|Rezension| "Niemand liebt November" von Antonia Michaelis

Von Paperdreams @xGoldmarie

| Oetinger Verlag | Hardcover | 432 Seiten | €17,99 | Amazon |


Kurz vor ihrem sechsten Geburtstag verschwinden November Larks Eltern spurlos. Als sie siebzehn Jahre alt ist begibt sie sich auf die Suche nach ihnen, um herauszufinden, was vor langer Zeit geschehen ist - vielleicht suchen sie bereits nach ihr und können sie nur nicht finden? Gemeinsam mit ihrer namenlosen Katze verfolgt Amber ihre Spur und begegnet dabei immer wieder einem lesenden Jungen in einem hell erleuchteten Zelt, der immer dann verschwindet, wenn sie ihm näher kommt. Außerdem sind da nicht die Drohbriefe, die sie immer wieder findet und der Kneipenbesitzer Katja, der ihr Arbeit anbietet. Zwischen Realität und Illusion muss Amber sich schon bald zwischen ihrer tieftraurigen Vergangenheit und ihrer ungewissen Zukunft entscheiden...
"Niemand liebt November" ist eine Naturgewalt, die das Leserherz wie eine Presse zerstampft und sich dann hämisch grinsend wegdreht. "Niemand liebt November" sticht dir ein Messer in den Rücken, wenn du nicht hinsiehst. Ein Messer mit Widerhaken. Und dann wieder ist es auf eine so brutale Weise ehrlich, auf eine so skurrile Art poetisch, das selbst Worte wie "Wurstbrot" malerisch klingen. "Niemand liebt November" ist eines dieser Bücher, bei denen sich permanent der Magen zusammenzieht, bei dem jedes Wort wie ein Gedicht klingt und dem Leser das harte, ungeschönte Leben in all seinen Facetten wie ein Spiegel vor das Gesicht gehalten wird. Kein Buch für Zwischendurch, keine locker-leichte Lektüre - für dieses Buch muss man sich Zeit nehmen und es vielleicht nicht unbedingt lesen, wenn man schon eine traurige Grundstimmung hat, denn eins ist klar: dieses Buch kann einen emotional völlig herunterziehen.

Ob das positiv oder negativ ist? Mal so, mal so. Auf der einen Seite ist es wichtig, das Bücher diese Macht haben, gerade, weil sie dem Leser Dinge zeigen, die er sonst nicht gesehen hätte. Auf der anderen Seite ist es natürlich nicht leicht etwas derart abschreckendes zu lesen, auch wenn die Geschichte um November in einen Mantel aus Illusion und Realität eingehüllt ist, sodass man oft nicht weiß, wo die Realität aufhört und die Traumwelt beginnt. Ohnehin ist der Plot sehr schwammig, dreht sich oft im Kreis und oft hat man das Gefühl, man ist wieder genau dort, wo man am Anfang stand. Manchmal fließt die Geschichte dahin, wie kalter Kaffee und dann wieder gibt es Wendungen und neue Spuren, die wieder mehr Lust auf das Geschehen machen. Während des Lesens befand ich mich in einem ewigen Zwiespalt - irgendwo zwischen Neugierde, Angst und Schock und manchmal, da bin ich ehrlich, wollte ich gar nicht weiterlesen.

"Niemand liebt November" - und auch ich bin mir nicht sicher, ob ich Protagonistin November lieben oder hassen soll. Sie ist definitiv eine starke Figur mit unzähligen Ecken und Kanten, aber gleichzeitig sind ihre Beweggründe und Charakterzüge auch sehr schwer nachvollziehbar. Authentisch ist sie zwar in jedem Fall, aber da es so wenig Identifikationspotenzial gibt, hatte ich zwischenzeitlich das Gefühl zwischen uns stünde eine Mauer. Trotz Distanz ist jede Figur dreidimensional und charismatisch gezeichnet und verbreitet eine ganz eigene, stimmige und dichte Atmosphäre, von der man sich nur schwer lösen kann. Ob es nun die alte Dame ist, die Katze oder Katja - irgendetwas hat jede Figur, das sie interessant und einzigartig macht. Ich hätte über jede einzelne Figur eine eigene Geschichte hören können und hätte es wahnsinnig faszinierend gefunden. Aber natürlich geht es hauptsächlich um November - und das reicht auch durchaus.
Bis zum Ende hin zeigt sich das Buch immer wieder neu und ständig rätselt man, was denn nun die Lösung all dessen ist, was geschieht. Ich für meinen Teil war am Ende überrascht, hatte ich doch sehr wilde Theorien, die am Ende beinahe alle nicht aufgingen. Insgesamt kann man das Buch nur schwerlich in Worte fassen, es ist einfach sehr anders und skurril und hat mich zeitweise sehr melancholisch gestimmt. Nicht unbedingt für jeden die richtige Lektüre, aber die Themen, die angesprochen werden sind überzeugend bearbeitet und definitiv in unglaublich wortgewaltige und poetische Sätze gehüllt. Ein bemerkenswertes Buch - egal, wie man es bewertet.

"Niemand liebt November" und auch ich kann nicht sagen, dass ich dieses Buch liebe. Eine Hassliebe wäre da schon zutreffender, denn in der Geschichte um November steckt gleichzeitig so viel Leid, Poesie, Melancholie und Leben, das man emotional schon einmal überwältigt werden kann. Mit nicht ganz einfachen, aber definitiv unfassbar charismatischen Figuren weiß Michaelis eine dichte Atmosphäre aufzubauen, die sich mit jeder Seite immer mehr zuspitzt. Hinzu kommen die vielen Geheimnisse, die ständige Entscheidung zwischen Realität und Illusion, die nie ganz festgelegt werden kann und der wortgewaltige Schreibstil der Autorin, der jedes noch so plumpe Wort in ein Gedicht verwandeln kann. Ein Buch, das man lesen sollte, das mich aber zwiegespalten und irgendwie traurig zurückgelassen hat.