Antonia Michaelis hat ihren eigenen, unverkennbaren Schreibstil, was wohl jeder bestätigen wird, der schon einmal eines ihrer Bücher lesen durfte. Sie vermischt gekonnt Realität und Einbildung, spinnt daraus ein undurchdringliches Netz aus Geheimnissen und macht aus einem vermeintlich einfachen Jugendroman plötzlich ein unvergessliches Erlebnis, gespickt mit Spannung und Genialität. So konnte ich damals ihren Märchenerzähler nicht aus der Hand legen und war danach auch von drei weiteren Werken und der darin gebrauchten Erzählstimmen völlig fasziniert (selbst wenn diese mir dann nicht mehr ganz so zusagen wollten, wie genannter Märchenerzähler).
Trotzdem hatte ich bei ihrem neusten Buch so meine Zweifel; wollte es zuerst gar nicht lesen. Doch wenn man zu viele positive Meinungen dazu liest - die sich häufen und aufdrängen - dann vergeht auch die letzte Skepsis und schon taucht man wieder ein in die Michaelis-Welt.
Diese Einleitung musste sein, damit ihr mich nicht für einen Banausen haltet, wenn alles was jetzt kommt, leider nicht mehr ganz so schön klingt. Hinter dem Titel Niemand liebt November steckt wohl ein ganzes Stück Wahrheit, denn während des Lesens konnte ich die Protagonistin Amber/November/Lucy an keiner Stelle wirklich lieb gewinnen. Das höchste der Gefühle war Mitleid, sonst wollte ich sie eigentlich nur ohrfeigen.
Klar, das Mädchen ist gestört, da müssen wir nicht drüber diskutieren und das weiß ich auch, aber während sie verzweifelt nach ihren Eltern sucht; die Realität so verdreht, wie sie es gern hätte; sich prostituiert, wo sie nur kann und trotzdem die ganze Zeit auf der Stelle tritt, verliert sie den Blick für die Güte und die Liebe, die die ganze Zeit neben ihr lauern und ihr Leben dort besser machen, wo sie es eigentlich nicht verdient hätte. In anderen Worten: sie ist blind, naiv und dumm, und JA ich weiß, sie hatte es nicht leicht, aber ich ertrage solche Figuren einfach nicht, egal wie weit unten sie in der Gesellschaft stehen. Oliver Twist hatte es auch nicht leicht, und war trotzdem kein Idiot.
Ich mag es eigentlich nicht, Spoiler mit einzubauen, aber wer einen weiteren Grund sehen will, wieso Amber/November/Lucy so gar nicht mein Fall war, darf gern einmal durch Schlüsselloch schauen:
Ja, Amber/November/Lucy prostituiert sich, und das nicht zu knapp. Immer, wenn sie ihren Eltern einen Schritt näher ist, hat sie Sex mit einem anderen Mann (egal welcher Altersklasse). Kondome? Fehlanzeige, sie hat ja ihre "innere Uhr" und kann nachrechnen, wann die Gefahr besteht, schwanger zu werden und wann nicht. Schlaues Kind? Natürlich nicht. Nicht nur dass sie Gefahr läuft sich irgendetwas einzufangen, nein, sie wird am Ende auch noch schwanger und sieht darin kein lebendiges Wesen sondern eine Geldmaschine für die Zukunft. Der Staat wird's schon zahlen.
Ich gebe zu, Frau Michaelis möchte hier sicherlich nichts gutreden, sondern eher darauf aufmerksam machen, wie lächerlich sich ihre Protagonistin verhält, aber im Endeffekt hat sie bei mir damit nichts gewonnen. Wieso auch? Das Kind stirbt bei einem Fall und schon sind wir das Problem wieder los und unsere "Heldin" muss sich nicht weiter mit der Problematik befassen. Was für ein "Glück"!
Doch genug von der Protagonistin; wie sah es denn mit dem Verlauf der Geschichte aus? Auch da kann ich wieder nur nörgeln, denn nach atemloser Spannung habe ich vergeblich gesucht. Wer der "Schatten" war, der Amber/November/Lucy bedrohliche Briefe schrieb, hatte ich auch wieder schneller raus als erhofft und auch sonst konnte man beim Ende des Romans kaum von einer Auflösung sprechen. Alles blieb so banal. Lediglich die "Heldin" wurde endlich etwas wachgerüttelt, aber das half mir in dem Moment auch nicht mehr weiter. So blieb Niemand liebt November für mich das bisher schwächste Jugendbuch der Autorin.
Ich habe es wirklich versucht - und glaubt mir, bei einer Antonia Michaelis strenge ich mich besonders an - aber mit ihrem neusten Buch bin ich einfach nicht warm geworden. Das lag an der grässlichen Amber/November/Lucy, aber auch am ganzen Verlauf der Geschichte. Ich habe mich stellenweise richtig gelangweilt, und das war ich von der Autorin einfach nicht gewöhnt. Wo blieb die Faszination, wo diese besondere Spannung? Vielleicht habe ich schlicht und ergreifend zu viel Michaelis gelesen, um noch überrascht zu werden, aber Niemand liebt November war für mich eine riesige Enttäuschung, an der auch sehr schöne Gedichte zu Beginn eines jeden Kapitels nichts mehr ändern können.