Hoffnung. Und natürlich Pferde - wer hätte das gedacht?
Wer Pferde nicht mag, sollte von diesem Buch definitiv die Finger lassen, denn die spielen hier die Hauptrolle, auch wenn ebenfalls zwischenmenschliche und moralische Werte relevant sind. Von Tunierregeln über Dressurtraining bis hin zur absoluten Pferdeliebe gibt es hier alles und teilweise auch sehr detailliert (nur nicht so detailliert, dass es zäh wäre!). Mir hat dieser kleine Ausflug in die Pferdewelt gut gefallen, auch wenn ich selber nicht (mehr) reite und auch prinzipiell eher wenig mit Pferden zu tun habe, denn er hat das bezweckt, was ich mir erhoffte: Unterhaltung. Das Buch liest sich wie ein spannender Pferdefilm mit genau der richtigen Dosis an Drama, Tränen und Glück. Der Spannungsbogen zieht sich unterschwellig und konstant durch die gesamte Geschichte und hält den Leser durchweg bei der Stange, denn auch wenn der Plot nicht unbedingt nervenzerreißend anmutet (und es auch nicht ist), will man doch immer wissen, wie es weitergeht.
Hinzu kommen durchweg sympathische Protagonisten, die zwar stellenweise gerne die Klischees bedienen, insgesamt aber einfach wissen, wie sie das Herz des Lesers wärmen können. Allen voran ist Protagonstin Casey Blue wohl die, die man am meisten ins Herz schließt, denn ihre unerschütterliche Art und ihre Liebe zu ihrem Pferd machen sie besonders liebenswert. Auch Entwicklungen kann man finden, auch wenn diese stellenweise ein wenig aufgesetzt wirken, was mich aber überraschenderweise kaum gestört hat. Es hat einfach zum Buch gepasst, dass man im Grunde doch immer wusste, wie es ausgehen wird und wie und warum sich der Charakter weiterentwickelt. So wird sich auch diversen moralischen Fragen und Thematiken auseinandergesetzt, die insgesamt zwar sehr indiskret sind und dem Leser quasi vor die Füße
geworfen werden, aber zu der Geschichte passt diese Art - zumal "One Dollar Horse" ja auch ein Jugendbuch ist.
Neben Hufgetrappel und strammen Gallopp, findet sich auch eine kleine, aber feine Liebesgeschichte, die eher nebenbei abläuft und ihren Höhepunkt sicherlich in den weiteren beiden Bänden finden wird. Hier sind es einfach die Details, die das Buch zu einem absoluten Comfort-Read machen: kleine Running Gags, liebevoll eingearbeitete Macken und Eigenschaften, die die Figuren lebendig machen. Ob eine Trilogie hier sonderlich sinnvoll ist, weiß ich nicht, denn im Grunde ist das Buch in sich abgeschlossen - auch wenn kleine Fragen bleiben: Was ist mit Mrs Smith? Wird Casey sich in der Vielseitigkeitsreiterei weiterhin behaupten können? Ansonsten könnte man das Buch aber auch als Einzelband lesen, doch da mir die Geschichte sehr gut gefallen hat - sieht man von kleinen Fehlern ab - bin ich schon sehr gespannt, wie die Geschichte um Casey, Mrs Smith, Peter und Storm weitergehen wird.
Das Sprichwort "Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde" lebt "One Dollar Horse" aus, denn diese gemütliche Geschichte ist eine Homage an den Reitsport, die Pferde und das Leben mit all seinen Hindernissen. Jeder weibliche Pferdenarr wird sicherlich seinen Spaß an diesem Buch haben und in dem Schmöker versinken, der so viel Wärme und Charme auszustrahlen weiß. Mit sympathischen Figuren, allerhand vierbeiniger Freunde und einigen liebevollen Details ist "One Dollar Horse" alles, was man sich von einem schönen Pferdebuch für Jugendliche erhoffen könnte. Ein etwas sehr feierlicher Schreibstil, der leider übersetzungstechnisch etwas schwächelt, dämpft das Leserlebnis zwar ab und an, konnte mich aber letztendlich auch nicht davon abhalten, mich in der Geschichte zu verlieren. Eine Leseempfehlung für Pferdefans (oder die, die es mal waren) und Freunden von warmherzigen Schmökern - auf die Hufen, fertig los!
Lauren St.John ist auf einer Farm, die in einem Wildreservat liegt, in Simbabwe, Afrika, aufgewachsen. Eine Giraffe, zwei Warzenschweine und eine Horde Affen gehörten zu den Haustieren. Heute lebt sie in London mit ihrem Bengalkater Max. [via Verlag Freies Geistesleben]
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Für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars bedanke ich mich sehr herzlich bei und